Stimmige Auslegung von Hobbybrauanlagen
In Ulrich Plenzdorfs „Neuen Leiden des jungen W.” erklärt sich die Hauptfigur für unfähig, Gips anzurühren: Er nehme immer abwechselnd entweder zu viel Gips oder zu viel Wasser, bis irgendwann der Eimer voll sei. So ähnlich mag es manchem Hobbybrauer bei Erweiterungen seiner selbst zusammengestellten Anlage gehen, und so geht es auch unserem tragischen Comic-Helden in derselben Ausgabe:
Irgendwo ist immer das volumenmäßige Nadelöhr. Hat man endlich den lang ersehnten größeren Läuterbottich, ist jetzt die Pfanne zu klein. Hat man eine neue, zwickt es am Gärbottich. Passt der, ist die Kühlkapazität zu gering. So geht es immer fort. Das ist wohl das Los des Hobbybrauers und das Leitmotiv aller Erweiterungen. Es kommt wahrscheinlich auch etwas auf den eigenen Charakter an, ob man sich bei einem etwas überdimensionierten Läuterbottich freut, dass er noch Reserven hat, oder ob man sich stattdessen ärgert, dass dann Pfanne und Gärgefäße zu klein sind.
Allerdings haben sich nicht von ungefähr gewisse Volumenklassen herauskristallisiert:
- Die häufigste Größe für viele Anfänger ist die „20-Liter-Klasse”: Hier kann man mit geringen Investitionen noch in einer normalen Küche oder sogar in der Studentenbude arbeiten. Geeignete Einkochtöpfe und Eimer sind problemlos erhältlich, und gut 20 Liter Würze lassen sich problemlos auch alleine durchs Haus tragen. Nicht zufällig gibt es in der Hobbyliteratur unzählige Braurezepte für circa 20 Liter beziehungsweise 5 Gallonen.
- Die nächste sinnvolle Größe bewegt sich zwischen 40 und 50 Litern Ausschlag. Hier kommt man meist noch ohne Pumpen und bauliche Veränderungen zurecht, auch wenn sich dafür besser ein Hobbyraum als die häusliche Küche anbietet und man solche Mengen besser zu mehreren oder mit Flaschenzügen oder Hubtischen bewegen sollte, wenn man seine Bandscheiben schonen möchte.
- Die wahrscheinlich letzte Hobbyklasse unterhalb gewerblicher Gasthaussudwerke bewegt sich um die 100 Liter. Hier sind schon oft Pumpen und feste Verrohrung ebenso anzutreffen wie bauliche Anpassungen hinsichtlich Energieversorgung, Dunstabsaugung und Kühlung.
Anlagen über 100 Liter werden meistens eher gewerblich als Hobby sein. Weniger als 20 Liter zu brauen ist auch kaum sinnvoll, allenfalls für absolute Kleinstversuchssude. Denn der Zeitaufwand ist in allen Fällen fast derselbe, die Rohstoffkosten sind im Vergleich zur aufgewendeten Zeit nahezu vernachlässigbar, und sollte ein Versuch wider Erwarten gut gelungen sein, wird man sich bald ärgern, dass man doch nicht mehr gemacht hat. Da außerdem bei Kleinstsuden die Oberflächen (Oxidation und Auskühlung!) im Verhältnis zum Volumen viel stärker ins Gewicht fallen, ist ohnehin fraglich, ob sich deren Ergebnisse auf größere Anlagen übertragen lassen.
Und noch ein Grund, warum 20-Liter-Sude bei vielen so beliebt sind: Wenn man innerhalb der für Deutschland gültigen steuerlichen Freimenge von 200 Litern jährlich bleiben will, kann man fast jeden Monat brauen und hat damit reichlich Gelegenheit, neue Stile und Rezepte auszuprobieren. Und man kann zum Beispiel immer einen Sud gerade in der Reifung und einen noch frisch im Ausschank haben. Schon bei 50 Litern könnte man, will man in der Freimenge bleiben oder nur den eigenen Tisch mit Bier versorgen, nur noch quartalsweise brauen, was, ich merke es schmerzlich an mir selber, unbewusst mit einer Abnahme der Experimentierfreude einhergehen kann.
Wie aber legt man nun eine Brauanlage hinsichtlich der Größen von Pfanne, Läuterbottich und Gärbottich sinnvoll aus?
Schüttung und Hauptguss legen das Volumen der Maische und damit des Läuterbottichs fest: Pro Kilogramm Malz kommen circa 0,75 Liter zum Volumen des Hauptgusses hinzu. Beim Läutern bleibt dann vom Gesamtguss pro Kilogramm Schüttung circa 1 Liter in den Trebern hängen, was die Pfannevollwürze bestimmt. Die Pfanne sollte aber noch zusätzlichen Freibord haben, um beim ersten Aufkochen kein Überschäumen zu riskieren, um die Würze beim Kochen gegebenenfalls noch verdünnen zu können und um einen schwungvollen Whirlpool andrehen zu können. Auch das Gärfass sollte noch reichlich Steigraum für die Hochkräusen besitzen, vor allem bei obergärigen Bieren im Bereich von etwa einem Drittel des Volumens.
Die Tabelle stellt diese Zusammenhänge für die genannten Volumenklassen dar, wobei von einem hellen Vollbier mit einem Hauptguss vom Vierfachen und Nachguss vom Dreifachen der Schüttung ausgegangen wird. Die Zellen 1–4 sind die variablen Eingabewerte, der Rest die Rechenergebnisse. Die vier Behältervolumina sind fett und gelb markiert. Mit einem dickeren Einmaischverhältnis wäre damit genauso ein Starkbier möglich, was die zweite Spalte zeigt. Das ist freilich alles keine exakte Wissenschaft, sondern eine reine Abschätzung anhand von Erfahrungswerten. Je nach Gussführung und Ausbeute können individuelle Ergebnisse herauskommen:
Sollte jemand beispielsweise NUR Vorderwürzebiere brauen wollen oder NUR High Gravity machen, kann freilich eine andere, individuelle Auslegung sinnvoll sein. Hier ist jeder eingeladen, selber mit den Formeln zu spielen und andere Schüttungen, Gussführungen und Ausbeuten auszuprobieren: Geraete-Dimensionierung.xlsx. Es ist aber sicher keine schlechte Idee, wenn sich die Dimensionierung der Anlage entweder an etablierte Standardrezepte oder die eigenen Lieblingsrezepte anlehnt, sodass alle Behälter einigermaßen gut ausgenutzt werden. Es liegt aber auf der Hand, dass ein und dieselbe Anlage nicht gleichermaßen für alle Biere zwischen 6 und 28 °Plato geeignet sein kann.
In den genannten Volumenklassen hat sich die Verwendung einiger bestimmter marktüblicher Behälter bei vielen Hobbybbrauern durchgesetzt:
- In der verbreiteten 20-l-Einsteigerklasse spielt ein Einkocher (typisch 28 Liter) gut mit einem 30-l-Hobbock oder einem 25-l-Thermoport als Läuterbottich und einem 30-l-Gärbehälter zusammen.
- Der verbreitete 38-l-Thermoport passt gut zu einer Pfanne von 50 oder besser 60 Litern. Nach dem Hopfenseihen hat man dann vielleicht noch gut 40 Liter Würze, und dafür sind die 60-l-Kunststoffmostfässer ideal zum Vergären. Dann hat man noch etwa ein Drittel Steigraum für die Kräusen.
- Ein 70-l-Thermoport passt dagegen gut zu einer 100-l-Pfanne.
Erweitert man von einer Klasse auf die nächstgrößere, kann die bisherige Kochpfanne stattdessen gut zur Nachgussbereitung dienen.
Man kann sich natürlich vieles schönreden, und um manche Einschränkung kann man sich zumindest temporär auch herumwursteln – zum Beispiel durch High Gravity bei zu kleiner Pfanne oder indem man bei zu kleinem Läuterbottich einen Rest Maische erst nachschöpft, wenn Platz dafür ist. Ideal ist das natürlich alles nicht, und man sollte sich in seinem Maischverfahren auch nicht dauerhaft zum Sklaven einer suboptimalen Anlagenplanung machen lassen. Aber eines glaube ich inzwischen auf alle Fälle gelernt zu haben:
Der jeweilige Engpass sollte möglichst nicht in der Kühl- beziehungsweise Lagerkapazität liegen! Oder, anders gesagt: Man sollte erst die Kühlkapazität entsprechend erweitern, bevor man die Sudmenge ausbaut. Es war doch ein gewaltiger Komfort- und Qualitätssprung, das Bier endlich vernünftig kaltlagern zu können, auch im Sommer kontrolliert untergärig brauen zu können oder auch einmal ein paar Flaschen monatelang zurücklegen und reifen lassen zu können und nicht immer aus Kapazitätsgründen alles schon leergetrunken haben zu müssen, bevor es richtig gut wurde …
So teuer sind gebrauchte Kühlschränke und ‑truhen nun auch wieder nicht, dass man sich diesen Luxus nicht leisten sollte. Und wenn ich überlege, wie viel Aufwand, Kosten und Zeit manche Hobbybrauer in ihr Sudwerk und in die Herstellung der Würze stecken, um diese dann bei Raumtemperatur völlig unkontrolliert vergären zu lassen, dann ist das Geld für eine Gärbottichtemperierung sicherlich viel besser angelegt als für die nächste Sudhauserweiterung!
Sind diese Größenordnungen vorwiegend aus den Erfahrungen mit Infusionsverfahren entstanden, oder kann man die Größen auch bei Dekoktionsverfahren so annehmen? Danke!
Da gibt es keinen Unterschied. Für die Größe des Läuterbottichs etwa ist die Menge der Gesamtmaische entscheidend, und da ist egal, ob oder wie die vorher aufgeteilt wurde.
Danke Moritz auch für diesen Artikel!
„Ein 70-l-Thermoport passt dagegen gut zu einer 100-l-Pfanne.” Als ich das gelesen habe, dachte ich mir kurz: hm, habe ich wohl überdimensioniert (73l Sudpfanne, 70er Thermoport).
Jetzt am Wochenende waren 70Liter Thermoport für gut 60l Ausschlag nicht überdimensioniert:
Singlestep infusion mash, 16°P: der 70er Thermoport hat es gerade noch verkraftet und war bei diesem Braugang das Nadelöhr.
Klar, wenn im Thermoport ausschliesslich geläutert wird passen die 38l besser (Höhe d. Treberbetts), für die o.g. Konfiguration hätte ichs anders nicht haben wollen!
Viele Grüße,
Sönke
Vielen Dank für den Artikel. Obwohl dieser bereits ein paar Jahre existiert, habe ich hierzu Fragen:
- Müsste zur Berechnung des Volumens „Pfannevoll” nicht ein Anteil des Nachgusses berücksichtigt werden, der im Treber verbleibt?
– Der Faktor 1,2 zur Ermittlung des Pfannenvolumens ist ein Sicherheitsaufschlag um eine Überkochen zu vermeiden oder? Warum wird hier zur Volumenberechnung der Ausschlag als Grundlage verwendet und nicht das Volumen „Pfannevoll”?
Über eine Antwort würde ich mich freuen
Gruß,
Thomas
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>Müsste zur Berechnung des Volumens „Pfannevoll” nicht ein Anteil des Nachgusses berücksichtigt werden, der im Treber verbleibt?
Genau dies geschieht doch, indem von der Summe aus Haupt- und Nachguss das Schüttungsgewicht abgezogen wird. Denn erfahrungsgemäß bleiben in 1 kg Schüttung ungefähr 1 l Wasser hängen.
>Der Faktor 1,2 zur Ermittlung des Pfannenvolumens ist ein Sicherheitsaufschlag um eine Überkochen zu vermeiden oder? Warum wird hier zur Volumenberechnung der Ausschlag als Grundlage verwendet und nicht das Volumen „Pfannevoll”?
Du hast vollkommen recht. Aber ob ich jetzt auf Pfannevoll ca. 10% oder auf den Ausschlag ca. 20% als Sicherheit draufgebe, bleibt sich letztlich gleich. Ohnehin ist das alles nicht allzu sklavisch zu sehen, schließlich handelt es sich eh nur um ganz grobe Abschätzungen über einen ziemlich breiten Daumen.
Gruß, Moritz
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