Ein Plädoyer für die Dekoktion
Es könnte doch alles so einfach sein: Die überwiegende Mehrheit der Hobbybrauer maischt im sogenannten Aufheiz- oder Infusionsverfahren, in dem die Maische durch langsames Erhitzen eine festgelegte, aufsteigende Folge von Temperaturrasten durchläuft, in denen die einzelnen Enzyme ihre optimale Wirksamkeit entfalten. Das ist einfach, unkompliziert und für jeden durchschaubar.
Aber dann gibt es auch noch diese bizarren Dekoktionsverfahren, die im Vergleich dazu wie ein wirres Hexenrezept anmuten: Immer wieder werden in einer seltsamen Choreographie Teilmaischen entnommen, einzeln zum Sieden gebracht (wodurch ja die wichtigen Enzyme zerstört werden!) und wieder zurückgepanscht. Warum also sollte man sich so etwas antun, wenn selbst die allermeisten gewerblichen Brauereien heutzutage per Infusion maischen?
Wenn ich beim Brauerstammtisch ein Dekoktionsbier dabeihabe, ruft das Kommentare wie „Du hast wohl zu viel Zeit?” hervor. Und wenn ich ein Volkshochschul-Seminar gebe, will man mir immer kaum glauben, dass ausgerechnet diese kompliziert und wirr anmutende Dekoktion hierzulande das ältere und ursprünglichere Verfahren ist. Dabei hat das einen ganz einfachen Grund:
Ein kurzer Rückblick
Schließlich geht es beim Brauen darum, die Maische reproduzierbar durch eine präzise Folge von Temperaturstufen zu führen. Beim Infusionsverfahren braucht man dazu hauptsächlich zwei Instrumente: Ein Thermometer und eine Uhr. Kurioserweise wurden beide Geräte Ende des 16. Jahrhunderts vom selben genialen Geist erfunden: Galileo Galilei. Glaubt man aber den Jahresangaben auf den Etiketten etlicher oberbayrischer Brauereien, dann wurde schon viele Jahrhunderte vorher reproduzierbar Bier gebraut. Erste Temperaturskalen entstanden überhaupt erst im 18. Jahrhundert, und so richtig durchgesetzt hat sich die Verwendung des Thermometers in Brauereien wohl erst mit der Industrialisierung Mitte des 19. Jahrhunderts.
Die Dekoktion löst nun elegant das Problem der Reproduzierbarkeit, indem sie eine Temperaturmessung durch eine Volumenmessung ersetzt: Kochende Maische hat, zumindest nahe Meereshöhe, immer 100°C. Und mischt man in einem bestimmten Verhältnis kalte und kochende Maische, ist damit auch die sich einstellende Temperatur vorbestimmt. Ganz ohne Thermometer.
Und noch ein weiteres Problem wird dadurch gelöst: Metallgefäße waren im Mittelalter unverhältnismäßig teuer herzustellen, erst recht in der zum Brauen erforderlichen Größe. Hölzerne Bottiche dagegen waren problemlos und zu einem Bruchteil der Kosten verfügbar. Bei Dekoktion findet das Maischen nun in einem unbeheizten, beispielsweise hölzernen Bottich statt, und man braucht nur eine verhältnismäßig kleine beheizte Pfanne für die Kochmaischen von etwa nur einem Drittel des Gesamtvolumens.
Bild 2 zeigt eine Darstellung solch einer urtümlichen, mittelalterlichen Schöpfbrauerei: In dem großen Bottich in Bildmitte wird gerade durch Rühren mit dem Maischholz gemaischt, daneben sieht man den zum Umschöpfen der Teilmaischen unvermeidlichen Schöpfer. Damit wären schon zwei der im traditionellen Zunftzeichen der Brauer abgebildeten Werkzeuge erklärt. Und dahinter erkennt man die im Vergleich dazu winzige, aus ebenen Metallplatten genietete Kochpfanne, aus der gerade Dampfwolken von einer Kochmaische quellen.
Wie aber erledigte man anschließend das Würzekochen, wo doch das gesamte Volumen anfällt? Ich vermute, dass man entweder ganz auf eine Würzekochung verzichtete, wie bei einigen Urbieren wie z.B. der Berliner Weiße noch bis ins 20. Jahrhundert. Oder man machte vielleicht einfach das, was im Englischen Parti-Gyle genannt wird: Die geläuterte Würze in bis zu drei Fraktionen auffangen und nacheinander getrennt kochen. Aus dem ersten Teil könnte z.B. ein Starkbier für die Festtage, aus dem zweiten ein Bier für den eigenen Tisch und aus dem dritten ein Einfachbier für die Bediensteten werden. In manchen Klöstern wird heute noch Ähnliches gepflegt.
Und noch ein Argument für die Dekoktion: Wer schon einmal versucht hat, mit direkter Holzfeuerung, etwa in einem alten Wasch- oder Wurstkessel, eine präzise Rast anzufahren, z.B. 62°C, und auch zu halten, weiß wie schwierig das ist, ohne das Feuer dämpfen oder gar herausreißen zu müssen. Bei Dekoktion kann aber die Feuerung getrost während des gesamten Maischens ohne Notwendigkeit einer Regulierung unverändert durchlaufen.
Wichtigste Eigenschaften der Dekoktion:
- Temperaturmessung ersetzt durch Volumenmessung
- eher ablauf- als zeitgesteuert
- kein versehentliches Überfahren von Rasten
- ungenügend vorgelöste Malze besser aufgeschlossen
- zeit‑, arbeits- und energieintensiv
- geeignet für direkte Befeuerung mit Festbrennstoffen
- stärkere Zufärbung durch Maillardreaktion
- kerniger Biergeschmack
- stärkere Spelzenauslaugung
- Spezialmalze größtenteils entbehrlich
Sonderfall Maischereste
Wenn die Feuerung aber einfach weiterläuft, wie vermied man dann ein Anbrennen der fast leeren Pfanne nach dem Zurückschöpfen der Kochmaische? Wahrscheinlich indem man die Pfanne nie ganz leerschöpfte und immer einen gewissen Maischerest darinließ. Schließlich wird auch das Schöpfen zum Ende hin immer mühsamer. Im Grunde hat man dann die gesamte Zeit über einen Bottich mit rastender Maische, und eine Pfanne mit kochender Maische, und schöpft bloß immer Teilmengen hin- und her. Diese Maischereste sind sogar charakteristisch für das ursprüngliche Pilsener Verfahren, wo ja bis heute mit direkt befeuerten Kupferpfannen gearbeitet wird. Laut Narziß resultiert daraus auch der für das Böhmische Pils typische geringe Vergärgrad, indem die Enzyme dadurch stärker verbrüht werden.
Durch dick und dünn
Je nach Anzahl der entnommenen, gekochten und wieder zurückgebrühten Kochmaischen unterscheidet man nun Ein‑, Zwei- und Dreimaischverfahren. Die einzelnen Kochmaischen werden entweder als Dick- oder Dünnmaische gezogen:
Dickmaische enthält möglichst viel feste Bestandteile, darunter Grobgrieße, die durch das Kochen auch physikalisch-mechanisch (und nicht nur enzymatisch) aufgeschlossen werden. Dies war ein weiteres Argument zugunsten der Dekoktion in Zeiten stark schwankender Malzqualität, um auch mit mangelnd modifizierten Malzen klarzukommen. Dünnmaische (die oben stehende Flüssigkeit nach dem Absitzen der Maische) oder gar Lautermaische (die unter dem Senkboden gezogen wird) enthält dagegen kaum Stärke, dafür aber den Großteil der im Wasser gelösten Enzyme.
Dadurch erklärt sich das Vorgehen, die ersten Kochmaischen als Dickmaische zu ziehen, um möglichst viel Stärke aufzuschließen und die Enzyme zu schonen. Die letzte Kochmaische ist aber eine Dünn- oder Lautermaische, weil es nur noch um eine Temperaturerhöhung auf Abmaischtemperatur geht. Hier will man gerade keine neue Stärke mehr freisetzen (die dann nicht mehr ausreichend verzuckert werden könnte) und stattdessen die nun nicht mehr benötigten Enzyme deaktivieren.
Dickmaische nimmt man also in der Regel,
- wenn bewusst das Malz durch Kochen physikalisch aufgeschlossen, d.h. Stärke herausgelöst werden soll (frühere Motivation),
- wenn der daraus resultierende Geschmack erzeugt werden soll (heutige Motivation),
- wenn die Enzyme in der Bottichmaische geschont werden sollen.
Dünnmaische nimmt man dann eher,
- wenn es „nur” um eine Temperaturerhöhung, aber nicht um physikalischen Aufschluss geht,
- wenn keine neue Stärke freigesetzt werden soll,
- und wenn es auf die Enzyme nicht mehr groß ankommt.
Bild 3 zeigt ein Dreimaischverfahren, wie es lange für mitteleuropäische Lagerbiere typisch war. Es werden drei Teilmaischen von jeweils etwa einem Drittel des Gesamtvolumens gekocht. Die Gesamtdauer von 5 1/2 bis 6 Stunden mutet heute aber sehr anachronistisch an, ebenso wie die sich ergebende extrem lange Eiweißrast. Bei modernen, gut gelösten Malzen wäre das nicht nur unnötig, sondern für die Schaumstabilität sogar kontraproduktiv.
Ein gerafftes Zweimaischverfahren
Grundsätzlich sind durch Variation von Einmaischtemperatur sowie Anzahl, Konsistenz und Größe der Kochmaischen natürlich unendlich viele unterschiedliche Dekoktionsrezepte möglich. Bei mir hat sich folgendes Schema bestens bewährt: Wenn man die Eiweißrast ganz fortlässt und mit etwas höheren Aufheizraten arbeitet, wie sie bei den meisten Hobbyanlagen problemlos möglich sind, ergibt sich daraus das in Bild 4 skizzierte Zweimaischverfahren, das ich problemlos in 2 1/2 Stunden durchführe. Das ist kaum mehr als bei manchen Infusionsfolgen!
Durch die Kochung der große ersten Dickmaische von 50% des Volumens ist ein kräftiger Dekoktionscharakter gewährleistet. Bei ihrem Aufheizen wird eine kurze Verzuckerungsrast (z.B. bei 70°C) eingelegt, um die Stärkeketten durch die alpha-Amylasen schon einmal zu möglichst vielen Dextrinen zu zerlegen. Nach dem Zubrühen auf Maltoserasttemperatur können die in der enzymreichen, dünnen Bottichmaische bewahrten, noch voll aktiven beta-Amylasen nun auf diese Dextrine losgehen und diese zu Malzzucker zerlegen: Hier schafft man es (i.Ggs. zur aufsteigenden Infusion) mal ausnahmsweise, die Amylasen in der „richtigen Reihenfolge” wirken zu lassen.
Und wie geht das konkret?
Was benötigt man nun konkret als Hobbybrauer, um einmal ein Dekoktionsverfahren auszuprobieren? Eigentlich nur einen gut isolierten Läuterbottich mit Deckel, in dem die Bottichmaische während der Rasten möglichst wenig Temperatur verliert. Ideal ist der ohnehin vielfach bewährte Speisenbehälter Thermoport, in dem sich eine Bottichmaische innerhalb einer Stunde um kaum ein Grad abkühlt. Zum Umschöpfen der Teilmaischen genügt, sofern man keine Möglichkeit zum Pumpen von Maische hat, ein großer Messbecher. Die Volumina lassen sich leicht bestimmen, wenn man sich für Pfanne und Bottich Messlatten wie in Bild 1 anfertigt. Zusammen mit dem Schöpfgefäß hat man dann sogar dreifache Kontrolle über die Menge!
Wie bestimmt man aber nun die genaue Menge einer zu ziehenden Kochmaische, um auf eine konkrete Temperatur zu kommen? Am einfachsten mit dem sogenannten Mischkreuz-Gleichung:
Volumen Kochmaische · Kochtemperatur + Volumen Bottichmaische · Ausgangstemperatur = Gesamtvolumen · Zieltemperatur
oder aufgelöst nach dem gesuchten Volumen der Kochmaische:
Ein konkretes Beispiel: Um von 65°C auf 75°C zu kommen, benötige ich eine Kochmaische von ( 75°C‑65°C ) /( 95°C‑65°C ) = 1/3 des Gesamtvolumens.
Wer das nicht selber ausrechnen möchte, kann dafür folgenden einfachen Excel-Rechner benutzen, in dem man mehrere Rasten berechnen und dabei unterscheiden kann, ob man Dekoktionen zieht oder als Bottichinfusion heißes Wasser zubrüht: Mischkreuz_neu
Wieso aber habe ich in obiger Formel als Kochtemperatur 95°C und nicht 100°C eingesetzt? Ganz einfach: Man muss ja nicht nur die Temperatur der Maische, sondern auch die des Bottichs erhöhen. Außerdem hat man beim Umschöpfen sowie bei den Rasten unweigerlich immer leichte Wärmeverluste. Jetzt könnte man das alles zwar ganz genau ausrechnen (sofern man vorher die thermische Masse seines Bottichs bestimmt…), oder eben den genannten Störeinflüssen Rechnung tragen, indem man einfach eine etwas niedrigere Kochtemperatur einsetzt. Bei meinem 38-Liter-Thermoport kommt das ganz gut hin. Bei anderen Anlagen wird man ggf. mit etwas anderen empirischen Werten arbeiten müssen. Für die allerersten Gehversuche, bzw. wenn man seine Anlage noch nicht genau kennt oder seinen Berechnungen nicht genau traut, empfehle ich eine leichte Überdimensionierung der Kochmaischen und ggf. lieber einen Maischerest zu lassen, wie schon oben beschrieben: Man hört dann schon eher mit dem Zurückschöpfen auf, sobald die Temperatur passt. Der kleine Maischerest im Topf kann dort ruhig auf die nächste Kochmaische warten, bzw. nach der letzten Kochmaische etwas abkühlen und erst dann zum Rest gegeben werden. Das erspart einem zudem, hektisch immer den allerletzten Rest aus dem Topf kratzen zu müssen.
Für wen sich das jetzt alles rätselhaft und abschreckend anhört, der sei beruhigt: Dekoktion ist keine exakte Wissenschaft! Ganz im Gegenteil, ich finde, dass man viel mehr „nach Gefühl” arbeiten kann als bei Infusion, wo jede Rast aufs Grad und auf die Minute genau überwacht werden sollte. Bei Dekoktion kommt man irgendwie schon überall vorbei, bei den meisten Rasten sogar mehrfach, und die Kochung erledigt den Rest. Insofern ist das ein erstaunlich robustes Verfahren: Vertut man sich bei einer Rast um +/- 2°C, ist das ziemlich egal. Bei einem einstufigen Infusionsverfahren (sog. Kombirast) kann das hingegen fast schon den Charakter des Bieres kippen.
Mit ein klein wenig Erfahrung gelingt es aber in der Regel, eine angepeilte Rast aufs Grad genau zu treffen. Lästig ist es nur, wenn man einen Läuterbottich mit großem Totraum unter dem Senkboden hat, weil er das berechnete Volumenverhältnis verfälscht. Drüber ist es nach dem Zubrühen zu heiß, und drunter zu kalt. Ich behelfe mir daher so, dass ich während des Zubrühens eine große Kanne Lautermaische von unter dem Senkboden zapfe und oben wieder zumische, dann passt das wieder. Und man hat damit den gröbsten Dreck schon einmal aus dem Totraum herausgespült, so dass sich das Vorschießen nachher stark reduziert. Ideal sind natürlich System mit besonders kleinem Totraum wie ein Panzerschlauch (bzw. Läuterhexe) oder ein über einem zentralem Bodenablauf besonders tief liegender Senkboden.
Ein Wort der Rührung
Das Hobbybrauen kennt viele Ausprägungen, vom mönchisch meditativen Paddeln in der Maische bis hin zur ausgeklügelten Automatisierungstechnik als Hobby im Hobby. Es soll nicht verschwiegen werden, dass Automatisierungsfreunde eher nicht recht glücklich mit Dekoktion werden. Denn das würde das automatische Umpumpen und Messen von Maischen unterschiedlichster Konsistenz bedingen. Nicht unmöglich, aber Aufheiz-Infusion ist da bedeutend einfacher in den Griff zu bekommen.
Rührwerk oder handgepaddelt? Unter Hobbybrauern fast schon eine Glaubensfrage. Bei Dekoktion spricht nichts gegen das Rühren von Hand, ganz im Gegenteil. Ein Rührwerk empfinde ich sogar als etwas hinderlich, weil es beim Hin- und Herschöpfen meist im Wege steht und herausgehoben werden müsste. Schauen wir uns noch einmal das Bild 2 von der alten Schöpfbrauerei an, so funktionierte das manuelle Rühren sogar bei erstaunlich großen Bottichen. Und es gibt eigentlich nur zwei Arten von Phasen, bei denen überhaupt gerührt werden muss: Bei Aufheizen der allerersten Dickmaische auf Verzuckerungstemperatur, und danach während des Zubrühens jeder Kochmaische, um eine gleichmäßige Durchmischung zu erzielen. Während der Rasten der Bottichmaische muss nicht gerührt werden (schließlich heißt es ja Rast…); lieber lässt man den Deckel drauf zugunsten einer geringen Abkühlung. Und nach der ersten Verzuckerungsrast hat sich selbst die bröckeligste Dickmaische so verflüssigt, dass man sie in einem dickwandigen Topf ohne weiteres Rühren köcheln lassen kann, ohne dass noch etwas anbrennt. Diese Verflüssigung zu spüren empfinde ich jedes Mal aufs Neue als faszinierend!
Ideal dafür sind Töpfe mit dickem Sandwichboden, die eine gleichmäßige Wärmeverteilung sicherstellen, oder noch besser eine massive Kupferpfanne: Darin kann man wunderbar die Maische ohne zu rühren kochen und karamellisieren lassen. Angeblich tragen direkt befeuerte Kupferpfannen mit ihrer katalytischen Wirkung sogar zur Unverwechselbarkeit des Pilsener Urquells bei.
Nicht von Dauer
Umdenken muss man auch bei den Rastzeiten. Schließlich sind diese, neben der Temperatur, einer der wichtigsten Stellhebel bei Infusionsverfahren. Dekoktion ist aber weniger zeitgesteuert, als vielmehr ablaufgesteuert: Wenn ein bestimmtes Ereignis eingetreten ist (Maische hat gekocht bzw. sich wieder abgesetzt), kann der nächste Schritt ausgeführt werden. Die Rastzeiten ergeben sich und sind dann eh recht üppig, zumindest für die ruhende Bottichmaische. Außerdem kommt man durch das ständige „Auf- und Ab” bei den meisten Rasttemperaturen ohnehin mehrfach vorbei. Die wichtigeren Stellhebel bei Dekoktion sind andere: Anzahl und Aufteilung der einzelnen Kochmaischen, und deren jeweilige Kochdauer. Die Dauer der Bottichrasten ergibt sich dann schon irgendwie…
Nach dem Zubrühen der einen Kochmaische bis zum Ziehen der folgenden Kochmaische reicht eine eher kurze gemeinsame Rast von 10 bis 15 Minuten. Ich warte nach dem Zumischen der letzten Kochmaische immer, bis sich die Gesamtmaische wieder einigermaßen entmischt und abgesetzt hat, um dann gezielt entweder eine Dick- oder Dünnmaische entnehmen zu können.
Die Kochdauer der einzelnen Teilmaischen unterscheidet sich hingegen nach Biertyp: Bei dunklen Bieren wählt man gemeinhin 30 Minuten oder sogar bis zu 45 Minuten. Dann sollte man schon verdampftes Wasser ersetzen, um nicht die Kochmaische zu klein werden zu lassen und bei einer zu niedrigen Temperatur herauszukommen. Bei hellen Bieren kocht man aber nur 10 bis 20 Minuten, um die Zufärbung und Spelzenauslaugung zu begrenzen.
Kleines Tutorium in 8 einfachen Schritten
Noch einmal zurück zur Entnahme von Dick- bzw. Dünnmaische: In kommerziellen Brauereien gibt es dazu Auslässe in verschiedenen Höhen des Maischbottichs, um nach dem Absitzen Maischen unterschiedlicher Konsistenz ziehen zu können. So etwas wird man als Hobbybrauer kaum haben. Die Dünnmaische kann man naheliegenderweise einfach oben abschöpfen. Dickmaische müsste man aber z.B. mit einem Schaumlöffel oder einem Küchensieb irgendwie von unten „herausfischen”. Das geht zwar fast besser als es sich anhört, aber es gibt einen noch einfacheren Weg:
Wenn man „umgekehrt” einmaischt, nämlich in der Pfanne statt im Maischbottich, braucht man nach einem kurzen Absitzen nur alles, was nicht zur ersten Kochmaische gehört, in den Maischbottich umzuschöpfen, und behält eine wunderbar dicke erste Kochmaische in der Pfanne zurück. Nach dem Zubrühen und einer weiteren kurzen Entmisch-Rast braucht man dann bloß abermals die obenstehende Flüssigkeit in die Pfanne zurückzuschöpfen, und hast diesmal die Dickmaische im Bottich, die zu kochende Dünnmaische in der Pfanne. Also genau so, wie es sein soll. Damit ergibt sich ein extrem einfaches Zweimaischverfahren, bei dem man bloß zweimal die obenstehende Dünnmaische umzuschöpfen braucht:
Für welche Biere überhaupt?
Vorab: Für bewusst schlank und elegant gehaltene Biere passt Dekoktion aufgrund der Zufärbung, Karamellisierung und der Spelzenauslaugung wahrscheinlich eher weniger. Und für anglo-amerikanische Ales ist sie einfach nicht stiltypisch. Sehr lesenswert in diesem Zusammenhang ist auch der Artikel über Auswahl des Maischverfahrens von Andreas Staudt in der selben Ausgabe.
Bei eher kernigen, malzbetonten und nicht ganz hellen Bieren passt Dekoktion aber perfekt: Insbesondere beim böhmischen Pilsener, beim Märzen und beim Münchner Dunkel. Auch bei Weißbieren ist Dekoktion absolut stiltypisch, einige hervorragende Vertreter werden nach wie vor im Ein- oder Zweimaischverfahren gebraut. Hier kann zudem eine niedrige Einmaischtemperatur bestens mit einer Ferulasäurerast oder Gummirast verbunden werden. Und sogar auf Rohfrucht-Rezepte lässt Dekoktion sich bestens anpassen: Hier braucht man nur die Rohfrucht mit in die erste Kochmaische zu geben, wo sie dann automatisch einer Vorverkleisterung unterzogen wird.
Meine absoluten Lieblingsrezepte aber sind so einfach, dass sie kaum den Namen Rezept verdienen: Ein Märzen aus 100% Wiener Malz, oder ein Dunkel aus 100% Münchner Malz, gebraut im oben skizzierten einfachen Zweimaischverfahren. Auch ohne Spezialmalze bekommt man so jede Menge Vollmundigkeit und Komplexität. Bei Infusion (im Extremfall: Angloamerikanische Single Step Infusion) hat man indes kaum eine andere Möglichkeit als haufenweise Spezialmalze, um sein Bier anzupassen und komplexer zu machen. Man schaue sich nur einmal den hohen Prozentsatz an Karamellmalzen in vielen Rezepten für einstufige Infusion an…
Ich wage jedoch die Behauptung, dass klassische kontinentale Biertypen, gebraut per Dekoktion aus den klassischen Basismalzen, noch eine Spur interessanter, glaubwürdiger und authentischer wirken, als wenn man versuchen würde, dies durch Spezialmalze zu imitieren. Insbesondere Karamellmalze werden gerne dazu benutzt, beim einfacheren, schnelleren und billigeren Infusionsverfahren einen Dekoktionscharakter zu simulieren. Warum sollte man aber nicht einmal auch „das Echte” ausprobieren? Eigentlich nur aus einem Grund: Dekoktion macht Spaß, und kann süchtig machen! Es soll Hobbybrauer geben, denen inzwischen kein Sud mehr ohne mindestens eine Kochmaische auf die Hefe kommt…
Autor Moritz Gretzschel kam, obwohl gebürtiger Münchner, erst durch seinen Schwiegervater ausgerechnet in einer badischen Weinregion mit dem Hobbybrauen in Berührung. Ein dreijähriger beruflicher Aufenthalt in Michigan tat das Übrige, ihn für die Craft-Brew-Bewegung zu begeistern. Seither braut er regelmäßig daheim, bevorzugt per Dekoktion. Er arbeitet als Hochschulprofessor für Maschinenbau und Elektromobilität in Aalen in Württemberg.
Abbildungen:
Bild 2: Deutscher Brauerbund (Historisches Sudhaus, Jahr unbekannt),
alle anderen Abbildungen: Autor
Literatur:
– Ray Daniels, Designing Great Beers, Brewers Publications, 1996
– Johann Carl Leuchs, Vollständige Braukunde, C. Leuchs u. Comp., 1831
– Randy Mosher, Radical Brewing, Brewers Publications, 2004
– Ludwig Narziß, Abriss der Bierbrauerei, 7. Auflage, Wiley-VCH, 1999
– Ronald Pattinson, Decoction!, Kilderkin, 2011
Ein interessantes Plädoyer für die Dekoktion, werde ich auf jeden Fall mal probiren!
Gefunden habe ich den Artikel bei der Suche nach dem Infusionsverfahren, das aber nach meinem Wissen nicht gleich dem Aufheizverfahren ist: Beim Aufheizverfahren wird doch, wie der Name sagt, eine (gleichbleibende) Menge Maische kontinuierlich erhitzt. Beim Infusionsverfahren geschieht der Temperaturanstieg durch Zugießen von heißem Wasser.
Bitte korrigiert mich, wenn nötig!
Ich will mit einem Malzrohrsystem das Einmaischverfahren versuchen. Der Plan: Nach dem Einmaischen über den Hahn 50% der Flüssigkeit ablassen und in einem Einkochautomat auf Temperatur halten. Danach die Kochmaische im Malzrohrsystem durchführen. Jetzt kippe ich die Restmaische wieder hinein um 65 °C erreichen. Sollte ich diese in einem Rutsch reingeben, um die Enzyme nicht zu verbrühen?
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