“Ich lasse meine Würze einfach über Nacht abkühlen, das hat man früher mit den Kühlschiffen schließlich auch gemacht“. Eine Aussage die mir so schon öfter begegnet ist und deren Sinnhaftigkeit aber auch deren Wahrheitsgehalt ich auf den Grund gehen will.
Warum kühlen?
Mit dem Abkühlen der Würze nach dem Kochen verfolgt der Brauer, bewusst und unbewusst, unterschiedliche Ziele. Das offensichtlichste ist: er will die Würze in einen Temperaturbereich bringen, bei dem die Hefe keinen Schaden mehr nimmt. Hefen sind, relativ gesehen, recht hitzeempfindlich. In der Regel reicht ein Warmhalten für 20 Minuten bei 50–65°C um Hefen abzutöten.
Ein weiterer Vorgang, den der Brauer mit dem Abkühlen verfolgt, ist die Isomerisierung der Hopfenbitterstoffe zu stoppen. Dabei spielt die Temperatur eine ausschlaggebende Rolle. Bei Temperaturen unter 80°C findet keine nennenswerte Isomerisierung der fast unlöslichen α‑Säure zur löslichen Iso-α-Säure mehr statt. Das heißt, eine Abkühlung unter 80°C „fixiert“ auch die Bittere im Bier. Je reproduzierbarer diese Abkühlung stattfindet und je schneller, desto reproduzierbarer ist auch das Ergebnis.
Ein rasches Abkühlen auf Anstelltemperatur ist zudem aktiver Schutz vor Infektionen. Zum einen stellt der Temperaturbereich zwischen 40°C und 20°C ein besonderes Risiko dar, da hier viele bierschädliche Mikroorganismen ideale Wachstumsbedingungen vorfinden. Des weiteren sorgt eine schnelle Zugabe der Hefe durch den pH- Sturz, die Bildung von Alkohol und Kohlendioxid und durch die Aufzehrung von Sauerstoff und Nährstoffen in der Würze für einen weiteren Schutz vor Infektionen. Wer hier glaubt, dass Ausschlagwürze durch die vorangegangene Kochung steril ist, der irrt. Die Sporen der sogenannten Thermobakterien, auch Würzebakterien, überleben das Kochen und sorgen für Fehlaromen im fertigen Bier.
Daneben verfolgt der Brauer mit der Abkühlung der Würze die vollständige Abscheidung des Heißtrubs und die Entfernung des Kühltrubs.
Ein Effekt, den der Brauer durch rasches Abkühlen unbewusst erzielt, ist zu unterbinden, dass sich weiterhin Dimethylsulfid (DMS) aus S‑Methylmethionin (DMS‑P) bildet, das dann aber nicht mehr durch kochen ausgetrieben wird und so zu Geschmacksfehlern führt. Dies wird bei Temperaturen unter 80°C unterbunden.
Was ist ein Kühlschiff?
Ein Kühlschiff ist ein flaches und offenes Gefäß, meistens aus Edelstahl oder Kupfer, früher auch aus Eisen, in das die heiße Würze ausgeschlagen wird, um abzukühlen. Dabei steht die Würze etwa 15–25 cm hoch . Neben der Würzekühlung dient es auch dazu den Trub abzusetzen.
Kühlschiffe waren immer im obersten Stockwerk der Brauerei angebracht. Zum einen war hier die Luft sauber, zum anderen war so, entweder über Jalousien oder eine Filteranlage, der Zutritt der Kühlluft und der Abtransport der Dampfschwaden gewährleistet.
Im Winter, da hier die Luft weniger Mikroorganismen und Staub enthielt, verblieb früher die Würze in kleinen Betrieben teilweise bis 12 Stunden auf dem Kühlschiff, wobei sie auf Anstelltemperatur abkühlte. Dieses Vorgehen ist aber die absolute Ausnahme und sorgte meist für eine kurze mikrobiologische Haltbarkeit des Bieres. Im Normalfall wird nach etwa 30 Minuten bis 2 Stunden die Würze vorsichtig abgezogen und somit vom Trub getrennt. Dabei wird auf dem Kühlschiff die Würze meist nur bis etwa 60–80°C abgekühlt. Im Anschluss wird mittels Kühlapparat, heute meistens Plattenwärmetauscher, früher Berieselungskühler, rasch auf Anstelltemperatur weitergekühlt.
Die Arbeitsweise des Kühlschiffs
Bei der Arbeitsweise des Kühlschiffs lassen sich zwei Effekte unterscheiden. Zuerst mal dürfte klar sein, dass die Masse des Metalls zunächst Energie in Form von Wärme aufnimmt, und zwar aus der Würze, die sich entsprechend abkühlt. Die Kenngröße, mit der sich dieser Vorgang beschreiben lässt, ist die spezifische Wärmekapazität [], die angibt, wie viel Energie nötig ist, um eines Stoffes um zu erwärmen. Die liegt bei Kupfer bei , bei Eisen bei und bei legiertem Stahl bei etwa .
Ein Kühlschiff mit einer Seitenlänge von und einer Würzehöhe von , das aus Stahl gefertigt wurde, wiegt dabei etwa und hat einen Inhalt von . Das heißt das die Erwärmung des Kühlschiffes um der Würze etwa enzieht.
Über die Richmannsche Mischungsregel, lässt sich damit die Mischtemperatur bestimmen:
Mit den oben genannten Werten ergibt sich dadurch bereits eine Abkühlung um etwa .
Der weitaus größere Kühleffekt stellt sich aber durch die Verdunstung, auch adiabatische Kühlung genannt, ein. Sie beruht darauf, dass die ein Stoff zur Änderung seines Aggregatzustandes – in diesem Fall von flüssigem Wasser in den gasförmigen Zustand – Energie braucht. Aus diesem Grund ist die Oberfläche ein wichtiges Kriterium bei Kühlschiffen. Den Effekt kennt jeder, der schon einmal nach dem Schwimmen oder verschwitzt nass im Wind stand.
Um als Beispiel die Würze von 90°C auf 60°C auf dem Kühlschiff abzukühlen, reicht eine Verdunstung von etwa 5% des Volumens. Durch die großen Oberflächen und den guten Luftaustausch über der Flüssigkeit wird das meist in weniger als 60 Minuten erreicht.
Warum sind Kühlschiffe selten geworden…
Die modernen Anforderungen an die (mikrobiologische) Haltbarkeit von oft mehr als 12 Monaten und die offene Bauweise des klassischen Kühlschiff sind heute oft schwer zu vereinbaren. Das klassische Kühlschiff wurde zwar im Laufe der Zeit weiterentwickelt, etwa durch den Einsatz von Abdeckungen und Sterilluftanlagen, aber Aufwand und Nutzen stehen hier im Vergleich zu modernen Wärmetauschern in keinem guten Verhältnis.
Der wichtigste Grund dürften allerdings die Kosten sein. Ein moderner Wärmetauscher hat einen wesentlich höherer Wirkungsgrad und die Möglichkeit der Energierückgewinnung. Das heißt im Brauereialltag weniger Zeitaufwand beim Kühlen. Dazu kommt ein hoher Pflegeaufwand und Arbeitseinsatz, da sich viele Prozesse, wie etwa die Reinigung, nur mäßig automatisieren lassen. Zudem sind die Würzeverluste im Vergleich zu modernen, geschlossenen Systemen recht hoch oder sie müssen mit zusätzlichen Prozessen, wie einer Trubzentrifuge, kontrolliert werden.
…und warum feiern sie eine Renaissance?
Bieren, die auf dem Kühlschiff abkühlen, wird nachgesagt, dass sie milder im Geschmack sind. Technologisch könnten dafür mehrere Gründe sprechen.
Mit Sicherheit werden durch die hohe Verdampfung (8–10%) auf dem Kühlschiff sehr effizient unedle und ungewollte, flüchtige Aromastoffe ausgetrieben. Dieses „Ausstinken“, wie es der Brauer nennt, wird heute mit viel technischem Aufwand in hochkomplexen Kochungssystemen, wie z.B. der Dünnfilmkochung oder dem Stripping, forciert und fand auf dem Kühlschiff praktisch auf natürlichem Wege statt.
Ein weiterer Aspekt, der meines Wissens noch nicht erschöpfend erforscht wurde, sich aber in Ansätzen zum Beispiel im Handbuch der Brauerei und Mälzerei von Prof. Schönfeld in den 1930ern beschrieben wurde, ist die „Abrundung“ des Bittereindruck durch oxidative Vorgänge.
Zuletzt trägt aber sicher auch der Gedanke des „Slow Foods“ und der traditionellen Herstellungsweise bei Lebensmittel zur Rückbesinnung auf Kühlschiffe bei.
Das hier abgebildete Kühlschiff befindet sich bei der Augustinerbräu, Kloster Mülln OG in Salzburg. Es wurde 1912 von der Firma Göggl und Sohn gebaut. Die Anlage ist für 90hl Ausschlagwürze konzipiert. Durch die Abmessungen von 9m auf 8m ergibt sich eine Würzehöhe von etwa 12,5 cm.
Vergleich Kühlschiff und über Nacht abkühlen
Mag nun das über Nacht abkühlen dem Kühlschiff ähnlich erscheinen, so hat es doch ganz gravierende Unterschiede. Wie oben gezeigt, beruht die Funktionsweise des Kühlschiffs vor allem auf Verdunstungseffekten, so lassen die meisten Heimbrauer, aus Angst vor Infektionen, die Würze in geschlossenen Behältern abkühlen. Der Deckel verhindert aber genau diese Verdunstung. Was bleibt, ist die Abkühlung durch Wärmeleitung durch die Behälterwand und Konvektion im Behälter. Beide Effekte sind bei weitem nicht so effektiv wie die Verdunstung.
Daneben verhindert der Deckel das Austreiben flüchtiger Stoffe, das sogenannte Ausstinken. Dazu gehört auch bis 80°C noch das Austreiben von DMS. Mit einem Deckel kondensiert das DMS daran und tropft zurück in den Sud.
Ein Abkühlen über Nacht mit einem offenen Behälter ist allerdings mit den Mitteln des Hobbybrauers auch nicht ratsam. Wie gesagt wird im Normalfall die Würze nur bis zu einer Temperatur von 60–80°C abgekühlt. Das dauert zwischen 30 Minuten und 2 Stunden. Daneben wurden Kühlschiffe absichtlich am höchsten Punkt der Brauerei errichtet, wo die Luft keimärmer und staubfreier ist als in Bodennähe. In vielen Fällen wurde die Luft sogar aufbereitet. Insgesamt muss man aber diese historischen Verfahren im gesamten Kontext betrachten. Die Haltbarkeit von vielen Bieren war früher nur wenige Wochen.
Gerade die Dauer, die das Bier auf dem Kühlschiff verbringt, ist hier ausschlaggebend. Viele belgische Biere mit spontaner Gärung werden auf diese Weise hergestellt. So verbleibt die Würze bei der Lambic-Herstellung etwa 10–12 Stunden auf dem Kühlschiff, wobei sie eben auch mit anderen Gärungsorganismen infiziert wird. Dazu kommt, dass sich das die Brauer in Belgien auch nur im Winter trauen, wenn die Luft entsprechend sauber ist und wenig Pollen und Insekten unterwegs sind.
Fazit: Über Nacht in einem geschlossenen Behälter abkühlen hat recht wenig mit dem klassischen Kühlschiff zu tun, und offenes Abkühlen über die Dauer einer ganzen Nacht eignet sich vor allem zur Herstellung spontan vergorener Biere.