Seit von der Malzfabrik Weyermann ein eichenholzgeräuchertes Weizenmalz hergestellt und zumindest über bestimmte Versandhändler auch für Hobbybrauer angeboten wird, ist der Weg frei, sich einmal selber an einer möglichst originalgetreuen Grätzer-Rekonstruktion zu versuchen. Nachdem sich dieses Bier als vergleichsweise alkoholarmer und dennoch herzhafter, idealer sommerlicher Durstlöscher erwies, habe ich es mehrmals mit großem Erfolg (wenn man einmal von den Läuterproblemen absieht) gebraut. So viel vorweg: Es ist ein Weizenbier, bei dem man alles vergessen muss, was man über Weißbiere zu wissen glaubte …
Rohstoffe
Malz
Der Rauchgeruch, den das besagte Malz verströmt, ist völlig anders als der, den man von buchenholzgeräucherten Rauchmalzen kennt: Werden diese immer gerne mit Räucherschinken assoziiert, etwa im Bamberger Rauchbier, so ist der Geruch des eichenholzgeräucherten Weizenmalzes irgendwie feiner und erinnert mich etwa an eine frisch geöffnete Dose Rauchmandeln. Ich habe das Malz originalgetreu zu 100 Prozent verwendet.
Wasser
Das Grätzer Wasser war den Recherchen der polnischen Hausbrauervereinigung [1] zufolge außerordentlich mineralreich: Gesamthärte 25 °dH, Karbonathärte 19 °dH und Restalkalität 13 °dH. Leider haben sich in manche Übersetzungen auch abweichende, in sich inkonsistente und daher offenbar falsche Wasserwerte eingeschlichen.
Ich musste mein hartes Münchener Leitungswasser noch erheblich mit Gips und Chlorid aufsalzen, um auf die originalen Werte zu kommen. Als Chlorid habe ich Kochsalz verwendet, denn einerseits kam ich damit auf die Natriumwerte des Originalwassers, andererseits sagt man ja auch in der Gose dem Kochsalz eine die Mundfülle steigernde Wirkung nach. Also genau das, was man auch hier bei einem derart leichten Bier gut brauchen kann.
Hopfen
Hier bieten sich deutsche und polnische Nobelhopfen an. In Ermangelung von Lubliner Hopfen habe ich entweder Hersbrucker oder Saazer verwendet.
Hefe
Über den Stamm der Originalhefen konnte ich bislang noch nichts Verlässliches herausfinden. Angeblich wurden diese aber eher aufgrund technologischer als sensorischer Eigenschaften gewählt, sodass sich jede einigermaßen neutral vergärenden Ale-Hefe anbietet. Auch die zeitweise Verwendung von Kölsch- und Alt-Hefen [1] weist in diese Richtung. Ich selber habe, um eine besonders niedrig vergärende Hefe zu wählen, die sehr zuverlässige und schnelle Safbrew S‑33 von Fermentis benutzt.
Rezept
Auch wenn prinzipiell ein einfaches Aufheizverfahren möglich sein sollte, habe ich rein spaßeshalber das Zubrüh-Originalverfahren, siehe auch Jürgen Knokes Artikel in derselben Ausgabe [2], verwendet:
Für circa 40 l Bier
7,5 kg eichenholzgeräuchertes Weizenmalz
Anteigen mit 5 l Wasser mit 50 °C ergibt 45 °C, Rast für 45 min
Zubrühen von 5,5 l Wasser mit 75 °C ergibt 52 °C, Rast für 30 min
Zubrühen von 14 l Wasser mit 95 °C ergibt 72 °C, Rast für 30 min
Aufheizen auf 78 °C, Läutern (irgendwann abgebrochen)
50 g Hersbrucker 3,3 % a Vorderwürzehopfung
25 g Hersbrucker 3,3 % a für 45 min
30 g Hersbrucker 3,3 % a für 10 min
70 g Hersbrucker 3,3 % a für 0 min
Vergärung mit Safbrew S‑33 bei 20 °C
In der Gärung verdünnt mit 10 l Wasser auf 40 l P8
Schönung mit Kieselsol und Gelatine
Karbonisierung mit Zucker auf circa 6 g CO2/l
Flaschengärung
Daten:
Bittere: 28 IBU
Stammwürze: 8,0 °P
Restextrakt: 3,8 °P
scheinbarer Vergärungsgrad: 52,5 %
Alkohol: 2,2 % Vol.
Beobachtungen
Insgesamt ist das schon ein ziemlich sonderbarer Sud. Das Anteigen der 7,5 kg Malz mit bloß 5 l Wasser ist sehr skurril. Von Maische kann man da gar nicht reden, das Wasser wird sofort aufgesogen und feuchtet das Malz bestenfalls etwas an. Rühren kann man das auch kaum, es hat ungefähr die Konsistenz von Nockerlgrieß. Ich frage mich, wie das im großen Maßstab funktioniert haben mag.
Die Temperaturführung ist für einen ausgeprägt niedrigen Vergärungsgrad angelegt, denn die 60er-Grade werden komplett übersprungen. Wie nicht anders zu erwarten, wird das Läutern bei der spelzenlosen 100-Prozent-Weizen-Schüttung zur Geduldsprobe. Teilweise habe ich mit Dinkelspelzen gearbeitet, die aber keine nennenswerte Verbesserung brachten und bloß oben herumschwammen, obwohl ich sie geschrotet und eingeweicht hatte. Mit sehr viel Geduld und ganz langsamem Läutern hatte ich irgendwann 44 l mit Stammwürze 9 °P in der Pfanne und brach trotz einer beschämenden Ausbeute von 53 % das Läutern ab.
Trotz der ausgeprägten Eiweißrast ist die Würze die trübste Suppe, die ich bislang kannte. Keinen Millimeter kann man da durchschauen. Vielleicht ist auch das der Grund dafür, dass das Original anschließend mit Hausenblase geklärt werden musste.
Aufgrund der speziellen Maischführung vergärt die S‑33 von den anfänglichen 8 °P, auf die ich verdünne, auf 3,8 °P, was einem scheinbaren Vergärungsgrad von 52,5 % und einem Alkoholgehalt von gerade einmal 2,2 % Vol. entspricht. Damit sehe ich das Ziel eines alkoholarmen Bieres als erreicht an – „fast alkoholfrei” stand auf den Etiketten des Originals. Vor dem Abfüllen und der Flaschengärung kläre ich das Bier anstatt mit Hausenblase dann noch mit Gelatine und Kieselsol aus dem Winzerbedarf.
Das Ergebnis
Das Raucharoma und die Weizen-untypische starke Hopfung haben nur sehr wenig mit bekannten Weizenbieren zu tun. Mir erscheint der eigentliche Witz am Grätzer zu sein, dass trotz eines extrem leichten Schankbiers sämtliche Register gezogen werden, um die Aromenfülle und das Mundgefühl deutlich stärkerer Biere zu simulieren.
Der Rauch und auch die starke Hopfung bringen jede Menge Geschmack ins Glas. Die reine Weizenschüttung sorgt für hohe Viskosität (man sieht die Kohlensäureperlen nur ganz langsam aufsteigen!) und gemeinsam mit dem Chlorid für eine Mundfülle, die man sonst nur von stärkeren Bieren kennt. Uneingeweihte Verkoster wollen daher regelmäßig gar nicht den geringen Alkoholgehalt glauben.
Verkostung
Das Bier hat sich vollständig geklärt und kommt völlig blank ins Glas. Der geringe Bodensatz klebt dank der Gelatine fest am Flaschenboden. Im Geruch dominiert natürlich erwartungsgemäß, aber nicht unangenehm übertrieben der Eichenholzrauch, gepaart mit einer außerordentlich blumigen Hopfennote. Der Trunk ist rein, voll und sehr aromatisch. Man glaubt tatsächlich, ein Vollbier im Mund zu haben. Die Hopfenbitte ist ausgeprägt, aber keinesfalls unangenehm und hängt nicht nach.
Alterungsversuch
Dem originalen Grätzer wurde eine außerordentliche Lagerfähigkeit nachgesagt – „von unübertroffener Haltbarkeit” stand auf den Etiketten. Für ein Weizenbier, noch dazu ein derart leichtes, wäre das extrem ungewöhnlich. Mit langer Lagerung habe sich außerdem ein Apfelaroma eingestellt.
Ich habe zwei eigene Grätzer nach obigem Rezept, das eine nach 18, das andere nach 30 Monaten Lagerung, parallel verkostet. Beide waren tadellos, weder sauer noch oxidiert, sehr mild und rund und immer noch sehr aromatisch. Vielleicht wirkt sich tatsächlich der Rauch konservierend aus. Ich hätte nie eine derart gute Haltbarkeit eines hellen und dünnen Weizenbiers erwartet! Vom besagten Apfelaroma konnte ich mir aber, wenn überhaupt, allenfalls Spuren einbilden.
Vergleich mit kommerziellen Beispielen
- Vereinigte historische Bierfanatiker (Jopen zusammen mit Ron Pattinson und Evan Rail)
100 % eichenholzgeräuchertes Weizenmalz
Stammwürze 7,7 °P
Lublin-Hopfen, angeblich Originalhefe
Alkohol 4,0 % Vol.
Dies ist wahrscheinlich die getreueste historische Rekonstruktion. Es gibt sie einmal unter dem Namen „Grätzer“ in klassischer Version sowie unter „Grodziskij“ zusätzlich mit Weidenrinde.
So ganz wollen für mich die Stammwürze und der Alkoholgehalt nicht zusammenpassen, denn dafür bräuchte es schon 100 % scheinbaren Vergärungsgrad. Das Bier kommt etwas trüber daher und hat einen starken, aber festen Bodensatz. Gut ins Bild passen das starke Raucharoma und die mächtige Bittere. In der Mitte wirkt es etwas weinig, und dann kommt noch mal eine ziemliche Süße, sodass ich das mit der hohen Vergärung nicht recht glauben mag. Zur angenehmen Herbe im Nachklang gesellt sich bei der Weidenrinde-Version noch eine Adstringenz, die man wohl mögen muss.
- Dr. Fritz Briem Historic Signature Series
Piwo Grodziskie Sour Smoked Wheat Ale
Alkohol 4 % Vol.
Das ist eine deutlich freiere Interpretation als Sauerbier (was das historische Original gar nicht war) und mit Gersten-Luftmalz sowie birkenholzgeräuchertem (anstatt Eiche) Weizenmalz. Als Hopfen werden Perle und Saazer verwendet.
Zunächst fällt die extrem geringe Karbonisierung auf. Die Säure ist klar erkennbar, aber zum Glück recht verhalten, ebenso der unterschwellige, aber keinesfalls dominante Rauch.
Die auf dem Etikett genannte „schwere Hopfung” bewahrheitet sich nicht (zum Glück, das hätte wohl kaum zur Säure gepasst), selbst im Nachhall bleibt eher eine Süße als eine Bittere zurück. Ein zwar interessantes, aber wohl nur bedingt stiltypisches Bier.
Quellen:
[1] „Grodziskie redivivus” Project, report on the state of works of the PSPD (Polish Homebrewers Association) commission for the Grodziskie beer, January 2012. Als PDF herunterladen.
[2] Jürgen Knoke: Grätzer – ein verschwundener Bierstil kehrt zurück. brau!magazin Frühjahr 2015
Reisspelzen bewirken hier beim Abläutern wirklich Wunder. Ich habe das Rezept für ca. 10 L nachgebraut und vor dem Abläutern ca. 1/4 Pfund „Rice Hulls” separat in 78 Grad warmem Wasser eingeweicht und hinzugefügt. Das Läutern ging damit so einfach wie mit einer reinen Gesternmalzschüttung.
Ich habe auch einen Versuch unternommen. Es ist in der Tat unfassbar trüb, aber Läutern ließ es sich dann doch ganz passabel. Ich musste allerdings mehrfach aufschneiden. Jetzt bin ich mal auf das Ergebnis gespannt.