Anstich im Bräugier
Gestern war im Bräugier Taproom Ostkreuz zum ersten mal das „Damals” – ein fränkisches Lager mit historischen Zutaten – am Hahn. Wir waren beim Anstich dabei.
Ein Braumalz aus einer Gerstensorte von 1924, die schon Jahrzehnte nicht mehr angebaut wurde, eine Hefe, die lange als verloren galt und Hopfensorten, die schon seit hunderten Jahren unverändert angebaut wurden – das sind die Zutaten zu dem historischen Brau-Experiment von Bräugier-Braumeister Ryan Sandersfeld, das gestern zum ersten mal in stilechten Steinkrügen landete.
Die Idee entstand, als Bryan Trauth, einer der Gründer von Bräugier, von der Wiederbelebung eines Malzes mit der Gerstensorte Isaria bei der Mälzerei Weyermann® hörte, die 1924 erstmals zugelassen, aber viele Jahre nicht mehr produziert wurde. Dass fast gleichzeitig das Hefelabor der TU München den Hefestamm TUM 35 wieder heranzog, der früher in fränkischen Brauereien genutzt, aber lange für verschollen gehalten wurde, war ein glücklicher Zufall. Um das historische Bier komplett zu machen, wurden von der Hopfenverwertungsgenossenschaft HVG schließlich auch genau die Hopfensorten beigetragen, die den fränkischen Brauern auch schon vor 100 Jahren zur Verfügung standen: alte Landsorten wie Mittelfrüh, Tettnanger und Spalter – natürlich in Doldenform.
Um 19 Uhr war es dann soweit: Dr. Steve Wagner schlug den Zapfhahn mit drei gekonnten Schlägen ein und das Bier floss erstmals in die Krüge der gut 30 Gäste. Im Glas ist das Bier etwas dunkler als bei modernen Lagern üblich und leicht trüb mit schöner weißer, feinporiger und haltbarer Schaumkrone. Die Nase verrät schon das Aroma der kräuterigen, würzigen Hopfen. Im Antrunk ist es zunächst leicht malzig-süßlich, bevor die Hopfenaromen übernehmen und mit einer deutlichen, aber nicht zu kräftigen Bittere im Nachtrunk enden. Insgesamt hat es mich sehr an die oberpfälzer Zoigl-Biere erinnert.
Schon zuvor hat mir Brauer Ryan verraten, dass das Bier auf der 400-Liter-Anlage im BrewPub Prenzlauer Berg gebraute wurde, die leider keine Dekoktion zulässt, was eigentlich noch stiltreuer gewesen wäre und die Ausbeute verbessert hätte. So bleiben etwa 3% Restsüße aus ca. 98% Isaria und 2% Pilsner Karamellmalz, denn auch die Hefe schafft nur einen Vergärungsgrad in den oberen 70er Prozent. Das süffige Bier muss im Prenzlberg in nächster Zeit wohl öfter gebraut werden, denn es macht, wie die fränkischen Vorbilder, sofort Lust auf mehr.
Vielleicht läuft es sogar so gut, dass es wie die anderen Flaggschiffbiere der Brauerei, ein Helles und ein IPA, auf der 50hl-Anlage bei Brewdog gebraut werden muss. Das ist zwar etwas unpraktisch, weil das Bier zur Reifung in ein Kühllager gebracht und dann nach und nach an die beiden Pubs ausgeliefert werden muss, aber die Erweiterung der eigenen Anlage muss noch warten, weil sich bisher noch kein Platz dafür gefunden hat – möglicherweise muss man sogar weit ins Brandenburger Land ausweichen, weil in Berlin kaum Räume zu bekommen sind.
Im Laufe des Abends habe ich mich natürlich auch durch Teile der restlichen Bierkarte gearbeitet: ich hatte die „Flucht aus Bayern” (ein typische Helles, dessen Stopfhopfen Loral Cryo nur ganz zart durchkommt), das Cold IPA „Frost Zilla” (ein Lager mit IPA-typischer Hopfung, sehr schöne Aromen von Stopfhopfen), den „Nachschwärmer” (ein untergäriges Schwarzbier, sehr röstig und trocken, für mich eher ein leichtes Stout), das New England IPA „HopGPT” (das mich aber auch nicht davon überzeugen konnte, dass das ein sinnvoller Bierstil ist) und zum krönenden Abschluss das Imperial IPA „Der Anfang Ist Das Ende – 2022″ (dickflüssig, röstig-hopfig, bärenstarke 11%vol und gut gealtert) – alles stilgerecht und handwerklich einwandfrei gebraut.
Insgesamt warten in der Bar 25 Hähne auf Gäste, von denen gestern 14 mit eigenen Bieren bestückt waren, außerdem gab es ein Gastbier der finnischen Salama Brewing Company. Der Gastraum wird von einem riesigen Grafitty gegenüber der Bar dominiert, ansonsten sieht man viel Schwarz und modern-industrielle Ausstattung. Im Barbereich gibt es eine Handvoll Stehtische und Barhocker, zum Essen (Fries, Burger, Tortilla) kann man sich an ca. 10 Tischen auch setzen.
Mit Bryan und dem PR-Chef Henryk habe ich mich lange unterhalten. Sie haben mit Bräugier noch einiges vor, auch zusammen mit den anderen Brauereien und Bars im Friedrichshainer Bier-Dorado (Home, Hops&Barley, Straßenbräu, Brewdog, Protokoll, Flessa, Zukunft, Gorilla und Schalander sind zu Fuß oder mit kurzer Straßenbahnfahrt erreichbar). Lassen wir uns überraschen!
Abbildungen:
– Fotos 1 und 2: Autor
– Fotos 3 und 4, Logo: Bräugier