Norwegische Bauern haben schon immer ihr eigenes Bier gebraut. Mittelalterliche Gesetze, die ihren Ursprung in vorchristlicher Zeit haben, machten das Bierbrauen zu Weihnachten sogar zur Pflicht. Beim dritten Verstoß dagegen konnte man seinen Hof verlieren. So wichtig war Bier.
Obwohl es oft fast soweit war, starb die Tradition nie vollständig aus. Die meisten Braustätten verschwanden, aber an den Orten, wo sie noch zu finden waren, wurden die Traditionen vor einigen Jahren von einem Mann namens Lars Marius Garshol wieder aufgenommen und gepflegt. Er sammelte auch Proben von Hefen, die von den traditionellen Brauern benutzt wurden. Sie nennen sich in norwegischen Sprachen „Kveik”. Er ließ sie analysieren, und es stellte sich heraus, dass sie wirklich einzigartig waren. Es gibt verschiedene Stämme, die alle unterschiedlich und inzwischen auch von mehreren US-Hefelaboren kommerziell erhältlich sind. Das Brauen von norwegischen Farm Ales hat sich verbreitet und wurde inzwischen zum internationalen Trend. Für den Kern der engagiertesten norwegischen Hobbybrauer, die die alte Tradition des Brauens mit Kveik wieder aufgenommen haben, ist das eine ziemlich große Sache.
Das moderne norwegische Heimbrauen entstand allerdings viel früher. Um das Jahr 2000 erreichte der internationale Trend des Heimbrauens Norwegen und entfachte erneut das Interesse an Bier und am Brauen. Als moderner Heimbrauer interessierte sich Garhol dann auch für das traditionelle Farmhouse-Brauen.
Gehen wir nocht etwas weiter zurück in der Geschichte.
Das Brauen wurde bis etwa 1850 in fast jedem Haushalt praktiziert. Zu dieser Zeit erreichte der Konsum hausgemachten harten Alkohols ein katastrophales Ausmaß. Als Gegenmaßnahme für dieses Übel förderte die Regierung die Gründung kommerzieller Brauereien. Bald gab es etwa 300 von ihnen, die das moderne Lager brauten, das für die meisten Leute bald zum bevorzugten alkoholischen Getränk wurde.
Natürlich war das nur ein Beispiel dafür, wie industrielle Produkte die hausgemachten verdrängten, als die industrielle Revolution die westlichen Länder erfasste und umgestaltete. Und als das Biergesetz von 1912 das private Brauen verbot, wenn das Malz nicht auch vom Brauer selbst hergestellt wurde, war das der Untergang des Hausbrauens. Seit dieser Zeit und bis zur Jahrtausendwende bedeutete „Bier” für fast alle Norweger „Pils”. Die Brauereien brauten auch Dunkles, Bock und Export, aber Pilsner Bier dominierte total. Ales existierten nicht.
Inzwischen begann mit der „Campaign for Real Ale” in England 1971 und der amerikanischen Anker-Brauerei mit ihrem Liberty Ale 1976 in der Welt da draußen langsam eine Bierrevolution. Als dann das norwegische Biergesetz 1999 geändert und das Hausbrauen wieder legal wurde, schlossen sich die Norweger an. Obwohl 1998, ein Jahr zuvor, die norwegische Heimbrauer-Vereinigung Norbrygg, gegründet wurde, war es nicht so, dass die Leute sofort in Massen die ihnen endlich gewährte Freiheit des Brauens genossen. Die norwegische Bier-Revolution brauchte etwas Zeit.
Ein Kern aktiver Pioniere baute eine neue Bierkultur auf, und manche von ihnen eröffneten Craft-Brauereien. Die erste und wichtigste war Nøgne Ø, gegründet 2002. Später folgten andere, wenn auch nur wenige in den ersten Jahren. Bis nach 2010 stockte die Bierrevolution etwas. Aber dann stieg sowohl die Anzahl an Brauereien als auch die der Hobbybrauer steil an. „Exotische” Biere wie IPAs, englische Ales und belgische Saisonbiere tauchten in den Shops auf, und langsam dämmerte es auch beim normalen Biertrinker, dass nicht alle Biere Pilsner sind. Das brachte auch Industriebrauereien dazu, ihre Craft-Bier-Versionen zu brauen, die aber meist ziemlich uninteressant waren – und sind. Und natürlich ist das Pilsner immer noch König der Regale.
Es ist keine Übertreibung, zu sagen, dass sich die norwegische Bierkultur total verändert hat. Und obwohl es scheint, dass im Moment das Heimbrauen etwas weniger populär ist als ein paar Jahre zuvor, ist es definitiv nicht mehr wegzudenken. Es wäre schwierig, jemanden zu finden, der keinen Heimbrauer kennt, und die meisten kennen wahrscheinlich sogar mehrere.
Ein Grund dafür, dass das Heimbrauen so populär wurde, sind die hohen Bierpreise in Norwegen. Man kann im Laden kein billiges Pilsner für unter 5 Euro pro Liter kaufen; die meisten kosten sogar ein oder zwei Euro mehr. Craft Bier ist doppelt so teuer. Man kann aber ein Pilsner für weniger als einen Euro pro Liter selbst brauen.
Trotzdem ist die Motivation zum Brauen bei den meisten Hobbybrauern eher die Fähigkeit, etwas zu brauen, das gut schmeckt, einem gekauften Bier ähnelt und das man Stolz als sein Eigenes präsentieren kann. Es ist auch sehr einfach geworden, mit dem Brauen anzufangen. Man kann jetzt recht preisgünstige automatisierte Brauanlagen kaufen, die dem teuren deutschen Original Speidel mehr oder weniger ähneln. Und man muss sich keine Gedanken mehr um Malz und Hopfen und die Rezepterstellung machen: man kann einfach im Heimbrauladen ein Paket mit fertig geschrotetem Malz, Hopfen und Hefe für sein Lieblingsbier aus dem Regal nehmen (und man muss sich nicht mal mehr aus dem Haus begeben, wenn man es im Internet bestellt). Diese Braupakete sind aktuell sehr verbreitet.
Norbrygg war eine wichtige Triebkraft bei der Entwicklung und Verbreitung der Kultur des Heimbrauens – und der neuen Bierkultur in Norwegen. Die zentralen Ziele sind:
- das Interesse am Heimbrauen zu fördern und die Praxis des Heimbrauens zu verbreiten
- die Kompetenzen der Mitglieder zu entwickeln und zum Austausch von Wissen und Erfahrungen zwischen Brauern national und international beizutragen
- einen verantwortungsvollen Umgang mit dem Biertrinken zu fördern
- Wettbewerbe, Treffen, Kurse und andere soziale Aktivitäten zu veranstalten
Die Organisation hat Kurse veranstaltet, Bierverkoster ausgebildet, Wettbewerbe und Festivals abgehalten. Und es ist ein Netzwerk entstanden, das wahrscheinlich sehr wichtig bei der Entstehung vieler Mikrobrauereien war, von denen es jetzt um die 150 gibt. Das auf der Norbrygg-Homepage gehostete Forum ist ein Platz, an dem viele Leute, die nicht unbedingt Mitglieder sein müssen, Informationen und Tipps bekommen sowie alle Fragen rund um das Brauen diskutieren können.
Norbrygg hat aktuell über 4000 Mitglieder. Es war bisher eine zentrale nationale Organisation, aber es wird im Moment wird hart daran gearbeitet, funktionierende regionale Abteilungen in jeder der 18 Provinzen (norwegisch Fylker) aufzubauen. Das ist keine einfache Aufgabe in einem Land, in dem man oft über weite Entfernungen reisen muss, um andere Brauer zu treffen. Bisher war diese Arbeit in den größeren Städten am erfolgreichsten.
Obwohl Norbrygg wichtig war, gibt es außerhalb der Organisation weit mehr Hobbybrauer als in ihr organisiert sind. An vielen Orten sind Leute zusammengekommen, um größere Sude zu brauen und ihr Bier auszutauschen, und sie sehen nur selten die Notwendigkeit, Teil von etwas größerem außerhalb ihrer Gruppe zu sein. Es gibt auch eine große facebook-Gruppe für Hobbybrauer – sie hat mehr als 20.000 Mitglieder.
Offensichtlich ist das Brauen für die meisten ein Hobby, für das sie sich engagieren, ohne organisiert sein zu müssen. Sogar die meisten Norbrygg-Mitglieder sind keine Aktiven Teilnehmer, und die Anzahl an Brauern, die an von Norbrygg ausgerichteten Wettbewerben teilnehmen, ist relativ gering.
Zusammenfassend gesagt ist die Hobbybrauer-Szene in Norwegen groß und es gibt generell ein wachsendes Bewusstsein für die Vielfalt in der Welt des Biers. Die Fähigkeiten und der Wissensstand der Hobbybrauer kann möglicherweise um einiges verbessert werden, und so hat Norbrygg eine wichtige Funktion auszufüllen. Ob das gelingt, hängt sehr davon ab, wie erfolgreich die Bildung lokaler Abteilungen in den norwegischen Provinzen ist. Es gibt noch viel zu tun.
Übersetzung: Jörg Krüger