Mit diesem Pilotartikel startet unsere neue Reihe "Bierfehler des Quartals". Wir werden uns darin regelmäßig einem ausgewählten Bierfehler widmen, dessen Symptome und Ursachen beschreiben und Tipps zur Vermeidung geben. Zur Premiere ein ausführlicher Beitrag über eines der unter Hobbybrauern meistdiskutierten Probleme.
In den Brauwissenschaften gewinnt ein Thema seit den 1970er Jahren immer größere Aufmerksamkeit, die sogenannte Geschmacksstabilität. Was auf den Haus- und Hobbybrauer zunächst eher nach einem akademischen Problem oder bestenfalls einem Thema für Großbrauereien und ihre möglichst langen MHD klingt, birgt tatsächlich auch im Kleinmaßstab viel Optimierungspotenzial. Ist ein Bier fertig vergoren und gereift, befindet sich das Bier mit seinem Malzcharakter, dem Hopfencharakter und den fruchtigen Estern durch die sorgsam ausgewählte Hefe - idealerweise - in dem Zustand, in dem es der Brauer haben möchte.
Von diesem Punkt ab entscheidet die Geschmacksstabilität darüber, wie lange sich das Bier auf diesem Niveau halten kann. Die danach einsetzende Bieralterung, insbesondere jene durch Sauerstoff im fertigen Bier, wirkt sich auf die Qualität meist so schleichend und vielfältig aus, dass sie ohne Analysen nicht immer sicher zu erkennen ist. In Anfangsstadien wird sie oft durch Hopfen und Ester getarnt oder tarnt sich gar selbst durch mitunter neue, interessante Aromen.
Während in der Brauliteratur immer mehr Zusammenhänge aufgedeckt werden, gewann die Materie gleichzeitig enorm an Komplexität und sogar Jahrzehnte lang etablierte Vorstellungen scheinen mittlerweile zu bröckeln. Ist der obligatorisch für Oxidation angeführte "Pappdeckel-Geschmack" ein Zeichen für erhöhten Sauerstoffeintrag? Wie groß ist die Auswirkung der Sauerstoffaufnahme im Heißbereich (hot-side aeration)? Ist jede Auswirkung der Bieralterung sensorisch negativ? Und vor allem: Wie kann ich Oxidation erkennen und vermeiden? Ein kleiner Überblick zu einem großen Thema.
1. Auswirkungen
Die Bieralterung durch Oxidation ist durch zwei Elemente geprägt. Zum einen den Verlust an positiven Eigenschaften und zum anderen die Entstehung eines meist als negativ wahrgenommenen Alterungsgeschmacks. Jedoch sind nicht alle Reaktionen bei der Alterung durch Oxidation bedingt. Die folgende Zusammenstellung dient der Übersicht, welche Veränderungen auf einen Sauerstoffeintrag zurückzuführen sein könnten und welche Veränderungen eine andere Ursache haben.
1.1. Oxidative Veränderungen
Verlust positiver Biereigenschaften durch Oxidation von...
- Hopfenölen, die für die Hopfenblume sorgen.
- Melanoidinen, die insbesondere dunklen Bieren ihr Aroma verleihen.
- Kolloiden, die die dem Bier einen Teil seiner Vollmundigkeit verleihen.
- Iso-Alphasäure, dadurch Verlust der feinen Hopfenbittere.
Alterungsgeschmack
- Schwarze Johannisbeere, höhere Konzentration: Katzenurin (p-Menthan-8-thiol-3-on, 3-Methyl-3-mercapto-butylformiat): Erstes Anzeichen von Oxidation und gilt als Indiz für einen zu großen Kopfraum [Cla76].
- Oxidation von Polyphenolen, Eiweißen (->Eiweißbittere) und Hopfenölen kann zu nachhängender, breiter Bitterkeit führen
- Darum Filtration von Polyphenolen in der Industrie mittels PVPP - Brotig, mit zunehmender Konzentration karamellig, süßlich, honigartig, mandelartig: Meist Strecker-Aldehyde
- Auch: Furfural und HMF aus Maillard-Reaktionen (nicht oxidativ), manchmal mandelartig. Bleibt jedoch bei Bieralterung in der Regel jedoch unter der Wahrnehmungsschwelle und wird durch die Hefe abgebaut. Bei Vorhandensein kann eine zu hohe thermische Belastung beim Würzekochen (hot-spots) die Ursache sein.
1.2. Nicht-oxidative Veränderungen
Verlust positiver Biereigenschaften
- Verlust von fruchtigen Estern wie Isoamylacetat ("Banane") durch die Umkehrreaktion der Veresterung durch Esterasen und saure Hydrolyse.
Alterungsgeschmack
- Feuchte Pappe, Pappdeckel, engl. "cardboard" (trans-2-Nonenal). Wurde lange Zeit als Schlüsselsubstanz der Oxidation gesehen. Entsteht zwar aus der Oxidation von Fettsäuren, mittlerweile scheint der Zusammenhang mit der Sauerstoffkonzentration im Jungbier widerlegt. Jedoch scheinen Vorläufer durch Aufnahme von Sauerstoff im Heißbereich zu entstehen. Eine Ausbildung des Pappdeckelgeschmacks durch E-2-Nonenal geschieht daher nicht durch sauerstoffbelastete Abfüllung bzw. Sauerstoff im Bier, sondern bereits im Heißbereich und wird erst bei zu warmer und langer Lagerung freigesetzt.
- Veresterung und damit Entstehung neuer Ester auch nach Abschluss der Gärung. Oft zunächst diffus fruchtig.
- Maillard-Reaktionen, verschiedentlich mit brotigen, süßlichen und weinartigen Aromen in Verbindung gebracht.
In Abb.1 ist die zeitliche Abfolge einiger dieser Veränderungen visualisiert.
2. Vermeidung
Die Strategie gegen sauerstoffbedingte Bieralterung ist immer zweigeteilt. Zunächst gilt es, die Würze schon im Heißbereich mit einem hohen Reduktionsvermögen auszustatten und letzteres durch geringen Sauerstoffeintrag bis zum Anstellen zu erhalten. Das ist sozusagen der Schutzwall der Würze gegen den Angriff von Sauerstoff; umso höher, desto besser. Als nächstes gilt es dann im Kaltbereich die Angriffe auf diesen Schutzwall möglichst lange hinauszuzögern, indem Sauerstoff vermieden und seine Wirkung verlangsamt wird. Das Resultat aus diesen Maßnahmen lässt sich als (potenzielle) Geschmacksstabilität beschreiben.
Neben dem Reduktionsvermögen der erzeugten Würze, der Vermeidung von Sauerstoff und der Minderung seiner Auswirkungen durch niedrige Temperatur und kurze Kontaktzeiten, gibt es einen weiteren, recht subjektiven Faktor. So können etwa kräftige Hopfenaromen - Linalool ist hierfür ein guter Indikator - und Ester wie Isoamylacetat erste Alterungsanzeichen überdeckt werden. Abbildung 2 zeigt ein Gesamtbild der beteiligten Faktoren. Während die Erzeugung dieser maskierenden Aromen an dieser Stelle dem Leser überlassen sei, beschäftigen sich die folgenden Abschnitte mit der biochemischen Perspektive.
2.1. Der Schutzwall: Geschmacksstabilität
Ziel ist zunächst die höhere analytische Geschmacksstabilität durch erhöhte Menge an antioxidativ wirsakmen Substanzen im Bier. Vereinfacht ausgedrückt "opfert" sich ein Antioxidans, indem es mit Sauerstoff schneller reagiert als der Sauerstoff mit anderen wertgebenden Inhaltsstoffen. Bei antioxidativ wirksamen, organischen Verbindungen in der Würze spricht man auch von den sogenannten Reduktonen.
Antioxidantien (Ziel: ⇑)
- Melanoidine durch dunkle Malze und Caramalze (zu beachten jedoch auch Abschnitt 2.2, zweiter Absatz)
- Hoher Polyphenolgehalt (Dekoktion, Hopfen)
- Die antioxidative Wirkung von Polyphenol im fertigen Bier ist umstritten, jedoch konnte bei Untersuchungen an Würze im Heißbereich experimentell gezeigt werden, dass insbesondere hohe Polyphenolgehalte durch den Hopfen die Geschmacksstabilität erhöhen [Van05]. - Hoher SO2 Gehalt
Katalysatoren (Ziel: ⇓ )
- Wichtig: Vermeidung katalytisch wirksamer Metallionen wie Eisen und Kupfer
- Vermeidung hoher pH Werte durch nicht aufbereitetes Brauwasser. Gute Werte sind pH 5,4 - 5,6 für die Maische pH 5,4 für die Würze und 10min vor Kochende eine optionale Würzesäuerung auf pH 5,2.
- Reduzierung der thermischen Belastung. Würzekochen nicht länger als nötig (max. 90 min), auf guten Wärmeübergang an den Heizflächen achten.
- Vermeiden tiefer Einmaischtemperaturen. Einmaischen bei 62°C verringert signifikant die Aktivität der hitzestabilen Oxidasen aus dem Malz, die Oxidationen v.a. von Polyphenolen katalysieren. Aber: Kirche im Dorf lassen, keine anderen technologischen Probleme durch zu knappe Abbauvorgänge beim Maischen riskieren!
2.1.1. Wundermittel Ascorbinsäure?
In der Lebensmittelindustrie wird regelmäßig Ascorbinsäure als Antioxidans eingesetzt. Ein sinnvoller Einsatz im Bier erscheint nicht so einfach, da etwa M. Wurzbacher [Wur11] bei niedrigen Dosierungen von 20mg/L (Abb. 3) gar einen signifikanten pro-oxidativen Effekt zeigen konnte. In Versuchen einer Brauerei, die Ascorbinsäure zur Stabilisierung einsetzt, konnten selbst bei 10mg - 40mg/L Ascorbinsäure eine mit steigender Dosierung abnehmende Geschmacksstabilität erkannt werden. Erst ab Dosierungen von 200-500mg/L kann die Geschmacksstabilität für eine längere Zeit aufrechterhalten werden, jedoch setzt auch danach ein umso stärkeres Absinken ein. Von vorgenannten Mengen ist aus sensorischen und technologischen Gründen abzuraten. Ein Einsatz von Ascorbinsäure ist daher im Hobbybereich als kontraproduktiv anzusehen.
2.1.2. Wundermittel SO2!
Schwefeldioxid (SO2) wird in der Literatur mit breiter Übereinstimmung als wirkungsvollstes Antioxidans im Bier beschrieben. Es reagiert schon mit Peroxiden und verhindert dadurch die Radikalgenerierung. SO2 entsteht im Rahmen des Hefestoffwechsels als Zwischenprodukt und wird in der Menge daher vor allem vom Hefestamm beeinflusst. Generell produzieren untergärige Hefen signifikant mehr, es gibt jedoch auch innerhalb dieser Gruppe Unterschiede. Thiele konnte im Mittel folgende Reihenfolge darlegen: Doemens 308 (Danstar Diamond Lager) > Rh (Fermentis Saflager S-23) > W34/70 (Fermentis Saflager W34/70) [Thi06].
Des Weiteren ergaben sich folgende Faktoren:
Extrakt ⇑ | SO2 ⇑ |
Anstellzellzahl ⇑ | SO2 ⇓ |
Belüftung ⇑ | SO2 ⇓ |
Temperatur ⇑ | SO2 ⇑ (*) |
Da die Hefe für die Produktion von SO2 auf Sulfat aus der Würze angewiesen ist, beeinflusst auch der Sulfatgehalt das Potenzial der SO2 Bildung. Sulfatreichem Wasser wird seit längerem nachgesagt, den Hopfencharakter eines Bieres zu betonen. Es wird zu klären sein, welcher Anteil dafür Sulfat geschmacklich direkt zuzuschreiben ist. Denkbar ist nämlich, dass vielmehr die Umwandlung zu antioxidativem SO2 eine Rolle spielt, der Hopfencharakter somit per se nicht betont wird, sondern länger vor einem oxidativen Abbau geschützt wird. Dies würde sich entsprechend auch auf andere Bierinhaltsstoffe stabilisierend auswirken.
2.2. Angriffe abwehren: Oxidation unterdrücken
Exkurs:
Ist hot-side aeration (HSA) ein Mythos?
Oxidation im Heißbereich konnte in den vergangenen Jahrzehnten vielfach belegt werden. Besonders beim Maischen wird sie im Temperaturbereich von 50-60°C zusätzlich durch Oxidasen des Malzes katalysiert. Auch die negativen Auswirkungen auf die Geschmacksstabilität der oxidativen Reaktionen konnten vielfach belegt werden. Es ist daher Großbrauereien, deren Einfluss auf das fertige Produkt nach Inverkehrbringen in der Regel endet, daran gelegen schon in der Vermeidung eines Sauerstoffeintrags im Sudhaus erste Maßnahmen zur Bierstabilisierung zu ergreifen. Hobbybrauer haben diese Bemühungen und die damit verknüpfte Fachliteratur vielfach zum Anlass genommen, ihre Arbeitsweise im Heißbereich auf unnötigen Sauerstoffeintrag zu durchforsten. Unnütz ist diese Mühe keinesfalls, jedoch scheinen Erwartungen und die damit verbundene Hysterie teilweise überzogen.
Drei Gründe, warum HSA zwar kein Mythos ist, aber trotzdem eine geringere Rolle spielt als vielfach angenommen:
- Oxidation in der mehrstündigen Heißphase hat, selbst um den Temperaturfaktor bereinigt, im Vergleich zu einem Sauerstoffeintrag im Kaltbereich, wo Sauerstoff besser gelöst wird und wochen- und monatelang wirken kann, eine quantitativ vielfach geringere Auswirkung.
- Oxidationen im Heißbereich sind zwangsläufig der Gärung vorgelagert. Vitale Hefe in ausreichender Menge kann in großem Umfang oxidierte Verbindungen wieder reduzieren und den Sauerstoffeintrag somit teilweise egalisieren.
- Viele sensorisch besonders wirksame Oxidationen benötigen durch katalysierende Enzyme derart wenig Sauerstoff, dass eine effiziente Vermeidung im Hobbybereich kaum möglich ist. Ein Beispiel ist trans-2-Nonenal (Pappdeckel), dessen Entstehung durch Sauerstoffminimierung kaum zu beeinflussen ist.
Die Vermeidung von HSA dient daher vor allem dem Feintuning, wenn bereits eine möglichst sauerstoffarme Abfüllung und kalte Lagerung garantiert ist.
Sauerstoff kommt in der Luft ausschließlich als Molekül aus zwei Sauerstoffatomen vor, seine Summenformel ist O2. Dieses auch als molekularer Sauerstoff bezeichnete Molekül ist in Würze und Bier nicht reaktiv. Die bierschädliche Oxidation wird erst durch den Prozess der Sauerstoffaktivierung angestoßen. Hierbei erhält O2 von einem Elektronendonator, den Reduktonen, katalysiert durch Eisen- und Kupferionen ein zusätzliches Elektron. Das resultierende Hyperoxid (O2-) ist bereits deutlich reaktiver, reagiert aber beim pH der Würze größtenteils weiter zu Wasserstoffperoxid. Ist im Laufe der Zeit eine bestimmte Menge an Wasserstoffperoxid erreicht, man spricht auch von der Lagtime, beginnt sprunghaft die Entstehung des hoch reaktiven Hydroxylradikal. In dieser Form reagiert es sofort mit Bierinhaltsstoffen und ist damit maßgeblich an den bierschädlichen Vorgängen beteiligt.
Ursächlich für das verzögerte Einsetzen von oxidativen Veränderungen ist daher der langsame Umwandlungsprozess von molekularem Sauerstoff zu Hyperoxid, danach geschieht die Oxidation ohne Verzögerung.
Die beteiligten Reduktone zeigen die Doppelfunktion auf, die etwa den Melanoidinen in der Bieralterung zukommt. Zum einen stoßen sie wie im vorherigen Absatz beschrieben die schädliche Sauerstoffaktivierung überhaupt erst an (pro-oxidativ), zum anderen schützen sie jedoch durch ihre Menge im Bier und die bevorzugte Reaktion mit elementarem Sauerstoff andere Inhaltsstoffe vor einer frühzeitigen Oxidierung (anti-oxidativ).
Grundsätzlich verstärkt sich die Geschwindigkeit von Oxidationsreaktionen überproportional mit einer Temperaturzunahme. Bei annährend Kochtemperatur können wertgebende Inhaltsstoffe binnen Sekunden oxidiert werden. Einen Grund dafür, warum Strategien zur Vermeidung eines Sauerstoffeintrags sich jedoch nicht nur auf hitzeintensive Bereiche konzentriert werden sollte, gibt Abb. 4.
Während bei hohen Temperaturen, etwa beim Würzekochen, kaum Luftsauerstoff gebunden werden kann, erreicht die Löslichkeit bei typischen Maische- oder später Whirlpool-Temperaturen von 60-70°C bereits die Hälfte der Löslichkeit bei späteren Gärtemperaturen und etwa ein Drittel der Löslichkeit bei Lagertemperatur. Daher sollte bereits das Maischen (zusätzlich katalysiert durch hochwirksame Oxidasen), Läutern und Ausschlagen der Würze möglichst sauerstoffarm erfolgen. Im Mittelpunkt der Überlegung steht dabei: Wieviel Sauerstoff nimmt die Würze auf (Menge), bei welcher Temperatur (Intensität) und wie lange (Zeit) kann es wirken? Schon geringes "Plätschern" im Kaltbereich kann etwa viel Sauerstoff lösen, der dann lange wirken kann.
2.2.1. Sauerstoffeintrag bei der Abfüllung
Bereits knappe 2ml Luft im Kopfraum einer 500ml Flasche erhöhen den Sauerstoffgehalt um mehr als 1mg/L. Dies gilt in einem hellen Lagerbier bereits als ausreichend, um die schützenden Reduktone aufzuzehren. Ein erster Schritt muss daher in der Verkleinerung des Kopfraums bzw. in der Vermeidung eines zu hohen Sauerstoffgehaltes darin sein. Eine 0,5l Bierflasche des NRW Typs bietet ein Volumen von etwa 520ml und besitzt daher bei exakter Füllung von 500ml Bier einen Kopfraum von 20ml. Warum dieser Kopfraum bei industrieller Abfüllung funktionieren kann, im heimischen Bereich jedoch kritisch ist, verdeutlich das Schema der Flaschenfüllung in Abb. 5:
Durch doppelte Evakuierung mit jeweiliger CO2 Spülung kann der Sauerstoffgehalt im Gasraum durch das Verdünnungsprinzip auf ca. 3% des Ursprungswertes gesenkt werden. Ein gleichgroßer Kopfraum bei heimischer Flaschenfüllung ist selbst bei Gegendruckabfüllung mit höheren, bei druckloser Abfüllung gar mit vielfach höherem Sauerstoffgehalt verbunden. In diesem Fall ist es also nicht ratsam der Industrie nachzueifern, sondern im Interesse eines von vorne herein geringen Sauerstoffgehaltes, den Kopfraum durch größere Füllmengen zu reduzieren. Welche Unterschiede sich bei demselben Bier aus einem derart sauerstoffarmen Abfüllung und einem gleichgroßen Kopfraum mit Umgebungsluft ergeben, zeigt Abb. 6. Hierbei wurde eine Flasche geöffnet, der Kopfraum mit Luft ersetzt und wieder verschlossen.
Idealerweise sollte daher auch durch Aufschäumen des CO2 gesättigten Jungbieres noch ein wenig mehr Sauerstoff aus dem Flaschenhals verdrängt werden. Dies jedoch nur gegen Ende des Abfüllvorgangs, insbesondere bei der drucklosen Abfüllung sollte der Füllvorgang möglichst ohne Luftzutritt geschehen.
Zu beachten ist in der Praxis der höhere Druckanstieg bei kleinerem Gasraum, da nur dieser, nicht jedoch die Flüssigkeit kompressibel ist. Ein Abstand von 3-5 mm zwischen Flüssigkeitsoberfläche und Flaschenrand sollte eingehalten werden, muss je nach Karbonisierung und Lagertemperatur womöglich durch den Leser noch angepasst werden.
Des Weiteren sollte beim Umfüllen vom Gärbehälter in anderen Behälter zum Stopfen und/oder in Abfüllbehälter unbedingt mit Schlauch gearbeitet werden. Dieser muss fest sitzen, um keine Luft zu ziehen und sollte bis zum Boden des Zielgefäßes reichen. Das Auslaufventil ist möglichst immer unter der Flüssigkeitsoberfläche zu halten. Beim Stopfen kann ein Schlauchen (knapp) vor Ende der Hauptgärung helfen, durch weitere Gäraktivität wieder ein CO2 Polster aufzubauen. Dabei entstehen jedoch durch Diffusion, trotz der höheren Dichte von CO2, immer Mischungen mit der enthaltenen Luft. Optimal ist daher die zusätzliche Spülung der zweiten Behälter mit CO2 aus der Flasche.
Die Vermutung, dass die aktive Hefe bei der Flaschenachgärung den Sauerstoff im Kopfraum der Flasche zehren kann, hat sich in verschiedenen Versuchen nicht bestätigt [Her05]. Es wurde gezeigt, dass die Hefe nach beendeter Hauptgärung in der ruhenden Flasche nur derart geringe Mengen - falls überhaupt - an Sauerstoff aufnehmen kann, dass kein wirksamer Schutz vor Oxidation festzustellen war. Auch bei Flaschennachgärung ist daher eine hohe Sorgfalt bei der Abfüllung erforderlich.
2.2.2. Temperatur bei der Bierlagerung
Wenn alle Schritte zur Vermeidung eines Sauerstoffeintrags getan sind, bleibt dem Brauer nur die Verringerung äußerer Einwirkungen. Neben einem dunklen Lagerort ist die Temperatur wohl die wichtigste Stellschraube. Unterschiede von wenigen Grad Celsius können auftretende Reaktionen um ein vielfaches beeinflussen. Verdeutlicht wird diese Reaktionskinetik in Abb. 7. In diesem Versuch wurde Bier bei 6°C und 20°C für jeweils 6 Monate gelagert und anhand eines Wärmeindikators (Anilinzahl) die Temperaturbelastung bestimmt. Eine Verkostung nach DLG-Schema bestätigte die Werte des Wärmeindikators.
Für die Bierlagerung ist daher eine möglichst niedrige Temperatur über dem Gefrierpunkt anzustreben. Zu beachten ist, dass es durch Fällung von Protein-Eiweiß-Komplexe besonders unter 4°C zu einem nicht-reversiblen Kältetrub kommen kann, der sedimentiert. Insbesondere vor Abfüllung kann dies durchaus gewünscht sein. Auch Kaufbiere profitieren von einer kalten Lagerung. Brauereien haben meist nur bis zum Regal die Kontrolle über günstige Lagerungsbedingungen, danach ist der Verbraucher gefragt, nicht nur auf das garantierte Mindesthaltbarkeitsdatum zu achten, sondern besonders hopfenlastige Biere zu kühlen und zeitnah zu trinken.
Biere mit Alterungspotenzial, siehe auch folgender Abschnitt, können zur Forcierung erwünschter Alterungsreaktionen auch wärmer gelagert werden. Meist werden diese Biere sehr sauerstoffarm abgefüllt, um den nicht-oxidativen Veränderungen den Vorrang zu geben, da oxidative Bieralterung über die Zeit fast ausschließlich negativ zu bewerten ist.
3. Bieralterung im Kontext der Erwartung
Richtig frisches Bier liegt meist in der Domäne von Haus- und Hobbybrauern, die ihre Biere in jedem Stadium kennenlernen können. Verbraucher erleben Biere oft nach längeren Regalstandzeiten, die bereits zu geschmacklichen Veränderungen geführt haben. In einer Studie von Stephenson und Bamforth [StBa02] konnte sogar gezeigt werden, dass besonders Konsumenten mit niedrigerem Bierkonsum gewisse Fehlaromen wie Lichtgeschmack ("skunk") und Alterungsgeschmack gegenüber frischen Bieren bevorzugen. Selbst im Durchschnitt der Teilnehmer konnte die Studie für geringfügigen Alterungsgeschmack keine signifikante Ablehnung feststellen. Vermutlich sind viele Konsumenten durch die langen Lagerzeiten industrieller Biere gewisse Aromen derart gewohnt, dass sie zur Erwartung geworden sind.
Jede alterungsbedingte Veränderung als qualitätsschädlich zu werten, greift jedoch zu kurz. Nachfolgende Tabelle gibt einen Überblick über Veränderungen, die tatsächlich positiv und produkttypisch sein können. Über Erkennungsmerkmale für Biere mit Alterungspotenzial und konkrete Einkauftipps schreibt Patrick Dawson im empfehlenswerten Buch "Vintage Beer" [Vin14].
Ausgangsprodukt | Vorkommen und Auswirkung |
---|---|
Höhere Alkohole | Leicht flüchtig und wirkt in bei hohen Dosierungen sprittig/fuselig. Kommt besonders in alkoholstarken Bieren vor und baut sich ab zu Aldehyden, die etwa nach Toffee oder Mandel riechen (Benzaldehyd). |
Phenole | Kommen besonders in belgischen und deutschen Weizenbieren vor. Der typische Nelkengeruch durch 4-Vinylguaiacol wird während der Lagerung zu Apocynol und Vannilin abgebaut [Van08]. Diese beiden intensiv nach Vanille riechenden Substanzen können daher etwa Weizenböcke in eine neue Richtung lenken. |
Ester | Auch nach Abschluss der Gärung entstehen weitere Ester, siehe Abschnitt "Nicht-oxidative Veränderungen". Diese Ester können etwa nach getrockneten Früchten riechen - in trocknenden Früchten laufen durch die zunehmende Säurekonzentration ähnliche Prozesse ab - und in Verbindung mit Produkten aus Maillard-Reaktionen (Alterung, aber auch aus dunklen Caramalzen wie Weyermann CaraAroma) komplexe Aromaeindrücke nach getrockneten Rosinen, Pflaumen oder Feigen erzeugen. |
Melanoidine | Leiten oxidative Reaktionen ein, die Produkte erzeugen jedoch neue Aromeneindrücke, die typisch für dunkles Bier sein können. Nicht zu dunkle Biere bieten oft die beste Ausgewogenheit zwischen pro-oxidativen und anti-oxidativen Effekten. |
4. Zusammenfassung
Eine höhere Geschmacksstabilität der Würze, gepaart mit einer Vermeidung von Sauerstoff und optimierten Lagerbedingungen, kann auch dem Hobbybrauer helfen, länger Freude an seinem Hausgebrauten zu haben. Besonders die kalte Lagerung hilft auch gekauftes Bier möglichst lange in dem Zustand zu halten, den der Brauer dafür vorgesehen hat. Während die nicht-oxidativen und enzymatischen Alterungsreaktionen in ihren Ursachen vielfältig und damit kaum durch einfache Maßnahmen in den Griff zu bekommen sind, können oxidative Veränderungen gezielter eingedämmt werden.
Abschließend die Top 5 der schnell umsetzbaren Praxistipps:
- Flaschen und Fässer möglichst voll machen.
- Nirgends "plätschern" lassen, wo man schlauchen kann - außer beim Belüften.
- Bier nach abgeschlossener Karbonisierung möglichst kalt (0°C < 10°C) lagern.
- Mehr Sulfat im Brauwasser durch Calciumsulfat (Braugips) bis 150mg/L, in Ales bis 300mg/L.
- Einsatz von viel Hopfen, dunklen Malzen und Caramalzen.
Eine Binsenweisheit sei am Ende erlaubt: Bier frisch trinken, bevor es oxidiert!
Autor Andreas Staudt ist studierter Informationswirt und Hobbybrauer seit 2007. Er interessierte sich von Anfang an vermehrt für die wissenschaftlichen Hintergründe der Bierentstehung und ließ dafür wohl die ein oder andere Gelegenheit zum Brauen bei einer guten Lektüre verstreichen.
Quellen:
- [Ste02] Stephenson, W. H., & Bamforth, C. W. (2002). The impact of lightstruck and stale character in beers on their perceived quality: A consumer study. Journal of the Institute of Brewing, 108, 406409.
- [Bri04] Briggs et Al. Brewing: Science and Practice, Woodhead Publishing, 2004
- [Cla76] Clapperton, J. F.. J. Inst. Brewing, 82, 175
- [Van05] Vanderhaegen et al. The chemistry of beer aging a critical review, Food Chemistry 95, 2006
- [Daw14] Dawson, Patrick. Vintage Beer: A Taster's Guide to Brews That Improve over Time, Storey Pub, 2014
- [Van08] Vanbeneden et al. Decrease of 4-vinylguaiacol during beer aging and formation of apocynol and vanillin in beer, J Agric Food Chem., 2008
- [Thi06] Thiele, Frithjof. Einfluss der Hefevitalität und der Gärparameter auf die Stoffwechselprodukte der Hefe und auf die Geschmacksstabilität, Dissertation 2006, TUM, Lehrstuhl für Technologie der Brauerei I
- [Wur11] Wurzbacher, Michael. Untersuchungen zum Einfluss antioxidativer Substanzen auf die Geschmacksstabilität des Bieres. Dissertation 2011, TUM, Lehrstuhl für Brau- und Getränketechnologie
- [Her05] Entstehung und Beeinflussung qualitätsbestimmender Aromastoffe bei der Herstellung von Weißbier. Herrmann, M., Dissertation, TUM, 2005
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