Wer in Deutschland „ein Bier“ bestellt, bekommt meistens ein Pils serviert. Nicht so in München: Dort zapft der Bierschenk dem Gast ein Helles ins Glas oder in den Krug.
Das Helle ist die Antwort der Münchner auf das Pilsener, das, 1842 erstmals gebraut, seinen Siegeszug vom böhmischen Pilsen über Deutschland in ganz Europa antrat. Die goldene untergärige Biersorte war schon optisch ein Novum, denn bis dahin waren die Biere kastanienfarben bis schwarzbraun. Die hellgelbe Farbe war neuen Malzsorten zu verdanken, die in modernen Feuerungsanlagen kontrolliert und schonend gedarrt werden konnten. Und mit seiner Brillanz, dem schlanken Körper und der feinsinnigen Hopfenaromatik betörte das Pils die Leute erst recht. Die Münchner Brauer blieben auf ihrem dunklen, vollmundigen Bier sitzen – bis sie gegen Ende des 19. Jahrhunderts das Helle erfanden.
1894 lancierte die Münchner Spatenbräu erstmals diese neue Sorte: Ebenso strohgelb und leuchtend im Glas, präsentiert es einen Hauch mehr Malzaromatik als das Pils, wirkt dadurch runder und lieblicher. Verantwortlich für die geschmacklichen Unterschiede ist das Brauwasser: Die Böhmen verfügen über ein besonders weiches Wasser, das die Feinsinnigkeit und Gradlinigkeit des Pilsstiles unterstützt. Die Münchner Brauer hingegen haben es, dank ihrer Lage am Alpenrand, mit kalkhaltigeren Qualitäten zu tun, die aus dem Malz mehr Stoffe lösen und die Biere daher kerniger ausfallen lassen. So konnte der Erfolg des Münchner Hell konnte erst mit der Möglichkeit der Wasseraufbereitung im großen Stil einsetzen.
Die ausgewogene Aromatik des Hellen mundet zu Fleischgerichten wie Schweinerollbraten gefüllt mit Kräutern und Käse, harmoniert mit mildem Obatzten und passt zu Tiroler Nusskuchen mit Mandeln, Nüssen und Aprikosen. Aber vor allem ist das Helle ein guter Durstlöscher.
Das Augustiner Lagerbier Hell (5,2 Vol.-%) ist ein wunderbares Beispiel dieses Bierstils: Das strohgelbe Untergärige mit der dichten, sahnig-weißen Schaumkrone riecht dezent nach Getreide und Honig. Der Antrunk ist süß, die Hopfen-Malz-Aromatik ausbalanciert. Die Kohlensäure schäumt im Mund angenehm auf, mild mit leicht kräuteriger Bittere klingt der Trunk aus.
Sylvia Kopp gehört zu den Top 5 der weltbesten Bier-Sommeliers. Ihre Ausbildung zur Diplom-Bier-Sommelière absolvierte sie 2006 in München. Seitdem arbeitet sie unabhängig, hält Vorträge und Seminare, moderiert Tastings und Biermenüs. Sie ist Jurymitglied bei internationalen Bierwettbewerben, Co-Gründerin und Leiterin der Berlin Beer Academy und Buchautorin. Jüngst erschien ihr „Das Craft-Bier Buch“ (englische Ausgabe: „Barley & Hops“) im renommierten Gestalten Verlag.