Bericht aus dem Bierparadies
Wenn ich an Tschechien denke, denke ich sofort an … meine Frau und dann selbstverständlich an Bier (wer weiß, vielleicht wird sie diesen Artikel auch lesen). Wenn ich nach Tschechien fahre, überlege ich sofort, welche Brauerei ich diesmal besichtigen soll, welche Biere ich kaufen soll und welche Kneipen ich besuchen soll. Und alles nur deshalb, weil das Bier in Tschechien nicht nur ein Getränk ist. Bier ist Liebe, Leidenschaft und Kultur.
Der erste Bericht über Bierbrauen in Tschechien stammt aus dem Jahr 993. In diesem Jahr wurde das Stift Breunau (Břevnov) als erstes Benediktinermännerkloster auf böhmischem Gebiet gegründet. Angeblich bei der Klosterweihe hat der Bischof angefordert, dass die Mönche mehr Zeit ihren „Schäfchen“ als dem Bierbrauen und dem Biertrinken widmen sollen. Es hat wahrscheinlich nicht geholfen, da die Klosterbrauerei erst im Jahr 1889 abgerissen wurde. Die ersten vorhandenen Dokumente, die die Existenz der Brauerei bestätigen, stammen aus dem 13.Jahrhundert.
Mehrere Brauereien, die bis jetzt als industrielle Brauereien Bier brauen, wurden zwischen 14. und 17. Jahrhundert gegründet. Zu den ältesten bis jetzt existierenden Brauereien gehören Pivovar Černá Hora (1298), Opat Broumov (1348) und Bohemia Regent aus Třeboň (1379).
Sehr wichtig nicht nur für die tschechische Geschichte, sondern allgemein für die Geschichte des Bierbrauens waren die Ereignisse, die im Jahr 1842 in Pilsen stattgefunden haben. Ein dunkles, trübes, warm vergorenes Bier aus Pilsen hatte einen so schlechten Ruf, dass sogar mehrere Fässer Bier aus Protest öffentlich auf dem Rathausplatz ausgeschüttet wurden. Um den Böhmen in Pilsen ein gutes Bier zu brauen, berief der Braumeister des „Bürgerlichen Brauhauses“ in Pilsen den bayerischen Braumeister Josef Groll aus Vilshofen nach Pilsen. Am 5. Oktober 1842 braute Groll den ersten untergärigen Sud in Pilsen, der sich aber in einigen Punkten von dem seiner Heimat unterschied. Er verwendete das sehr salzarme, weiche böhmische Wasser, den dortigen Saazer Hopfen und anstelle des zuvor gebräuchlichen dunklen Malzes ein nur leicht geröstetes, sehr helles Malz. Sein Urquell genanntes Bier erhielt dadurch einen charakteristischen Geschmack und die typische goldgelbe Farbe. In diesen Zeiten wurden ca. 30 Brauereien in ganzem Tschechien gegründet, die damals ausschließlich untergärige Biere nach Pilsener Art hergestellt haben wie z.B. Brauereien Jihlava (1860), Staropramen (1869), Starobrno (1872) oder Budvar (1895). Am Anfang der 20. Jahrhundert gab in Tschechien schon fast 400 Brauereien.
Die rasche Entwicklung der tschechischen Brauindustrie wurde durch zwei Weltkriege und durch die danach anschließende Zeit der Zentralplanwirtschaft gestoppt. Es wurden über 300 Brauereien geschlossen, zerstört oder abgerissen.
Der Zufluss von ausländischem Kapital in die tschechische Brauindustrie nach dem Fall des Kommunismus im Jahr 1989 hat einen weiteren Abbau der Brauereianzahl gebracht. Fast 30 industrielle Brauereien wurden in den letzten 25 Jahren geschlossen. Die Mehrheit der geschlossenen Brauereien war nicht konkurrenzfähig gegenüber den riesigen Konzernen. 12 Brauereien wurden aber von Konzernen gekauft und dann sehr schnell geschlossen. Die erste Geige hat hier Onkel Heineken gespielt, der innerhalb von 3 Jahren vier von sieben seiner eigenen Brauereien geschlossen hat (geschlossen: Kutná Hora, Znojmo, Louny, Krásné Březno; noch in Betrieb: Starobrno, Velké Březno, Krušovice).
Zusammen mit dem Fall des Kommunismus hat in der Tschechischen Republik eine ganz neue Geschichte angefangen – die Geschichte der Mikrobrauereien. Die erste Mikrobrauerei wurde aber schon deutlich früher gegründet – im Jahr 1499 und ist bekannt als die einzige Brauerei im Mitteleuropa, die das Bier seit mehr als 500 Jahren ohne Unterbrechungen braut und die ganze Zeit lediglich einen Typ – böhmisches Dunkel. Am Ende des Jahres 1999 gab es in Tschechien lediglich 20 Mikrobrauereien. Bis 2005 wurden die nächsten 20 und bis 2009 weitern 37 Mikrobrauereien eröffnet.
Und dann hat es richtig geboomt. Zurzeit arbeiten in Tschechien 48 industrielle Brauereien und ca. 230 Mikrobrauereien, was mehr Brauereien pro Einwohner als in Deutschland ergibt. Und die Anzahl wächst weiterhin enorm… Man kann sich eigentlich nicht wundern, da die Tschechen am meisten Bier in der Welt trinken (im Jahr 2013 144L pro Einwohner).
Tschechien ist ein Bierhimmel nicht nur wegen der Vielfalt und Anzahl der Brauereien. Das Bier ist dort sehr preiswert. Nur die Einheimischen beschweren sich, dass das Bier teuer geworden ist und sie haben auch ein Grund dafür. Das Flaschenbier kostet jetzt das Sechsfache des Preises von 1984 und das Bier war damals im Gasthaus auch nicht viel teurer als im Laden. Zurzeit kostet das Bier in der Kneipe im Mittel 22 Kronen (ca. 0,80€). In Europa ist es nur noch in der Ukraine billiger. Natürlich sind wirklich gute Biere teurer, aber trotzdem ist es preisgünstig. Für übliches Bier in der Mikrobrauerei muss man ca. 30–40 Kronen (1,10–1,50€) bezahlen.
Und wohin soll man nach Tschechien fahren, um etwas besonderes rund um das Bier zu sehen? Klar, wenn man Bier und Sehenswürdigkeiten verbinden will, sollte man unbedingt nach Prag fahren. Das ist aber kein Geheimwissen 😉 . Prag bietet 21 Mikrobrauereien. Im Zentrum sollte man auf jeden Fall das böhmisches Dunkel bei „U Fleku“ und auch das stärkste tschechische Bier in „u Medvidku“ (33°Plato) probieren. Die Liebhaber von Bieren der neuen Welle sollten unbedingt „U Tří růží“ und „Klášterní pivovar Strahov“ besuchen. Empfehlenswert ist auch ein Besuch der Brauerei im Kloster Břevnov, die im Jahr 2011 wiedereröffnet wurde.
Ein weiteres Pflichtziel ist Plzeň (Pilsen) mit der Urquellbrauerei und 4 weiteren Mikrobrauereien (U Pašáka, Purkmistr, U rytíře Lochoty, Pivovar Groll).
Empfehlenswert ist vor allem die Besichtigung der Groll-Brauerei. Die Sudpfanne ist dort in einem Kachelofen eingebaut, wird mit einem Holzfeuer geheizt und das Bier wird ausschließlich in Holzfässern vergoren und gelagert.
Aber wohin sollte man fahren, um wirklich etwas Besonderes weit vom Stadtlärm zu sehen und zu erleben? Im Riesengebirge kann man die zwei höchst gelegenen Brauereien in Tschechien direkt auf dem Wanderweg zur Schneekoppe finden. Brauerei Luční bouda (Wiesenbaude) liegt auf einer Höhe von 1410m über Meeresniveau und die Brauerei Friesovy Boudy, 7km weiter entfernt, liegt auf der Höhe von 1217m. In den beiden Brauereien kann man auch übernachten. Zwei weitere Brauereien (Bašta und Hendrych) befinden sich in der Stadt Vrchlabí (Hohenelbe). Gemeinsam bilden die Brauereien einen 19 km langen Bierpfad mit den schönsten Aussichten im Riesengebirge.
Direkt an der deutschen Grenze liegt eine besondere Minibrauerei in Varnsdorf. Die Brauerei Kocour hat als Erste in Tschechien mit dem Brauen von anderen obergärigen Bieren als Weizen angefangen (im Jahr 2008) und ist bis heute die bekannteste Tschechische Craftbierbrauerei.
Die Brauerei kann man am besten mit dem Zug von Zittau oder Seifhennersdorf erreichen. Was sehr selten ist: die Brauerei besitzt eine eigene Bahnstation: „Varnsdorf pivovar Kocour“. Und wenn man Übernachtung braucht, kann man direkt neben der Brauerei für 14€ in einem Liegewagen übernachten.
Was eigentlich nicht vorstellbar ist, ist in Tschechien häufig auch möglich. Auch in den kleinsten möglichen Brauereien befinden sich sehr viele Besonderheiten. In Šitbořice hat die Sudpfanne eine Größe von 150 liter und die Gärung verläuft in kleinen Kunststoffbehältern, was auch in Tschechien zulässig ist und in den wirklich kleinen Brauereien häufig verwendet wird.
Die Brauerei in Ujkovice befindet sich in einem altem Wartehaus der Bahnstation. Hier hat der Inhaber aus den finanziellen Gründen mit einer selbstgebastelten 50L-Sudpfanne aus einem KEG-Fass angefangen. Das Bier kann man also auch ganz einfach und überall brauen.
In Ratíškovice findet die Lagerung in einem Kühlwagen statt.
Ich hoffe, dass ihr meine Empfehlungen benutzen werdet und dass ich jetzt häufiger die deutschen Biertouristen in Tschechien treffen werde ;-).
Für die Reiseplanung in Tschechien sind die Brauereikarten aus der Internetseiten pivnici.cz und browar.biz zu empfehlen.
Karol Stróżyk – kommt aus Polen und lebt seit 7 Jahren in Deutschland. Seitdem er vor 7 Jahren seine tschechische Frau kennengelernt hat, interessiert er sich auch für tschechisches Bier. In dieser Zeit hat er schon über 700 unterschiedliche tschechische Biere verkostet und 100 tschechische Brauereien besichtigt. Der ausgebildete Bauingenieur hat sich bei seiner Ausbildung nur um einen Buchstaben geirrt. Seit 1,5 Jahren braut er Bier zu Hause und träumt von eigener Brauerei.
Bildnachweis:
- Abb. 1 und Artikelbild oben: Brauerei Kutná Hora, historische Postkarte
- Abb. 2: Brauerei Louny. Quelle: ww.pivovary.info
- Abb. 3: Brauerei Krásné Březno, Quelle: www.pivovary.info
- Abb. 4: Brauerei Starobrno, Quelle: Wikimedia Commons
- Abb. 5: Brauerei Velké Březno, Foto: Karol Stróżyk
- Abb. 6: Brauerei Krusovice, aus „Abeceda piva”, Verlag Česká televize
- Abb. 7: Grafik Bierkonsum in Europa, Quelle: The Brewers of Europe
- Abb. 8: Graik Bierpreise in Europa, Quelle www.skypicker.com
- Abb. 9: Brauerei Groll, Quellen: browar.biz, pivovary.info, bractwopiwne.pl
- Abb. 10: Bierpfad im Riesengebirge, Quelle: Verband Letní Krkonošská pivní stezka
- Abb. 11: Lage der Brauerei Kocour, Eigene Grafik, Karte: Google Maps
- Abb. 12: Bahnstation „Varnsdorf pivovar Kocour“, Quelle: pivnipartyzan.blogspot.com
- Abb. 13: Liegewagen-Pension in Kocour, Quelle: www.pivovar-kocour.cz
- Abb. 14: Liegewagen-Abteil in Kocour, Quelle: www.pivovar-kocour.cz
- Abb. 15: Sudpfanne in der Brauerei Šitbořice, Foto: Karol Stróżyk
- Abb. 16: „Gärtanks“ in Brauerei Šitbořice, Quelle: browar.biz
- Abb. 17: Sudpfanne in Brauerei Ujkovice, Quelle: minipivovar-ujkovice.cz
- Abb. 18: „Lagerraum“ in Brauerei Ratíškovice, Quelle: browar.biz
- Autorenfoto unten: Karol Stróżyk