Gleich vorweg: ich habe in der letzten Zeit selten ein Buch mit so viel Interesse und Neugier verschlungen, wie dieses. Der aktuelle Hype um Kveik hat mich zunächst befürchten lassen, hier nur ein flaches Werk über die umjubelte Hefe zu bekommen. Aber ganz im Gegenteil: es fasst auf mehr als 400 Seiten jahrelange intensive Recherchen, Forschung, Reisen, Interviews und gemeinsame Sude mit Europas wohl archaischsten Biersiedern zusammen: den norwegischen, schwedischen, dänischen, finnischen, litauischen und russischen Farmhaus-Brauern.
Dabei beginnt das Buch wie viele andere Bierfibeln mit der Geschichte. Aber statt wie sonst meist angelesene vage Informationen über ferne Vergangenheit im Zweistromland oder Mittelalter wiederzugeben, geht es hier ganz konkret und mit Belegen aus skandinavischen Archiven um die Farmhaus-Brauer: wie bauten sie ihr Getreide an, wie mälzten, brauten und vergärten sie es. Ein äußerst interessanter Kampf mit einfachsten Mitteln gegen karge Böden, widriges Wetter und dürftige Ausrüstung, bei dem sich die Bauern jedes Gramm Braumalz buchstäblich vom Munde absparen mussten.
Aber das Buch beschreibt nicht nur theoretisch. Lars besuchte seit 2014 viele der noch aktiven Farmhaus-Brauer und braute mit ihnen gemeinsam, verkostete ihre Biere und bekam Proben ihrer Hefen. Die sind es auch, die den Hype um ihre wundersamen Eigenschaften auslösten: manche von ihnen gären bei 30°C und mehr und produzieren trotzdem neutrale, lagerähnliche Biere, andere bringen auch ohne teure Importhopfen die exotischsten Fruchtaromen ins Bier. Am erstaunlichsten aber ist ihre Lagerung: über Jahrhunderte wurden sie auf den einsamen Höfen immer von Sud zu Sud weitergeführt und in längeren Braupausen auf Holzringen oder Tüchern getrocknet.
Auch die Brautechniken sind oft abenteuerlich: statt simples Wasser wird meist eine Wacholderinfusion zum Brauen benutzt, die Maische wird manchmal zu Brot verbacken und später nochmals eingemaischt, geläutert wird über Stroh und Wacholder. Als Würzung wird oft neben dem raren Hopfen alles benutzt, was sich in der Umgebung an Kräutern und Gewürzen findet. Selten habe ich so viele Anregungen zu eigenen Experimenten bekommen wie in diesem Buch.
Ein eigenes Kapitel widmet sich natürlich der Hefe: dem Kveik, seiner Herkunft, Eigenschaften und Verarbeitung. Unter anderem durch Lars’ Studien erlebt Kveik momentan eine Renaissance sondergleichen und wird aktuell von mehreren Labors in verschiedenen Versionen als Reinzucht geliefert. Inwieweit diese Industrieprodukte noch mit den ursprünglichen Kveiks identisch sind, steht aber auf einem anderen Blatt.
Ganze 75 Seiten lang ist das Kapitel über die knapp 40 bisher bekannten Typen von Farmhaus-Bieren inklusive Rezepten zum Nachbrauen. Genaue 1:1 Kopien werden zwar sehr schwierig sein, allein schon weil uns die typischen Zutaten wie das selbstgemälzte und geräucherte Malz oder genügend Wacholder zum Brauen oder Mädesüß zum Würzen fehlen. Auch werden nur wenige beispielsweise die Geduld und Energie zum stundenlangen Kochen der Würze aufbringen wollen. Aber wohl jeder wird für sich einige Techniken finden, die er in seinen Braualltag integrieren kann und die Probleme statt mit komplizierter und teurer Technik mit ungewöhnlichen, aber einfachen Lösungen bewältigen.
Die Zukunft der Farmhaus-Brauer ist leider ungewiss. Es gibt bisher nur wenige Aspiranten, die das Handwerk von den wenigen verbliebenen, meist älteren Brauern übernehmen wollen. Zu schwer und kompliziert ist die Arbeit, zu leicht erreichbar das Industriebier, zu speziell auch eventuell der Geschmack der Farmhaus-Biere. Vielleicht trägt das Buch etwas dazu bei, die Farmhaus-Brauerei am Leben zu erhalten und ihre Tradition noch ein paar weitere Jahrhunderte fortzuschreiben.
Leider ist das Buch bisher nur in Englisch bei Brewers Publications, dem Verlag des Verbands der unabhängigen amerikanischen Brauer erschienen; ob es je eine Übersetzung geben wird, ist ungewiss.