Ein lange überfälliger Lückenschluss,
der das Zeug zum Standardwerk hat
In der deutschen Hobbybrauer-Literatur klafft eine schmerzliche Lücke. Bis jetzt. Zwar gibt es etliche, teilweise seit Jahren etablierte Bücher, die sich aber fast ausnahmslos an den absoluten Hobby-Anfänger richten. Darin wird Schritt für Schritt vorgemacht, wie man zu ersten trinkbaren Ergebnissen kommen kann. Die Autoren schildern dabei überwiegend ihre eigene Vorgehensweise, wobei nicht verschwiegen werden darf, dass darin auch manche recht zweifelhafte Techniken und merkwürdig unausgewogene Rezepte kursieren – was zum Beispiel im Internetforum hobbybrauer.de dann mühsam wieder geradegebogen werden muss. Hat ein Einsteiger anhand dieser Literatur die ersten Gehversuche hinter sich und will sich weiterentwickeln, die Hintergründe der Arbeitsschritte verstehen und Alternativen hinterfragen oder eigene Rezepte entwickeln, tut sich die schmerzhafte Lücke auf.
Auf der anderen Seite gibt es die etablierten Lehrwerke für akademische oder handwerkliche Profis, die viele Hobbybrauer aber hoffnunglos überfordern und in ihrem trockenen, wissenschaftlich gehaltenen Stil nicht gerade eine abwechslungsreiche Lektüre verheißen.
Die amerikanische Hobbybrauerszene, die der deutschen nicht nur zeitlich um einige Jahre voraus ist, bietet hier Bücher, die sowohl den Horizont erweitern, wertvolle Anregungen zu Verfahren, Rohstoffen und Bierstilen liefern als auch in Schreibstil und grafischer Aufmachung ausgesprochen einladend gestaltet sind. Als nur ein Beispiel seien die fast schon legendären Bücher von Randy Mosher genannt. So etwas fehlte im deutschsprachigen Raum bislang vollkommen.
Wer wäre besser geeignet, diese Lücke zu schließen, als Jan Brücklmeier: Er ist selbst durch das Hobby zum Brauen gekommen, hat in Weihenstephan Brauwesen studiert und arbeitet seit einigen Jahren in der Lebensmittelbranche in den USA, sodass er die Hobbybrauerszene sowohl diesseits als auch jenseits des Atlantiks bestens kennt. Und als langjähriger engagierter Teilnehmer des Hobbybrauer-Forums weiß er aus eigener Erfahrung nur zu gut, welche Wissenslücken bei vielen Anfängern nach wie vor klaffen.
Bevor es konkret ans Bierbrauen geht, werden erst einmal Grundlagen geschaffen: Die Geschichte des Biers wird in lockerem Plauderton, ausgehend von prähistorischen Anfängen, kurz umrissen, und auch mancher überkommene Mythos rund um das vieldiskutierte Reinheitsgebot wird ausgeräumt. Anschließend werden die wichtigsten Eigenschaften von Bier anhand quantifizierbarer Daten erklärt, wobei übersichtliche Tabellen unterschiedliche Einheiten und Formelzeichen vergleichend darstellen. Damit wird, bevor es so richtig losgeht, erst einmal Klarheit im Begriffswirrwarr geschaffen, denn häufig stolpert man auch in Forumsdiskussionen über uneinheitlich gebrauchte Bezeichnungen etwa der unterschiedlichen Vergärungsgrade. Auch Erläuterungen zu den Angaben auf Flaschenetiketten findet man sonst selten.
Sehr schön gemacht ist die umfangreiche Auflistung aller derzeit relevanten Bierstile, die sowohl klassische kontinentaleuropäische als auch angloamerikanische sowie französische und belgische Stile umfasst. Jedem Bierstil ist eine Art Sedcard gewidmet, jeweils mit typischen Kennwerten, einer kurzen Historie des Stils und einem Spinnendiagramm der charakteristischen Aromen.
Dann geht es ans Brauen. Jan geht dabei von einer 20-Liter Einkocheranlage aus, was tatsächlich einer der verbreitetsten Wege zum Hobby ist, weist aber ausdrücklich auf die Übertragbarkeit auf andere Anlagen hin und verficht niemals dogmatisch nur einen bestimmten Weg, sondern zeigt bewusst Alternativen auf.
Trotz einer sehr gut gemachten und vollständigen Einkaufsliste für eine 20 Liter-Anfangsausrüstung darf nicht verschwiegen werden, dass absolute Neueinsteiger wohl weniger zur Zielgruppe des Buchs gehören. Sie würden sich im Folgenden wohl zunehmend fragen, wann es denn endlich mit dem konkreten Brauen losgeht, während das Buch sich in zunehmende Tiefe begibt und auch umfangreiche Theorieteile nicht auslässt. Der Anfänger hätte hier vielleicht Schwierigkeiten zu unterscheiden, was für die ersten Sude zwingend notwendig ist, was mögliche Alternativverfahren sind, was dem Verständnis der wissenschaftlichen Hintergründe dient und wo künftiges Perfektionierungspotenzial liegt.
Der bereits fortgeschrittene Hobbybrauer aber, an den sich das Buch primär richten dürfte, erfährt eine geballte Fülle fachlicher Informationen, die sich in dieser Konzentration und dennoch flüssig lesbaren Form anderswo kaum finden dürften: über Kegging, über Schrotzusammensetzung und Malzmühlentypen, über die detaillierte Wirkung der Enzyme und vieles mehr.
Sehr ausführlich und übersichtlich werden die unterschiedlichen Maischverfahren, deren jeweilige Vor- und Nachteile und Anwendungsfälle für bestimmte Bierstile herausgearbeitet. Auch Dekoktionsverfahren und eher exotische Varianten wie das Earlsche Verfahren und das Hermann-Verfahren werden beschrieben. Es soll dabei allerdings nicht verschwiegen werden, dass manche Inhalte und insbesondere die grafische Darstellung des Ablaufs bei Dekoktion mit Umschöpfen treuen Lesern des brau!magazins merkwürdig vertraut vorkommen dürften, ebenso wie gewisse Abbildungen vom Siphon-Läuterhahn oder dem Druckabfall am Läuterboden. Hier wäre es angemessen gewesen, im (durchaus vorhandenen) Quellenverzeichnis zumindest darauf zu verweisen.
Sehr erfreulich ist jedoch, dass neben dem Maischen und Läutern endlich auch der für das Endergebnis fast noch wichtigere Kaltbereich sein angemessenes Gewicht erhält: Detailliert werden unterschiedliche Varianten der Gärführung bei ober- und untergäriger Hefe dargestellt, verschiedenste Anstellverfahren wie Drauflassen und Kräusengeben beschrieben und vieles mehr. Und endlich bekommen auch in einem deutschsprachigen Hobbybuch derzeit gehypte Themen wie Hopfenstopfen und Holzfassreifung ihren Platz und werden einschließlich ihrer technologischen Hintergründe beschrieben.
Nach den technologischen Grundzügen des Bierbrauens geht Jan ab der Mitte des Buchs näher auf die vier Hauptzutaten des Biers ein. Zunächst sensibilisiert er dabei für den Einfluss des Brauwassers auf die Bierqualität und gibt dem Leser eine detaillierte, aber sicher auch für Chemielaien verständliche Einführung in die Wasserchemie des Brauens. Die wichtigsten Aufbereitungsverfahren werden mit ihren individuellen Stärken und Limits genauso vorgestellt wie die für eine korrekte Dosierung notwendigen Berechnungsschritte. Der regelmäßige Leser des brau!magazins findet in der Aufmachung womöglich Ähnlichkeiten zum dortigen Artikel über Brauwasser und sollte sich entsprechend schnell zurechtfinden.
Als „Extraktlieferanten“ der Bierwürze werden zunächst Gersten- und Weizenmalz mit ihren wichtigsten Qualitätsparametern beleuchtet, um danach eine knappe Übersicht alternativer Getreide zu geben. Neben dem industriellen Mälzungsprozess, der anhand zahlreicher Fotos und Grafiken ansprechend aufgedröselt wird, geht Jan auch auf die Do-it-yourself-Bereitung von Malz mit heimischen Mitteln ein. So kommt auch der überzeugte Selbermacher voll auf seine Kosten. Bei der Vorstellung diverser Spezialmalze zeigt sich besonders in der Auflistung ganzer zehn verschiedener Rauchmalze mit Geschmacksbeschreibungen die Liebe zum Detail. Abgerundet wird das Kapitel mit einer Vielzahl an Rezepten, die Einsatzmöglichkeiten diverser Extraktlieferanten aufzeigen und so umgehend zu eigenen Versuchen motivieren.
Auch der Hopfen wird in einer klaren Gliederung behandelt. Nachdem mit zahlreichen Bildern Botanik, Herkunft und Einsatzmöglichkeiten unseres grünen Goldes geklärt wurden, folgt eine Charakterisierung der großen Anbaugebiete weltweit nach ihren aromatischen Besonderheiten. Ein großer Aromafächer mit dutzenden Hopfensorten lädt den Leser zur Rezepterstellung ein. Angenehm: Jan verzichtet auf Seitenfüller durch Copy & Paste hunderter Hopfenbeschreibungen, sondern konzentriert sich auf dreizehn archetypische Hopfensorten wie Centennial, Saazer und Hallertauer Mittelfrüher. Eine umfangreichere Liste von Hopfensorten findet sich kompakt im Anhang.
Auch der Hefe wird endlich die nötige Aufmerksamkeit der deutschsprachigen Populärliteratur zuteil. Im Kern der Betrachtung steht hierbei der Hefestoffwechsel der S. cerevisiae mit allem, was sie aus der Würze aufnehmen soll und in der Folge an (Aroma-)Substanzen an das Bier abgibt. Lediglich die unter Freunden belgischer Biere beliebte und so unglaublich diverse Hefegattung der Brettanomyces nimmt beim Weihenstephaner Technologen eher eine Randstellung ein. Ob er hier schon an weiteren Büchern plant?
Ein längt überfälliges Novum in der Hobbyliteratur dürfte auch das Kapitel über Qualitätssicherung darstellen. Bereits die Einführung in den richtigen Umgang mit den hobbyüblichen Messwerkzeugen sollte in Zukunft viele Missverständnisse unter Heimbrauern ausräumen. Umfangreich werden auch Sensorik und Bierverkostung diskutiert. Im Vordergrund stehen dabei die neutrale Herangehensweise an die Verkostung und zielgerichtetes Training der Sinne. Bitter notwendig bei der Beurteilung des eigenen Bieres, bei der man nur zu gerne die rosarote Brille aufsetzt.
Schließlich klopft das letzte Kapitel Troubleshooting den gesamten Brau- und Gärprozess auf die typischen Malheure des Hobbybrauens ab. Seien es eine mangelhafte Sudhausausbeute, Gärstockungen, Schaumprobleme, Überkarbonisieren oder Fehlaromen: Hier kann Jan auch den absoluten Anfänger abholen, der im Vorderteil des Buchs womöglich einige Passagen übersprungen hat, da sie über das hinausgehen, was für die ersten Sude an fachlichem Rüstzeug erforderlich ist.
Damit der Leser den dargestellten Problemen, gerade mikrobieller Ursache, am besten erst gar nicht begegnet, werden schließlich die Eckpfeiler einer bedarfsgerechten Reinigung vermittelt. Reinigungsmittel und Handhabung werden hierbei professionell an den jeweiligen Verunreinigungen ausgelegt. Wie im gesamten Buch spürt man auch hier wieder die jahrzehntelange berufliche Expertise des Autors in der Lebensmittelindustrie.
Der Anhang komplettiert den Nachschlagecharakter des Werkes. Neben wichtigen Berechnungsformeln des Sudhauses sowie Vordrucken für Sud- und Verkostungsberichte bieten jede Menge Tabellen einen schnellen Überblick zu verschiedensten Aufgaben: von der obligatorischen Plato-Tabelle, die in keiner Brauerei fehlen sollte, über die Rohstoffe mitsamt Substitutionsvorschlägen bis hin zu einem Lieferantenverzeichnis, von dem man nur hoffen kann, dass es einige Zeit lang aktuell bleiben möge.
Mit 500 Seiten hat Jans Buch einen gewaltigen Umfang, doch besteht damit die Chance, dass endlich einmal ein allgemeingültiges Standardwerk zum Thema Hobbybrauen geschaffen wurde, in dem alles derzeit relevante Wissen, wie es beispielsweise im Hobbybrauer-Forum kursiert oder bereits hier im brau!magazin erarbeitet wurde, in gültiger Weise zusammengetragen wurde. Und wenn damit in Zukunft auf immer wiederkehrende Fragen einfach auf Jans Buch referenziert werden kann, dann hat sich die gewaltige Aufgabe Jans mehr als gelohnt! Zumal das Buch, auch das ist ein Lichtblick, über ein umfangreiches und vollständiges Inhaltsverzeichnis verfügt, das solches Verweisen sehr erleichtern dürfte.
Eine sehr treffende Rezension, die ich (wenn auch erst auf Seite 150 angekommen) teile. Lediglich bei den Temperaturangaben in den Praxisbeispielen zu den Maischmethoden sind mir noch zu viele Fehler, die der Anfänger nicht ohne weiteres entdeckt. Aber für den ist das Buch ja nicht geschrieben.
Für jeden, den nach ein paar Suden der Brauvirus gepackt hat, ist das Buch eine Empfehlung!
Übrigens, wo ich schon einmal beim Mäkeln bin: das Buch hat 492 Seiten, nicht 384 😉
Hi Hyper472,
Danke für dein Feedback.
Ich will allerdings relativieren das meines Wissens nach die Temperaturen für den Hauptguss bei einigen Beispielen etwas zu hoch liegen, was zu einer 2–3 Grad höheren Einmaischtemperatur führt. Das ist richtig und einem systematischen Fehler in meinem Rechner geschuldet. Alle anderen Temperaturen dürften, unter Berücksichtigung der thermischen Masse eines Einkochers, wieder passen.
Das Problem der zu hohen Hauptgusstemperatur relativiert sich aber auch für den Anfänger wieder wenn er der Anleitung folgt. Die hat nämlich die Kontrolle der Einmaischtemperatur und deren Korrektur als Prozessschritt enthalten.
Das Problem der Hauptgusstemperatur wird aber natürlich bei einer eventuellen Neuauflage korrigiert.
Soll jetzt auch überhaupt keine Entschuldigung sein und ich bin natürlich froh über jeden Hinweis. Ich hab extra die E‑Mail-Adresse Jans.Braubuch@gmail.com eingerichtet um Feedback an einem Ort zu sammeln.
Schöne Grüße
Jan
Lieber Moritz, lieber Andy Danke für den gnädigen Veriss!
Ich hab es ja auch schon persönlich geschrieben, in der nächsten, revidierten Auflage werde ich das mit den Abbildungen ändern. Das war keine Absicht.
Die belgischen Hefen müssen noch etwas warten. Da gibt es ehrlich gesagt Andere die sich da viel besser auskennen. Ich beschäftige mich mit Sauerbieren erst seit drei oder vier Jahren und das auch nur eher oberflächlich. Das muss also bis zum dritten Buch warten, wenn überhaupt. Ich hab mal in meinen Mails nachgeforscht, das jetzige Buch hat ziemlich genau zwei Jahre von der ersten Mail des Verlages bis zum Erscheinen gebraucht. Als Autor wird man jetzt auch nicht wirklich reich, das heißt nach wie vor ist das Hobby, neben Familie, Arbeit und den vielen, vielen anderen Hobbys.
Schöne Grüße
Jan
Sehr schöne Rezension! Ich bin noch lange nicht fertig mit dem Buch, aber genau die beiden Punkte „wichtiger Lückenschluss” und „Zeug zum Standardwerk” haben sich auch mir nach Lesen der ersten etwa 30 Seiten, der Durchsicht des Inhaltsverzeichnisses und grobem Durchblättern des Rest des Buches ziemlich schnell aufgedrängt. Von daher bin ich nach dieser Rezension ganz froh, dass sich dieser Eindruck offenbar bestätigt.
Im Hobbybrauerforum werden ja mittlerweile auch ein paar Fehler und Ungenauigkeiten diskutiert bzw. gesammelt (diverse Formeln, Mischtemperaturen etc.). Meines Erachtens fast unvermeidlich beim Umfang des Werkes. Dennoch hoffe ich, dass es von Verlagsseite zu einer Errata-Seite kommen wird, denn diese Fehler sind für den Anfänger keinesfalls unmittelbar als solche zu erkennen.