Ver­kocht und zugebrüht

Ein Plä­doy­er für die Dekoktion

Es könn­te doch alles so ein­fach sein: Die über­wie­gen­de Mehr­heit der Hob­by­brau­er maischt im soge­nann­ten Aufheiz- oder Infu­si­ons­ver­fah­ren, in dem die Mai­sche durch lang­sa­mes Erhit­zen eine fest­ge­leg­te, auf­stei­gen­de Fol­ge von Tem­pe­ra­tur­ras­ten durch­läuft, in denen die ein­zel­nen Enzy­me ihre opti­ma­le Wirk­sam­keit ent­fal­ten. Das ist ein­fach, unkom­pli­ziert und für jeden durchschaubar.

Aber dann gibt es auch noch die­se bizar­ren Dekok­ti­ons­ver­fah­ren, die im Ver­gleich dazu wie ein wir­res Hexen­re­zept anmu­ten: Immer wie­der wer­den in einer selt­sa­men Cho­reo­gra­phie Teil­mai­schen ent­nom­men, ein­zeln zum Sie­den gebracht (wodurch ja die wich­ti­gen Enzy­me zer­stört wer­den!) und wie­der zurück­ge­panscht. War­um also soll­te man sich so etwas antun, wenn selbst die aller­meis­ten gewerb­li­chen Braue­rei­en heut­zu­ta­ge per Infu­si­on maischen?

Wenn ich beim Brau­er­stamm­tisch ein Dekok­ti­ons­bier dabei­ha­be, ruft das Kom­men­ta­re wie „Du hast wohl zu viel Zeit?” her­vor. Und wenn ich ein Volkshochschul-​Seminar gebe, will man mir immer kaum glau­ben, dass aus­ge­rech­net die­se kom­pli­ziert und wirr anmu­ten­de Dekok­ti­on hier­zu­lan­de das älte­re und ursprüng­li­che­re Ver­fah­ren ist. Dabei hat das einen ganz ein­fa­chen Grund:

Ein kur­zer Rückblick

Wahl der Waffen

Bild 1: Wahl der Waffen. Links Uhr und Thermometer für die Infusion, rechts Schöpfer und Messlatten der Dekoktionsbrauer

Schließ­lich geht es beim Brau­en dar­um, die Mai­sche repro­du­zier­bar durch eine prä­zi­se Fol­ge von Tem­pe­ra­tur­stu­fen zu füh­ren. Beim Infu­si­ons­ver­fah­ren braucht man dazu haupt­säch­lich zwei Instru­men­te: Ein Ther­mo­me­ter und eine Uhr. Kurio­ser­wei­se wur­den bei­de Gerä­te Ende des 16. Jahr­hun­derts vom sel­ben genia­len Geist erfun­den: Gali­leo Gali­lei. Glaubt man aber den Jah­res­an­ga­ben auf den Eti­ket­ten etli­cher ober­bay­ri­scher Braue­rei­en, dann wur­de schon vie­le Jahr­hun­der­te vor­her repro­du­zier­bar Bier gebraut. Ers­te Tem­pe­ra­tur­ska­len ent­stan­den über­haupt erst im 18. Jahr­hun­dert, und so rich­tig durch­ge­setzt hat sich die Ver­wen­dung des Ther­mo­me­ters in Braue­rei­en wohl erst mit der Indus­tria­li­sie­rung Mit­te des 19. Jahrhunderts.

Die Dekok­ti­on löst nun ele­gant das Pro­blem der Repro­du­zier­bar­keit, indem sie eine Tem­pe­ra­tur­mes­sung durch eine Volu­men­mes­sung ersetzt: Kochen­de Mai­sche hat, zumin­dest nahe Mee­res­hö­he, immer 100°C. Und mischt man in einem bestimm­ten Ver­hält­nis kal­te und kochen­de Mai­sche, ist damit auch die sich ein­stel­len­de Tem­pe­ra­tur vor­be­stimmt. Ganz ohne Thermometer.

Und noch ein wei­te­res Pro­blem wird dadurch gelöst: Metall­ge­fä­ße waren im Mit­tel­al­ter unver­hält­nis­mä­ßig teu­er her­zu­stel­len, erst recht in der zum Brau­en erfor­der­li­chen Grö­ße. Höl­zer­ne Bot­ti­che dage­gen waren pro­blem­los und zu einem Bruch­teil der Kos­ten ver­füg­bar. Bei Dekok­ti­on fin­det das Mai­schen nun in einem unbe­heiz­ten, bei­spiels­wei­se höl­zer­nen Bot­tich statt, und man braucht nur eine ver­hält­nis­mä­ßig klei­ne beheiz­te Pfan­ne für die Koch­mai­schen von etwa nur einem Drit­tel des Gesamtvolumens.

Mittelalterliche Schöpfbrauerei

Bild 2: Mittelalterliche Schöpfbrauerei. Die metallene Pfanne ist klein im Vergleich zum Maischbottich.

Bild 2 zeigt eine Dar­stel­lung solch einer urtüm­li­chen, mit­tel­al­ter­li­chen Schöpf­braue­rei: In dem gro­ßen Bot­tich in Bild­mit­te wird gera­de durch Rüh­ren mit dem Maisch­holz gemaischt, dane­ben sieht man den zum Umschöp­fen der Teil­mai­schen unver­meid­li­chen Schöp­fer. Damit wären schon zwei der im tra­di­tio­nel­len Zunft­zei­chen der Brau­er abge­bil­de­ten Werk­zeu­ge erklärt. Und dahin­ter erkennt man die im Ver­gleich dazu win­zi­ge, aus ebe­nen Metall­plat­ten genie­te­te Koch­pfan­ne, aus der gera­de Dampf­wol­ken von einer Koch­mai­sche quellen.

Wie aber erle­dig­te man anschlie­ßend das Wür­ze­ko­chen, wo doch das gesam­te Volu­men anfällt? Ich ver­mu­te, dass man ent­we­der ganz auf eine Wür­ze­ko­chung ver­zich­te­te, wie bei eini­gen Urbie­ren wie z.B. der Ber­li­ner Wei­ße noch bis ins 20. Jahr­hun­dert. Oder man mach­te viel­leicht ein­fach das, was im Eng­li­schen Parti-​Gyle genannt wird: Die geläu­ter­te Wür­ze in bis zu drei Frak­tio­nen auf­fan­gen und nach­ein­an­der getrennt kochen. Aus dem ers­ten Teil könn­te z.B. ein Stark­bier für die Fest­ta­ge, aus dem zwei­ten ein Bier für den eige­nen Tisch und aus dem drit­ten ein Ein­fach­bier für die Bediens­te­ten wer­den. In man­chen Klös­tern wird heu­te noch Ähn­li­ches gepflegt.

Und noch ein Argu­ment für die Dekok­ti­on: Wer schon ein­mal ver­sucht hat, mit direk­ter Holz­feue­rung, etwa in einem alten Wasch- oder Wurst­kes­sel, eine prä­zi­se Rast anzu­fah­ren, z.B. 62°C, und auch zu hal­ten, weiß wie schwie­rig das ist, ohne das Feu­er dämp­fen oder gar her­aus­rei­ßen zu müs­sen. Bei Dekok­ti­on kann aber die Feue­rung getrost wäh­rend des gesam­ten Mai­schens ohne Not­wen­dig­keit einer Regu­lie­rung unver­än­dert durchlaufen.

Wich­tigs­te Eigen­schaf­ten der Dekoktion:

  • Tem­pe­ra­tur­mes­sung ersetzt durch Volumenmessung
  • eher ablauf- als zeitgesteuert
  • kein ver­se­hent­li­ches Über­fah­ren von Rasten
  • unge­nü­gend vor­ge­lös­te Mal­ze bes­ser aufgeschlossen
  • zeit‑, arbeits- und energieintensiv
  • geeig­net für direk­te Befeue­rung mit Festbrennstoffen
  • stär­ke­re Zufär­bung durch Maillardreaktion
  • ker­ni­ger Biergeschmack
  • stär­ke­re Spelzenauslaugung
  • Spe­zi­al­mal­ze größ­ten­teils entbehrlich

Son­der­fall Maischereste

Wenn die Feue­rung aber ein­fach wei­ter­läuft, wie ver­mied man dann ein Anbren­nen der fast lee­ren Pfan­ne nach dem Zurück­schöp­fen der Koch­mai­sche? Wahr­schein­lich indem man die Pfan­ne nie ganz leer­schöpf­te und immer einen gewis­sen Mai­sche­rest dar­in­ließ. Schließ­lich wird auch das Schöp­fen zum Ende hin immer müh­sa­mer. Im Grun­de hat man dann die gesam­te Zeit über einen Bot­tich mit ras­ten­der Mai­sche, und eine Pfan­ne mit kochen­der Mai­sche, und schöpft bloß immer Teil­men­gen hin- und her. Die­se Mai­sche­res­te sind sogar cha­rak­te­ris­tisch für das ursprüng­li­che Pil­se­ner Ver­fah­ren, wo ja bis heu­te mit direkt befeu­er­ten Kup­fer­pfan­nen gear­bei­tet wird. Laut Nar­ziß resul­tiert dar­aus auch der für das Böh­mi­sche Pils typi­sche gerin­ge Ver­gär­grad, indem die Enzy­me dadurch stär­ker ver­brüht werden.

Durch dick und dünn

Je nach Anzahl der ent­nom­me­nen, gekoch­ten und wie­der zurück­ge­brüh­ten Koch­mai­schen unter­schei­det man nun Ein‑, Zwei- und Drei­ma­isch­ver­fah­ren. Die ein­zel­nen Koch­mai­schen wer­den ent­we­der als Dick- oder Dünn­mai­sche gezogen:

Dick­mai­sche ent­hält mög­lichst viel fes­te Bestand­tei­le, dar­un­ter Grob­grie­ße, die durch das Kochen auch physikalisch-​mechanisch (und nicht nur enzy­ma­tisch) auf­ge­schlos­sen wer­den. Dies war ein wei­te­res Argu­ment zuguns­ten der Dekok­ti­on in Zei­ten stark schwan­ken­der Malz­qua­li­tät, um auch mit man­gelnd modi­fi­zier­ten Mal­zen klar­zu­kom­men. Dünn­mai­sche (die oben ste­hen­de Flüs­sig­keit nach dem Absit­zen der Mai­sche) oder gar Lau­ter­mai­sche (die unter dem Senk­bo­den gezo­gen wird) ent­hält dage­gen kaum Stär­ke, dafür aber den Groß­teil der im Was­ser gelös­ten Enzyme.

Dadurch erklärt sich das Vor­ge­hen, die ers­ten Koch­mai­schen als Dick­mai­sche zu zie­hen, um mög­lichst viel Stär­ke auf­zu­schlie­ßen und die Enzy­me zu scho­nen. Die letz­te Koch­mai­sche ist aber eine Dünn- oder Lau­ter­mai­sche, weil es nur noch um eine Tem­pe­ra­tur­er­hö­hung auf Abmaisch­tem­pe­ra­tur geht. Hier will man gera­de kei­ne neue Stär­ke mehr frei­set­zen (die dann nicht mehr aus­rei­chend ver­zu­ckert wer­den könn­te) und statt­des­sen die nun nicht mehr benö­tig­ten Enzy­me deaktivieren.

Dick­mai­sche nimmt man also in der Regel,

  • wenn bewusst das Malz durch Kochen phy­si­ka­lisch auf­ge­schlos­sen, d.h. Stär­ke her­aus­ge­löst wer­den soll (frü­he­re Motivation),
  • wenn der dar­aus resul­tie­ren­de Geschmack erzeugt wer­den soll (heu­ti­ge Motivation),
  • wenn die Enzy­me in der Bot­tich­mai­sche geschont wer­den sollen.

Dünn­mai­sche nimmt man dann eher,

  • wenn es „nur” um eine Tem­pe­ra­tur­er­hö­hung, aber nicht um phy­si­ka­li­schen Auf­schluss geht,
  • wenn kei­ne neue Stär­ke frei­ge­setzt wer­den soll,
  • und wenn es auf die Enzy­me nicht mehr groß ankommt.
Dreimaischverfahren

Bild 3: Ablauf eines traditionellen Dreimaischverfahrens

Bild 3 zeigt ein Drei­ma­isch­ver­fah­ren, wie es lan­ge für mit­tel­eu­ro­päi­sche Lager­bie­re typisch war. Es wer­den drei Teil­mai­schen von jeweils etwa einem Drit­tel des Gesamt­vo­lu­mens gekocht. Die Gesamt­dau­er von 5 1/​2 bis 6 Stun­den mutet heu­te aber sehr ana­chro­nis­tisch an, eben­so wie die sich erge­ben­de extrem lan­ge Eiweiß­rast. Bei moder­nen, gut gelös­ten Mal­zen wäre das nicht nur unnö­tig, son­dern für die Schaum­sta­bi­li­tät sogar kontraproduktiv.

Ein geraff­tes Zweimaischverfahren

Grund­sätz­lich sind durch Varia­ti­on von Ein­maisch­tem­pe­ra­tur sowie Anzahl, Kon­sis­tenz und Grö­ße der Koch­mai­schen natür­lich unend­lich vie­le unter­schied­li­che Dekok­ti­ons­re­zep­te mög­lich. Bei mir hat sich fol­gen­des Sche­ma bes­tens bewährt: Wenn man die Eiweiß­rast ganz fort­lässt und mit etwas höhe­ren Auf­heiz­ra­ten arbei­tet, wie sie bei den meis­ten Hob­by­an­la­gen pro­blem­los mög­lich sind, ergibt sich dar­aus das in Bild 4 skiz­zier­te Zwei­ma­isch­ver­fah­ren, das ich pro­blem­los in 2 1/​2 Stun­den durch­füh­re. Das ist kaum mehr als bei man­chen Infusionsfolgen!

Zweimaischverfahren

Bild 4: Das Lieblings-Zweimaischverfahren des Autors

Durch die Kochung der gro­ße ers­ten Dick­mai­sche von 50% des Volu­mens ist ein kräf­ti­ger Dekok­ti­ons­cha­rak­ter gewähr­leis­tet. Bei ihrem Auf­hei­zen wird eine kur­ze Ver­zu­cke­rungs­rast (z.B. bei 70°C) ein­ge­legt, um die Stär­ke­ket­ten durch die alpha-​Amylasen schon ein­mal zu mög­lichst vie­len Dex­tri­nen zu zer­le­gen. Nach dem Zubrü­hen auf Mal­to­serast­tem­pe­ra­tur kön­nen die in der enzym­rei­chen, dün­nen Bot­tich­mai­sche bewahr­ten, noch voll akti­ven beta-​Amylasen nun auf die­se Dex­tri­ne los­ge­hen und die­se zu Malz­zu­cker zer­le­gen: Hier schafft man es (i.Ggs. zur auf­stei­gen­den Infu­si­on) mal aus­nahms­wei­se, die Amy­la­sen in der „rich­ti­gen Rei­hen­fol­ge” wir­ken zu lassen.

Und wie geht das konkret?

Was benö­tigt man nun kon­kret als Hob­by­brau­er, um ein­mal ein Dekok­ti­ons­ver­fah­ren aus­zu­pro­bie­ren? Eigent­lich nur einen gut iso­lier­ten Läu­ter­bot­tich mit Deckel, in dem die Bot­tich­mai­sche wäh­rend der Ras­ten mög­lichst wenig Tem­pe­ra­tur ver­liert. Ide­al ist der ohne­hin viel­fach bewähr­te Spei­sen­be­häl­ter Ther­mo­port, in dem sich eine Bot­tich­mai­sche inner­halb einer Stun­de um kaum ein Grad abkühlt. Zum Umschöp­fen der Teil­mai­schen genügt, sofern man kei­ne Mög­lich­keit zum Pum­pen von Mai­sche hat, ein gro­ßer Mess­be­cher. Die Volu­mi­na las­sen sich leicht bestim­men, wenn man sich für Pfan­ne und Bot­tich Mess­lat­ten wie in Bild 1 anfer­tigt. Zusam­men mit dem Schöpf­ge­fäß hat man dann sogar drei­fa­che Kon­trol­le über die Menge!

Wie bestimmt man aber nun die genaue Men­ge einer zu zie­hen­den Koch­mai­sche, um auf eine kon­kre­te Tem­pe­ra­tur zu kom­men? Am ein­fachs­ten mit dem soge­nann­ten Mischkreuz-Gleichung:

Volu­men Koch­mai­sche · Koch­tem­pe­ra­tur + Volu­men Bot­tich­mai­sche · Aus­gangs­tem­pe­ra­tur = Gesamt­vo­lu­men · Ziel­tem­pe­ra­tur

oder auf­ge­löst nach dem gesuch­ten Volu­men der Kochmaische:

Formel_03

Ein kon­kre­tes Bei­spiel: Um von 65°C auf 75°C zu kom­men, benö­ti­ge ich eine Koch­mai­sche von ( 75°C‑65°C ) /​( 95°C‑65°C ) = 1/​3 des Gesamtvolumens.

Wer das nicht sel­ber aus­rech­nen möch­te, kann dafür fol­gen­den ein­fa­chen Excel-​Rechner benut­zen, in dem man meh­re­re Ras­ten berech­nen und dabei unter­schei­den kann, ob man Dekok­tio­nen zieht oder als Bot­tich­in­fu­si­on hei­ßes Was­ser zubrüht: Mischkreuz_​neu

Wie­so aber habe ich in obi­ger For­mel als Koch­tem­pe­ra­tur 95°C und nicht 100°C ein­ge­setzt? Ganz ein­fach: Man muss ja nicht nur die Tem­pe­ra­tur der Mai­sche, son­dern auch die des Bot­tichs erhö­hen. Außer­dem hat man beim Umschöp­fen sowie bei den Ras­ten unwei­ger­lich immer leich­te Wär­me­ver­lus­te. Jetzt könn­te man das alles zwar ganz genau aus­rech­nen (sofern man vor­her die ther­mi­sche Mas­se sei­nes Bot­tichs bestimmt…), oder eben den genann­ten Stör­ein­flüs­sen Rech­nung tra­gen, indem man ein­fach eine etwas nied­ri­ge­re Koch­tem­pe­ra­tur ein­setzt. Bei mei­nem 38-​Liter-​Thermoport kommt das ganz gut hin. Bei ande­ren Anla­gen wird man ggf. mit etwas ande­ren empi­ri­schen Wer­ten arbei­ten müs­sen. Für die aller­ers­ten Geh­ver­su­che, bzw. wenn man sei­ne Anla­ge noch nicht genau kennt oder sei­nen Berech­nun­gen nicht genau traut, emp­feh­le ich eine leich­te Über­di­men­sio­nie­rung der Koch­mai­schen und ggf. lie­ber einen Mai­sche­rest zu las­sen, wie schon oben beschrie­ben: Man hört dann schon eher mit dem Zurück­schöp­fen auf, sobald die Tem­pe­ra­tur passt. Der klei­ne Mai­sche­rest im Topf kann dort ruhig auf die nächs­te Koch­mai­sche war­ten, bzw. nach der letz­ten Koch­mai­sche etwas abküh­len und erst dann zum Rest gege­ben wer­den. Das erspart einem zudem, hek­tisch immer den aller­letz­ten Rest aus dem Topf krat­zen zu müssen.

Für wen sich das jetzt alles rät­sel­haft und abschre­ckend anhört, der sei beru­higt: Dekok­ti­on ist kei­ne exak­te Wis­sen­schaft! Ganz im Gegen­teil, ich fin­de, dass man viel mehr „nach Gefühl” arbei­ten kann als bei Infu­si­on, wo jede Rast aufs Grad und auf die Minu­te genau über­wacht wer­den soll­te. Bei Dekok­ti­on kommt man irgend­wie schon über­all vor­bei, bei den meis­ten Ras­ten sogar mehr­fach, und die Kochung erle­digt den Rest. Inso­fern ist das ein erstaun­lich robus­tes Ver­fah­ren: Ver­tut man sich bei einer Rast um +/​- 2°C, ist das ziem­lich egal. Bei einem ein­stu­fi­gen Infu­si­ons­ver­fah­ren (sog. Kom­bi­rast) kann das hin­ge­gen fast schon den Cha­rak­ter des Bie­res kippen.

Mit ein klein wenig Erfah­rung gelingt es aber in der Regel, eine ange­peil­te Rast aufs Grad genau zu tref­fen. Läs­tig ist es nur, wenn man einen Läu­ter­bot­tich mit gro­ßem Tot­raum unter dem Senk­bo­den hat, weil er das berech­ne­te Volu­men­ver­hält­nis ver­fälscht. Drü­ber ist es nach dem Zubrü­hen zu heiß, und drun­ter zu kalt. Ich behel­fe mir daher so, dass ich wäh­rend des Zubrü­hens eine gro­ße Kan­ne Lau­ter­mai­sche von unter dem Senk­bo­den zap­fe und oben wie­der zumi­sche, dann passt das wie­der. Und man hat damit den gröbs­ten Dreck schon ein­mal aus dem Tot­raum her­aus­ge­spült, so dass sich das Vor­schie­ßen nach­her stark redu­ziert. Ide­al sind natür­lich Sys­tem mit beson­ders klei­nem Tot­raum wie ein Pan­zer­schlauch (bzw. Läu­ter­he­xe) oder ein über einem zen­tra­lem Boden­ab­lauf beson­ders tief lie­gen­der Senkboden.

Ein Wort der Rührung

Das Hob­by­brau­en kennt vie­le Aus­prä­gun­gen, vom mön­chisch medi­ta­ti­ven Pad­deln in der Mai­sche bis hin zur aus­ge­klü­gel­ten Auto­ma­ti­sie­rungs­tech­nik als Hob­by im Hob­by. Es soll nicht ver­schwie­gen wer­den, dass Auto­ma­ti­sie­rungs­freun­de eher nicht recht glück­lich mit Dekok­ti­on wer­den. Denn das wür­de das auto­ma­ti­sche Umpum­pen und Mes­sen von Mai­schen unter­schied­lichs­ter Kon­sis­tenz bedin­gen. Nicht unmög­lich, aber Aufheiz-​Infusion ist da bedeu­tend ein­fa­cher in den Griff zu bekommen.

Dickmaische

Bild 5: Eine Dickmaische kocht ohne Rühren (und ohne anzubrennen...)

Rühr­werk oder hand­ge­pad­delt? Unter Hob­by­brau­ern fast schon eine Glau­bens­fra­ge. Bei Dekok­ti­on spricht nichts gegen das Rüh­ren von Hand, ganz im Gegen­teil. Ein Rühr­werk emp­fin­de ich sogar als etwas hin­der­lich, weil es beim Hin- und Her­schöp­fen meist im Wege steht und her­aus­ge­ho­ben wer­den müss­te. Schau­en wir uns noch ein­mal das Bild 2 von der alten Schöpf­braue­rei an, so funk­tio­nier­te das manu­el­le Rüh­ren sogar bei erstaun­lich gro­ßen Bot­ti­chen. Und es gibt eigent­lich nur zwei Arten von Pha­sen, bei denen über­haupt gerührt wer­den muss: Bei Auf­hei­zen der aller­ers­ten Dick­mai­sche auf Ver­zu­cke­rungs­tem­pe­ra­tur, und danach wäh­rend des Zubrü­hens jeder Koch­mai­sche, um eine gleich­mä­ßi­ge Durch­mi­schung zu erzie­len. Wäh­rend der Ras­ten der Bot­tich­mai­sche muss nicht gerührt wer­den (schließ­lich heißt es ja Rast…); lie­ber lässt man den Deckel drauf zuguns­ten einer gerin­gen Abküh­lung. Und nach der ers­ten Ver­zu­cke­rungs­rast hat sich selbst die brö­cke­ligs­te Dick­mai­sche so ver­flüs­sigt, dass man sie in einem dick­wan­di­gen Topf ohne wei­te­res Rüh­ren köcheln las­sen kann, ohne dass noch etwas anbrennt. Die­se Ver­flüs­si­gung zu spü­ren emp­fin­de ich jedes Mal aufs Neue als faszinierend!

Kupfertopf

Bild 6: Dekoktors Traum: Solch ein massiver Kupfertopf ist ideal. Aber auch Töpfe mit Sandwichboden funktionieren gut.

Ide­al dafür sind Töp­fe mit dickem Sand­wich­bo­den, die eine gleich­mä­ßi­ge Wär­me­ver­tei­lung sicher­stel­len, oder noch bes­ser eine mas­si­ve Kup­fer­pfan­ne: Dar­in kann man wun­der­bar die Mai­sche ohne zu rüh­ren kochen und kara­mel­li­sie­ren las­sen. Angeb­lich tra­gen direkt befeu­er­te Kup­fer­pfan­nen mit ihrer kata­ly­ti­schen Wir­kung sogar zur Unver­wech­sel­bar­keit des Pil­se­ner Urquells bei.

Nicht von Dauer

Umden­ken muss man auch bei den Rast­zei­ten. Schließ­lich sind die­se, neben der Tem­pe­ra­tur, einer der wich­tigs­ten Stell­he­bel bei Infu­si­ons­ver­fah­ren. Dekok­ti­on ist aber weni­ger zeit­ge­steu­ert, als viel­mehr ablauf­ge­steu­ert: Wenn ein bestimm­tes Ereig­nis ein­ge­tre­ten ist (Mai­sche hat gekocht bzw. sich wie­der abge­setzt), kann der nächs­te Schritt aus­ge­führt wer­den. Die Rast­zei­ten erge­ben sich und sind dann eh recht üppig, zumin­dest für die ruhen­de Bot­tich­mai­sche. Außer­dem kommt man durch das stän­di­ge „Auf- und Ab” bei den meis­ten Rast­tem­pe­ra­tu­ren ohne­hin mehr­fach vor­bei. Die wich­ti­ge­ren Stell­he­bel bei Dekok­ti­on sind ande­re: Anzahl und Auf­tei­lung der ein­zel­nen Koch­mai­schen, und deren jewei­li­ge Koch­dau­er. Die Dau­er der Bot­tich­ras­ten ergibt sich dann schon irgendwie…

Nach dem Zubrü­hen der einen Koch­mai­sche bis zum Zie­hen der fol­gen­den Koch­mai­sche reicht eine eher kur­ze gemein­sa­me Rast von 10 bis 15 Minu­ten. Ich war­te nach dem Zumi­schen der letz­ten Koch­mai­sche immer, bis sich die Gesamt­mai­sche wie­der eini­ger­ma­ßen ent­mischt und abge­setzt hat, um dann gezielt ent­we­der eine Dick- oder Dünn­mai­sche ent­neh­men zu können.

Die Koch­dau­er der ein­zel­nen Teil­mai­schen unter­schei­det sich hin­ge­gen nach Bier­typ: Bei dunk­len Bie­ren wählt man gemein­hin 30 Minu­ten oder sogar bis zu 45 Minu­ten. Dann soll­te man schon ver­dampf­tes Was­ser erset­zen, um nicht die Koch­mai­sche zu klein wer­den zu las­sen und bei einer zu nied­ri­gen Tem­pe­ra­tur her­aus­zu­kom­men. Bei hel­len Bie­ren kocht man aber nur 10 bis 20 Minu­ten, um die Zufär­bung und Spel­zen­aus­lau­gung zu begrenzen.

Klei­nes Tuto­ri­um in 8 ein­fa­chen Schritten

Noch ein­mal zurück zur Ent­nah­me von Dick- bzw. Dünn­mai­sche: In kom­mer­zi­el­len Braue­rei­en gibt es dazu Aus­läs­se in ver­schie­de­nen Höhen des Maisch­bot­tichs, um nach dem Absit­zen Mai­schen unter­schied­li­cher Kon­sis­tenz zie­hen zu kön­nen. So etwas wird man als Hob­by­brau­er kaum haben. Die Dünn­mai­sche kann man nahe­lie­gen­der­wei­se ein­fach oben abschöp­fen. Dick­mai­sche müss­te man aber z.B. mit einem Schaum­löf­fel oder einem Küchen­sieb irgend­wie von unten „her­aus­fi­schen”. Das geht zwar fast bes­ser als es sich anhört, aber es gibt einen noch ein­fa­che­ren Weg:
Wenn man „umge­kehrt” ein­maischt, näm­lich in der Pfan­ne statt im Maisch­bot­tich, braucht man nach einem kur­zen Absit­zen nur alles, was nicht zur ers­ten Koch­mai­sche gehört, in den Maisch­bot­tich umzu­schöp­fen, und behält eine wun­der­bar dicke ers­te Koch­mai­sche in der Pfan­ne zurück. Nach dem Zubrü­hen und einer wei­te­ren kur­zen Entmisch-​Rast braucht man dann bloß aber­mals die oben­ste­hen­de Flüs­sig­keit in die Pfan­ne zurück­zu­schöp­fen, und hast dies­mal die Dick­mai­sche im Bot­tich, die zu kochen­de Dünn­mai­sche in der Pfan­ne. Also genau so, wie es sein soll. Damit ergibt sich ein extrem ein­fa­ches Zwei­ma­isch­ver­fah­ren, bei dem man bloß zwei­mal die oben­ste­hen­de Dünn­mai­sche umzu­schöp­fen braucht:

Zweimaischverfahren

Bild 7: Ein sehr einfaches und anfängertaugliches Zweimaischverfahren, bei dem bloß von oben her umgeschöpft werden muss.

Für wel­che Bie­re überhaupt?

Vor­ab: Für bewusst schlank und ele­gant gehal­te­ne Bie­re passt Dekok­ti­on auf­grund der Zufär­bung, Kara­mel­li­sie­rung und der Spel­zen­aus­lau­gung wahr­schein­lich eher weni­ger. Und für anglo-​amerikanische Ales ist sie ein­fach nicht stil­ty­pisch. Sehr lesens­wert in die­sem Zusam­men­hang ist auch der Arti­kel über Aus­wahl des Maisch­ver­fah­rens von Andre­as Staudt in der sel­ben Ausgabe.

Bei eher ker­ni­gen, malz­be­ton­ten und nicht ganz hel­len Bie­ren passt Dekok­ti­on aber per­fekt: Ins­be­son­de­re beim böh­mi­schen Pil­se­ner, beim Märzen und beim Münch­ner Dun­kel. Auch bei Weiß­bie­ren ist Dekok­ti­on abso­lut stil­ty­pisch, eini­ge her­vor­ra­gen­de Ver­tre­ter wer­den nach wie vor im Ein- oder Zwei­ma­isch­ver­fah­ren gebraut. Hier kann zudem eine nied­ri­ge Ein­maisch­tem­pe­ra­tur bes­tens mit einer Feru­la­säu­rerast oder Gum­mi­rast ver­bun­den wer­den. Und sogar auf Rohfrucht-​Rezepte lässt Dekok­ti­on sich bes­tens anpas­sen: Hier braucht man nur die Roh­frucht mit in die ers­te Koch­mai­sche zu geben, wo sie dann auto­ma­tisch einer Vor­ver­kleis­te­rung unter­zo­gen wird.

Mei­ne abso­lu­ten Lieb­lings­re­zep­te aber sind so ein­fach, dass sie kaum den Namen Rezept ver­die­nen: Ein Märzen aus 100% Wie­ner Malz, oder ein Dun­kel aus 100% Münch­ner Malz, gebraut im oben skiz­zier­ten ein­fa­chen Zwei­ma­isch­ver­fah­ren. Auch ohne Spe­zi­al­mal­ze bekommt man so jede Men­ge Voll­mun­dig­keit und Kom­ple­xi­tät. Bei Infu­si­on (im Extrem­fall: Anglo­ame­ri­ka­ni­sche Sin­gle Step Infu­si­on) hat man indes kaum eine ande­re Mög­lich­keit als hau­fen­wei­se Spe­zi­al­mal­ze, um sein Bier anzu­pas­sen und kom­ple­xer zu machen. Man schaue sich nur ein­mal den hohen Pro­zent­satz an Kara­mell­mal­zen in vie­len Rezep­ten für ein­stu­fi­ge Infu­si­on an…

Ich wage jedoch die Behaup­tung, dass klas­si­sche kon­ti­nen­ta­le Bier­ty­pen, gebraut per Dekok­ti­on aus den klas­si­schen Basis­mal­zen, noch eine Spur inter­es­san­ter, glaub­wür­di­ger und authen­ti­scher wir­ken, als wenn man ver­su­chen wür­de, dies durch Spe­zi­al­mal­ze zu imi­tie­ren. Ins­be­son­de­re Kara­mell­mal­ze wer­den ger­ne dazu benutzt, beim ein­fa­che­ren, schnel­le­ren und bil­li­ge­ren Infu­si­ons­ver­fah­ren einen Dekok­ti­ons­cha­rak­ter zu simu­lie­ren. War­um soll­te man aber nicht ein­mal auch „das Ech­te” aus­pro­bie­ren? Eigent­lich nur aus einem Grund: Dekok­ti­on macht Spaß, und kann süch­tig machen! Es soll Hob­by­brau­er geben, denen inzwi­schen kein Sud mehr ohne min­des­tens eine Koch­mai­sche auf die Hefe kommt…


MoritzAutor Moritz Gretz­schel kam, obwohl gebür­ti­ger Münch­ner, erst durch sei­nen Schwie­ger­va­ter aus­ge­rech­net in einer badi­schen Wein­re­gi­on mit dem Hob­by­brau­en in Berüh­rung. Ein drei­jäh­ri­ger beruf­li­cher Auf­ent­halt in Michi­gan tat das Übri­ge, ihn für die Craft-​Brew-​Bewegung zu begeis­tern. Seit­her braut er regel­mä­ßig daheim, bevor­zugt per Dekok­ti­on. Er arbei­tet als Hoch­schul­pro­fes­sor für Maschi­nen­bau und Elek­tro­mo­bi­li­tät in Aalen in Württemberg.


Abbil­dun­gen:
Bild 2: Deut­scher Brau­er­bund (His­to­ri­sches Sud­haus, Jahr unbekannt),
alle ande­ren Abbil­dun­gen: Autor

Lite­ra­tur:
– Ray Dani­els, Desig­ning Gre­at Beers, Bre­wers Publi­ca­ti­ons, 1996
– Johann Carl Leuchs, Voll­stän­di­ge Brau­kun­de, C. Leuchs u. Comp., 1831
– Ran­dy Mos­her, Radi­cal Bre­wing, Bre­wers Publi­ca­ti­ons, 2004
– Lud­wig Nar­ziß, Abriss der Bier­braue­rei, 7. Auf­la­ge, Wiley-​VCH, 1999
– Ronald Patt­in­son, Decoc­tion!, Kil­der­kin, 2011

2 Kommentare zu “Ver­kocht und zugebrüht

  1. hyper472

    Ein inter­es­san­tes Plä­doy­er für die Dekok­ti­on, wer­de ich auf jeden Fall mal probiren!
    Gefun­den habe ich den Arti­kel bei der Suche nach dem Infu­si­ons­ver­fah­ren, das aber nach mei­nem Wis­sen nicht gleich dem Auf­heiz­ver­fah­ren ist: Beim Auf­heiz­ver­fah­ren wird doch, wie der Name sagt, eine (gleich­blei­ben­de) Men­ge Mai­sche kon­ti­nu­ier­lich erhitzt. Beim Infu­si­ons­ver­fah­ren geschieht der Tem­pe­ra­tur­an­stieg durch Zugie­ßen von hei­ßem Wasser.
    Bit­te kor­ri­giert mich, wenn nötig!

  2. Adi

    Ich will mit einem Malz­rohr­sys­tem das Ein­maisch­ver­fah­ren ver­su­chen. Der Plan: Nach dem Ein­mai­schen über den Hahn 50% der Flüs­sig­keit ablas­sen und in einem Ein­koch­au­to­mat auf Tem­pe­ra­tur hal­ten. Danach die Koch­mai­sche im Malz­rohr­sys­tem durch­füh­ren. Jetzt kip­pe ich die Rest­mai­sche wie­der hin­ein um 65 °C errei­chen. Soll­te ich die­se in einem Rutsch rein­ge­ben, um die Enzy­me nicht zu verbrühen?

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