Der Büchermarkt bot im Reinheitsgebotsjubeljahr 2016 eine Fülle von Neuerscheinungen zum Thema. Auch in dem vorliegenden Band schafft es die bayerische Landesordnung aus dem Jahr 1516 fast in den Eingangs- und Schlusssatz. Am Ende werden das Reinheitsgebot und die sich darauf berufende Biergesetzgebung des 20. Jahrhunderts jedoch auf ihren angemessenen Platz als lediglich eine Episode in der Zivilisationsgeschichte verwiesen. Damit sind aber auch schon das Thema und der Rahmen des Buches abgesteckt: eine Kulturgeschichte aus dem Blickwinkel des erfolgreichsten Produkts des menschlichen Konsums, des Biers, zu schreiben.
Das ist den Autoren rundum gut gelungen. Welche gesellschaftliche Schichten, welche Regionen und wie sich die Geschlechter zu welcher Zeit wie zum Bier verhalten (haben), wird ausgiebig beleuchtet. Am Anfang steht, dass der Rausch wenn auch nicht das einzige, so doch möglicherweise ein wesentliches Motiv für die Sesshaftwerdung gewesen sein könnte. Bierkonsum ermöglichte Teilhabe am gesellschaftlichen Leben und war gemeinschaftsstiftende Aktivität. Bier wird zum Schmierstoff der Industrialisierung und Objekt der Ästhetisierung durch die Werbung. Heute ist die Wahl des konsumierten Biers wichtiger Ausdruck der Identität in individualisierten Lebensentwürfen. In den „Spalten und Schatten” der Globalisierung werden schließlich wieder weitgehend verlorene Bierstile unter dem Sammelbegriff des Craft Beers produziert und getrunken. Besondere Aufmerksamkeit bekommen, dem Stoff entsprechend, die Entwicklungen in Bayern und schließlich der Siegeszug der böhmisch-bayerischen untergärigen Biersorten. Mit ihm einher ging einerseits eine Steigerung des Verbrauchs und der Verfügbarkeit. Auf der anderen Seite wurde damit auch das Ende einer gewachsenen europäischen Biervielfalt eingeleitet, was heute oft bedauert wird.
Wo die Quellenlage schwierig und dünn ist (wie im Mittelalter), gestehen die Autoren es ein. Wo die Quellen reichlich sprudeln (ab der Frühen Neuzeit und später während der Industrialisierung), fließen sie in informative und unterhaltsame Passagen ein.
Dank des über weite Strecken erzählenden Tons lässt sich der Text flüssig lesen. Nur das Nachschlagen im sonst wertvollen Fußnotenapparat, der am Ende des Buches platziert ist, stört den Fluss. Wohltuend ist auch der Verzicht auf Anglizismen, wo sie unnötig sind.
Von der durchgehenden Qualität fällt die Darstellung des (modernen) Brauprozesses ab: Würzekochen kommt hier nicht über die Erhitzung auf 80 °C hinaus. Bei der Gärung „frisst” die Hefe den Malzzucker, und es entsteht offensichtlich ausschließlich Alkohol. Für die Erwähnung der Kohlensäure hätte sich sicher der nötige Platz noch gefunden. Der mit Würzezubereitung und Vergärung vertraute Leser sollte diese Patzer verzeihen und kann den Abschnitt getrost ohne Verlust überspringen.
Ärgerlich wird es dann aber doch, wenn die aufgestellten Thesen nicht konsequent belegt werden. Da ist unhistorisch vom „Weg zum Reinheitsgebot” die Rede, wo doch an anderer Stelle festgehalten wird, dass es sich 1516 keineswegs um ein Reinheitsgebot im Sinne einer frühen Verbraucherschutzverordnung handelte. Dass die bayerische Verordnung dann in der Reichsgesetzgebung der Kaiserzeit aufgegriffen wurde, hatte ebenfalls nichts mit einem Weg oder einer in dem Wort mitschwingenden Kontinuität zu tun.
Ein weiteres Beispiel findet sich im Kapitel über die Frühe Neuzeit, wo zunächst die aufkommende Ablehnung des Biers in Zusammenhang mit der Reformation gebracht wird, um dann den (katholischen) Kanonikus Heinrich Knaust als Zeugen anzuführen. Der Zusammenhang zur Reformation ist wohl mehr ein zeitlicher als ein kausaler und möglicherweise eher dem aufkommenden Buchdruck und der von den Autoren auch zugestandenen „Thematisierungskonjunktur” zuzuschreiben.
Positiv zu erwähnen sind weiterhin die sparsam eingesetzten Schwarz-Weiß-Abbildungen, für einen solchen Band ausreichend und angemessen. Weniger gelungen ist die Gestaltung des Schutzumschlags, die einem bedauerlichen Trend ähnlicher Publikationen zu Designzitaten folgt. Davon abgesehen bekommt der Käufer der gebundenen Ausgabe einen handlichen Band in wertiger Austattung für den Preis von knapp 25 Euro. Daneben gibt es für denselben Preis ein E‑Book im EPUB‑, Kindle- oder PDF-Format. Eine Literaturliste von nicht weniger als 21 Seiten stellt dem interessierten Leser einen Fundus für die weitere Lektüre auch in spezialisierten Themen zur Verfügung und rundet die Publikation ab.
Im Fazit hebt sich das Buch wohltuend von anderen mit ähnlichem Ziel ab und wird das Jahr 2016 als Lektüre und Gesprächsstoff hoffentlich weit überdauern. Es sei jedem Brau- und Bierinteressierten wärmstens empfohlen.