Eigentlich sollte dieser Artikel die Eröffnung der neuen Stone-Brauerei in Berlin feiern, aber dann kam kurz vor Redaktionsschluss die Nachricht, dass Stone in den USA Stellen streichen würde. Die genauen Zahlen waren nicht ganz klar, es hieß oft „einige Dutzend”, an anderer Stelle war von „75+” die Rede. Die offizielle Verlautbarung spricht von fünf Prozent der Angestellten, wobei deren Zahl mit über 1.100 angegeben wird.
Dabei sah es nicht nur dieses Jahr nach ungetrübtem Erfolg für Stone aus. Nachdem der Bierausstoß seit Gründung im Jahr 1996 immer schneller stieg und 2015 die Marke von einer halben Million Hektoliter nahm, investierte die kalifornische Craft-Brauerei in letzter Zeit kräftig: 25 Millionen Dollar in die Berliner und 75 Millionen in die Brauerei in Richmond, Virginia. Außerdem soll noch 2017 eine 1.000 Quadratmeter große Pilotbrauerei mit Tasting-Raum in Napa eröffnet werden [2], und der Name Stone wurde an ein 26 Millionen Dollar teures Hotelkonzept in Escondido lizenziert, das Anfang 2018 eröffnen soll [3]. Bis vor kurzem sah es also nach ungebremstem Wachstum aus.
In diesem Jahr scheint das Wachsen aber etwas ins Stocken geraten zu sein. CEO Dominic Engels sieht den Grund dafür vor allem im steigenden Druck der Großbrauereien auf das Craft-Bier-Segment. Die vielen Aufkäufe der letzten Monate (siehe dazu auch den Artikel Turbulenzen in der Craft-Brau-Szene in der Winterausgabe 2015/16) führen verbunden mit der Marktmacht der großen Bierkonzerne scheinbar dazu, dass der Marktzugang für die unabhängigen Brauereien schwieriger wird. Wenn dann Umsatzziele nicht erreicht werden, die Grundlage der Großinvestitionen waren, müssen die Kosten angepasst werden, und das geht leider immer noch am schnellsten durch Entlassungen.
Die Großen der Craft-Bier-Branche geraten dabei schneller in die Kostenfalle. Ihre Größe verlangt überregionalen Vetrieb, der am anfälligsten für die Querschüsse von „Big Beer” ist. Zudem sind die großen Brauereien oft mit fremdem Kapital finanziert, das nach Rendite verlangt.
Auch die rasend schnelle Expansion macht Stone ganz sicher zu schaffen. Greg Koch düst schon seit über einem Jahr ständig zwischen den Standorten in den USA und Europa hin und her, und viele seiner Manager und Angestellten werden es wohl ebenso tun. Die Belegschaft der neuen Brauereien und Bistros wurde innerhalb weniger Monate von null auf mehrere hundert Mitarbeiter gebracht, verbunden mit einem enormen Aufwand für Einstellung, Einarbeitung und Qualitätssicherung.
Und letztlich hat auch der Weggang des langjährigen Chefbraumeisters Mitch Steele Ende Juni die Firma hart getroffen. Er will nach über zehn Jahren bei Stone mit einer Investorengruppe ein eigenes Brauprojekt aufbauen. Nachdem ihn Stone 2006 bei Anheuser-Busch abgeworben hatte, war er maßgeblich für die Entwicklung eines großen Teils von Stones Repertoire an Bieren verantwortlich und einer der angesehensten Braumeister der USA. Hobbybrauern ist er auch durch sein 2012 bei Brewers Publications erschienenes IPA-Buch bekannt [4]. Welche Lücke er bei Stone hinterlässt, macht auch der Umstand deutlich, dass zunächst kein neuer Chefbraumeister berufen wurde.
Stone wird sich sicher von dieser Delle in seiner positiven Entwicklung erholen. Dazu tragen eine einmalige Palette an einzigartigen Bieren und das Talent, diese als Event zu inszenieren, bei. Greg Koch bleibt eine der schillerndsten Figuren des Craft-Brauerei-Business und zieht mit seinem Charisma Unmengen von treuen Fans an. Die alte und die neuen Brauereien sind eine solide Grundlage.
Und damit kommen wir endlich zum eigentlichen Thema: Am 14. September feierte Stone mit mehreren hundert Gästen die offizielle Eröffnung der neuen Brauerei und der Stone Brewing World Bistro & Gardens Berlin.
Das erste Mal konnte man die über 3.000 Quadratmeter große Halle auf dem Gelände des 1901 erbauten ehemaligen Gaswerks Mariendorf schon Anfang 2015 zur Abschlussveranstaltung der ersten Berlin Beer Week begutachten (siehe auch den Artkel zur Berlin Beer Week). Damals war ihre enorme Größe noch besser erkennbar, als sie ungeteilt und lediglich weiß getüncht wie ein gigantischer Marktplatz die Stände von zig Brauereien aufnahm, ohne auch nur im Geringsten gefüllt zu erscheinen. Im Dezember 2015 ging die 10-Hektoliter-Pilotbrauerei in einem Anbau der Halle in Betrieb.
Inzwischen wurde in die große Halle eine gläserne Zwischenwand eingezogen, die etwa ein Drittel der Fläche für das Hauptbrauhaus abtrennt. Der Rest des Raumes, in dem immer noch mehrere hundert Gäste Platz haben, wirkt dadurch nicht weniger gigantisch. Er ist im Stil eines Altstadt-Marktplatzes mit Laternen und locker verteilten, mit großen Findlingen und Baumstämmen abgetrennten Sitzgruppen eingerichtet. Neben dem Hauptraum finden die Gäste auf einer großen Empore und der im Vorraum eingerichteten Library-Bar Platz. Der 150 Quadratmeter große ehemalige Lokschuppen im Garten kann für private Feiern gemietet werden.
Im 5.000 Quadratmeter großen Biergarten vor der Backsteinfassade sitzt man im Sommer ebenso locker auf verschiedenen Ebenen und Flächen, die mit Felsen, Bäumen und Wegen aufgelockert sind, sodass die momentan vielleicht 100 bis 200 Sitzplätze problemlos mehrfach erweitert werden können. Die Gesamtanlage ist absolut einmalig für Berlin und dürfte auch in Europa kaum Ebenbürtiges finden.
Am Eröffnungstag fanden im Halbstundentakt Brauereiführungen statt. Die Teilnahme lohnte sich unbedingt, denn die 100-Hektoliter-Brauerei ist absolut sehenswert. Die Firma Steinecker Maschinenfabrik, seit 1983 eine Krones-Tochter, baute den Brauern ein modernes 4‑Geräte-Sudwerk mit einem Ausschlag von 100 Hektolitern.
Die Kapazität, die bei durchaus möglichen engen Sudfolgen mit 10 bis 12 Suden täglich eine Jahresproduktion von bis zu 350.000 Hektolitern erlaubt, wird zurzeit bei weitem nicht ausgenutzt. Die Tankkapazitäten sind in der momentanen Ausbaustufe auf etwa 45.000 Hektoliter pro Jahr ausgelegt. Es gibt aber genug Platz, um die Tanks zu erweitern und so flexibel auf steigende Nachfrage zu reagieren. Über eine Erweiterung auf 150.000 Hektoliter wird bereits gesprochen.
Abfüllung und Lager befinden sich in einer zweiten Halle, die nochmals etwa 2.000 Quadratmeter Fläche bietet. Wie bekannt füllt Stone die Produktion für Europa ausschließlich in Dosen ab. Trotzdem gibt es einen Flaschenfüller, der allerdings zumindest im Moment exklusiv Champagnerflaschen für den Vertrieb in den USA abfüllt.
Der Dosenfüller, ein Krones Craftmate mit einer Leistung von bis zu 12.000 Dosen pro Stunde, steht im Nebenraum. Die Maximalleistung wird auch hier momentan nicht genutzt, denn die aktuelle Tagesproduktion von 100 Hektolitern würde die Maschine locker in zwei bis drei Stunden abfüllen. Neben den ständigen Sorten Stone IPA, Go To IPA, Ruination Double IPA, Arrogant Bastard Ale und Cali-Belgique IPA wird zurzeit das saisonale Xocoveza, ein Mokka-Stout, in die Dosen gebracht. Der Stone-Bierkalender [5] informiert über die geplanten Saisonspezialitäten.
Im Lager türmen sich trotzdem schon beachtliche Mengen an Paletten mit Dosen für den Vertrieb nach Deutschland und das europäische Ausland. Über die Dosen wurde ja schon ausgiebig diskutiert, aber während die Entscheidung für den lokalen Vertrieb wohl eher fragwürdig ist, machen Dosen im Export, wo es auf jedes Gramm Gewicht ankommt, kein funktionierendes Pfandsystem existiert und die Rücklieferung des Leerguts kaum möglich ist, aber die Dosen dagegen problemlos recycelbar sind, ganz sicher Sinn.
Bevor am späteren Abend locker gefeiert wurde, gab es eine Ansprache der Bürgermeisterin und von Greg Koch mit Steve Wagner. Zuvor konnte man sich schon am Buffet und einigen Ständen im Garten stärken. Bier gab es von etwa 65 Hähnen. Über 50 davon waren mit Stone-Bieren bestückt, während an den restlichen Biere von anderen Berliner Craft-Brauereien gezapft wurden. Der Großteil der Stone-Biere – alle mit „Prototype” gekennzeichneten – wurde als Versuchssud auf der 10-Hektoliter-Pilotanlage gebraut.
Maximal kann später dann sogar an fast 100 Hähnen gezapft werden, die auf die große Theke im Bistro und eine kleinere in der Library-Bar verteilt sind. Zur Eröffnung kamen noch mehrere Bars im Garten dazu.
Höhepunkt des offiziellen Teils war dann der Anstich eines Holzfasses durch Greg Koch. Ich bin nicht in den Genuss gekommen, davon zu kosten, denn das Gedränge war groß, und das Fass fasste nur 50 Liter, die in wenigen Minuten unter den weniger zurückhaltenden Fans ausgeschenkt waren.
Kein Problem, denn das Bier floss an allen Bars in Strömen. Der Abend wurde in der lauen Sommernacht noch lang.
Stone hat mit dieser Location Berlin einen Craft-Bier-Tempel geschenkt, der seinesgleichen sucht. Der weite Weg aus der Stadt lohnt sich allemal, um die Hallen und das Bier kennenzulernen. Um die großen Räume dauerhaft zu füllen, müssen sich die Betreiber aber einiges einfallen lassen, denn auf Laufkundschaft kann man in Mariendorf nicht wirklich zählen.
Hier noch einige Zitate zur Restrukturierung, übersetzt vom Autor:
Mitch Steele, ehemaliger Braumeister bei Stone:
Ich fühle mich geschockt und unglaublich traurig wegen vieler meiner Freunde bei Stone Brewing Co. Wie konnte es dazu kommen?
Greg Koch, Vorstandsvorsitzender und Mitgründer von Stone Brewing, und Steve Wagner, Präsident und Mitgründer:
Diese und andere Anpassungen, die wir intern durchgeführt haben, helfen Stone für die Zukunft – komme, was wolle. Wir sehen immer noch Wachstum, nur eben etwas bescheideneres Wachstum. Wir konzentrieren uns auf die langfristige Entwicklung unseres Geschäfts in Nordamerika und Europa, inklusive der Ostküste, für die unser neuer Standort Richmond verantwortlich ist. Es gibt keine Änderung unserer Pläne oder unseres Vertrauens in unser Werk in Virginia. Stone wächst weiterhin wie in der Vergangenheit stärker als der Markt.
Die Belegschaft in Richmond wurde von der jüngsten Restrukturierung nur minimal getroffen. Wir haben den wenigen betroffenen Mitarbeitern, die alle in verantwortungsvollen Positionen an der Durchführung des Projekts arbeiteten, 60 Tage Gehalt und Unterstützung bei der Jobsuche angeboten. Wir beschäftigen immer noch 61 Mitglieder des Teams und werden die für das erste Betriebsjahr geplanten 88 Stellen komplett besetzen. Wir planen außerdem, 200 zusätzliche Mitarbeiter zur Eröffnung der Stone Brewing World Bistro & Gardens Richmond einzustellen, deren Eröffnung wie geplant bis zum Jahresende 2019 erfolgen wird. Unser geplanter Ausstoß bleibt 2016 für die Brauereien in Richmond und Escondido auf der geplanten Höhe.
Dominic Engels, Geschäftsführer von Stone Brewing:
Wegen einer unvorgesehenen Verlangsamung unseres stetigen Wachstums und Veränderungen in der Craft-Bier-Landschaft mussten wir die schwere Entscheidung treffen, unsere Belegschaft zu restrukturieren. Leider geschieht das in einem Jahr, das die unglaublichen Erfolge der Eröffnung von zwei neuen Brauereien einschließt, die die Verfügbarkeit von Stone-Bieren ultimativ erweitern und das Ansehen des amerikanischen Craft-Biers in Europa steigern.
In jüngerer Zeit waren die größeren unabhängigen Craft-Brauer jedoch einem unheimlichen Druck ausgesetzt. Insbesondere Big Beer begann als Ergebnis ihrer Aufkaufstrategie größeren Druck auszuüben, und das Wachstum bei der Entstehung kleiner, lokaler Brauereien ist zurückgegangen. Weil das Geschäft und der Markt damit weniger zuverlässig vorhersagbar sind, müssen wir restrukturieren, um eine gesunde Zukunft für unser Unternehmen sicherzustellen. Trotz dieser unglücklichen Umstände werden wir weiterhin völlig unabhängig bleiben, und – ganz wichtig – Stone bleibt einer der größten, wenn nicht der größte Arbeitgeber im Craft-Brau-Segment.
Es ist entscheidend zu erkennen, dass diese Entscheidung nach Berücksichtigung aller Umstände getroffen wurde. Etwa fünf Prozent der Mitarbeiter waren betroffen, und ihnen wurde eine großzügige Kündigungsfrist inklusive 60 Tage bezahlter Freistellung (mehr für Mitarbeiter mit längerer Betriebsangehörigkeit) sowie Hilfe bei der Jobsuche angeboten. Die Mitarbeiter, die nicht mehr in unserer Firma arbeiten, sind talentierte, engagierte Personen, die in verantwortungsvollen Positionen in unserer Organisation gearbeitet haben, und wir erwarten, dass ihr Können sehr gefragt ist. Dieser Abbau spiegelt nicht ihre geleistete Arbeit wider, sondern eine sorgsame Entscheidung, die getroffen wurde, um sicherzustellen, dass unsere Firma wettbewerbsfähig und profitabel bleibt. Es sind keine weiteren Entlassungen in Stones vorhersehbarer Zukunft geplant.
Zusammenfassend wollen wir die folgenden Punkte betonen:
- In diesem Jahr haben wir verschiedene große Investitionen abgeschlossen, an denen wir seit einigen Jahren gearbeitet haben.
- Ein kürzlicher Rückgang des Inlandsabsatzes im Marktsegment und für Stone hat uns zur Restrukturierung gezwungen, um unsere Unabhängigkeit in einem Markt mit zunehmendem Wettbewerb zu sichern.
- Stone bleibt einer der größten – wenn nicht der größte – Arbeitgeber im Craft-Bier-Segment und widmet sich weiter der Aufgabe, unsere Fans mit frischem Bier zu versorgen.
Quellen:
- Offizielle Mitteilungen von Stone im Magazin „Craft Beer Business”
https://www.craftbrewingbusiness.com/news/stone-brewing-sends-two-statements-layoffs-one-specifically-richmond-rumors/ - Mitteilung über Pilotbrauerei und Tasting-Raum in Napa beim Blog „Brewbound”
http://www.brewbound.com/news/stone-brewing-open-tap-room-pilot-brewery-napa - Mitteilung über das Stone-Hotel in Escondido beim Blog „Brewbound”
http://www.brewbound.com/news/stone-brewing-licenses-name-26-million-hotel-concept - Mitch Steele: IPA: Brewing Techniques, Recipes and the Evolution of India Pale Ale
Brewers Publications, Boulder, Colorado, USA 2012 - Stone-Bierkalender: http://www.stonebrewing.eu/shop/beer-release-schedule
Alle Fotos vom Autor.