Spiel mit dem Feu­er: Kärnt­ner Steinbier

Rekon­struk­ti­on eines Brauverfahrens

Im Gegen­satz zum heu­ti­gen Stein­bier, bei dem fer­ti­ge Bier­wür­ze mit glü­hen­den Stei­nen „gesta­chelt“ wird, wur­de beim his­to­ri­schen Kärnt­ner Stein­bier auch die Mai­sche nur mit­hil­fe hei­ßer Stei­ne erhitzt, dafür wur­de auf eine anschlie­ßen­de Wür­ze­ko­chung ver­zich­tet. Ein Expe­ri­ment zur Rekon­struk­ti­on die­ser Brau­tech­nik zeigt, dass dies ohne Anbren­nen der Mai­sche mög­lich ist, und offen­bart Über­ra­schen­des bis hin zum Endvergärungsgrad.

Stein­bier ges­tern und heute

Bevor man kera­mi­sche oder gar metal­le­ne Behäl­ter her­stel­len konn­te, waren Koch­stei­ne bei allen Kul­tu­ren die ein­zi­ge Mög­lich­keit, Flüs­sig­kei­ten zum Sie­den zu brin­gen: Man wirft im Feu­er erhitz­te Stei­ne in die Flüs­sig­keit, die sich in einer Erd­gru­be oder in einem Holz­trog befin­den kann. Daher ist anzu­neh­men, dass die­se Tech­nik bereits in den Anfän­gen der Bier­be­rei­tung eine Rol­le gespielt hat, wie etwa Meu­ßen­doerf­fer und Zarn­kow in [1] auf s. 33 für den küh­len kel­ti­schen Nor­den annehmen.

Dem­ge­gen­über bie­ten auch heu­te wie­der eini­ge Braue­rei­en soge­nann­tes „Stein­bier“ an, bei dem glü­hen­de Stei­ne in der Bier­wür­ze ver­senkt wer­den. Bekann­tes­tes Bei­spiel dürf­te wohl die Braue­rei Lei­k­eim in Alten­kunst­adt sein. Wohl ähn­lich wie beim soge­nann­ten „Sta­cheln“ von Bier mit glü­hen­den Metall­spie­ßen kara­mel­li­sie­re dabei ein Teil des Malz­zu­ckers an den Stei­nen und ver­lei­he dem Bier eine beson­de­re kara­mel­li­ge und „fein­rau­chi­ge“ Note. Die mit „hoch­mo­le­ku­la­rem Malz­zu­cker ange­rei­cher­ten“ Stei­ne wür­den anschlie­ßend in den Gär­bot­tich gege­ben, was zu einer „explo­si­ons­ar­ti­gen Nach­gä­rung“ [2] füh­re. Ein­mal abge­se­hen davon, dass es noch einer Erklä­rung bedürf­te, war­um eigent­lich unver­gär­ba­rer Kara­mell­zu­cker hef­ti­ger ver­gä­ren soll als die ursprüng­li­che Mal­to­se, hat die­ses Ver­fah­ren mit dem ursprüng­li­chen Gedan­ken, ganz ohne Metall­pfan­nen brau­en zu kön­nen, nur noch recht wenig zu tun.

Back to the roots – ein Muse­ums­be­such hin­ter­lässt Fragen

Ganz im Gegen­satz zu die­ser moder­nen Inter­pre­ta­ti­on eines Stein­biers gibt es im Fun­dus des Deut­schen Muse­ums in Mün­chen ein lie­be­voll gestal­te­tes Diora­ma einer Kärnt­ner Stein­bier­braue­rei, das bis­lang in der noch bis 2019 wegen Moder­ni­sie­rung geschlos­se­nen Abtei­lung „Agrar- und Lebens­mit­tel­tech­nik“ aus­ge­stellt war.

Diorama einer Steinbierbrauerei im Deutschen Museum, München

Abb. 1: Diorama einer Steinbierbrauerei im Deutschen Museum, München

Der Schau­t­ext an der Vitri­ne [3] ver­lau­te­te ausschnittweise:

In den Stein­bier­braue­rei­en Kärn­tens wur­de bis in die 20er Jah­re unse­res Jahr­hun­derts [gemeint ist das 20. Jhdt., Anm.] ein seit Jahr­hun­der­ten in fast unver­än­der­ter Form ver­erb­tes Brau­ver­fah­ren ausgeübt. (…)

Die Ein­rich­tung einer Stein­bier­braue­rei ist, wenn man von den ägyp­ti­schen ‚Kalt­bier­braue­rei­en‘ absieht, die denk­bar pri­mi­tivs­te. Sie stammt sicher aus einer Zeit, in wel­cher man es noch nicht ver­stand, gro­ße Gefä­ße aus Metall herzustellen. (…)

In einer gemau­er­ten Gru­be, Grum­mettl genannt, wer­den nicht bers­ten­de, kopf­gro­ße Grau­wa­cken­stei­ne in einem bren­nen­den Holz­schei­ter­hau­fen zum Glü­hen gebracht. An der Vor­der­sei­te des Grum­mettls wer­den meh­re­re faust­gro­ße Stei­ne ein­ge­legt, die eben­falls rot­glü­hend wer­den. Der Maisch­bot­tich, des­sen Grö­ße sich nach der Men­ge des zu erzeu­gen­den Bie­res rich­tet, faßt annä­hernd halb so viel Hek­to­li­ter als die zu erzeu­gen­de Bier­men­ge. Er besitzt in der Mit­te ein etwa 5 bis 6 cm wei­tes Loch, das durch den Steck­zap­fen, der über den Bot­tich­rand hin­aus­ragt, ver­schlos­sen wird. Der Maisch­bot­tich steht über einer tie­fen Rin­ne, dem soge­nann­ten Gran­ter, in der Nähe des Grummettls.

Das Ein­maisch­quan­tum setzt sich wie folgt zusam­men: 60 % Gers­ten­malz, 25 % Wei­zen­malz, 15 % Hafer­malz. Auf den Boden des Maisch- und Läu­ter­bot­tichs wer­den zunächst Wachol­der­äs­te (Kra­ne­wit­ten) gelegt, dann läßt man etwas Was­ser zuflie­ßen. Mit der klei­nen ‚Stein­zan­gen‘ gibt man die klei­nen glü­hen­den Stei­ne hin­ein und dar­auf den Hop­fen, der so eine Art Rös­tung erfährt. Jetzt wird zuerst das Hafer- und dann das Gers­ten­schrot mit war­mem und kal­tem Was­ser ein­ge­maischt. In der nas­sen ‚Wie­ge‘ wer­den die gro­ßen glü­hen­den Stei­ne her­bei­ge­schafft und mit der gro­ßen ‚Stein­zan­gen‘ in die Mai­sche ver­senkt. Die Mai­sche wird gleich­zei­tig mit dem Maisch­scheit in Bewe­gung gehal­ten. Das Gan­ze kommt lang­sam zum Sie­den. Kurz vor dem Abläu­tern wird die am Abend vor­her in einem klei­nen Bot­tich ange­setz­te Wei­zen­mai­sche beigemengt.

Nach etwa einer Stun­de wird der Steck­zap­fen vor­sich­tig gezo­gen und die Wür­ze läuft in den ‚Läu­ter­grant‘ ab. Das Wachol­der­rei­sig und die Tre­ber wir­ken als Fil­ter. Solan­ge die Wür­ze trüb läuft, wird sie in den Bot­tich zurück­ge­schöpft. Nach­dem die Wür­ze klar abläuft, wird sie aus dem ‚Gran­ter‘ in den Gär­bot­tich geschöpft. Die Tre­ber wer­den solan­ge mit hei­ßem Was­ser ‚über­ge­schwänzt‘, bis der Gär­bot­tich genü­gend voll ist.

Die Gärung wird mit­tels ‚Faß­ge­lä­ger‘ ein­ge­lei­tet und dau­ert etwa zehn Stun­den. Die Anstell­tem­pe­ra­tur liegt zwi­schen 15 und 20 °C. Das ober­gä­ri­ge Grün-​Bier kommt sofort in klei­ne Schank­fäs­ser und wird kurz nach sei­ner Her­stel­lung getrunken.“

Die­ses Vor­ge­hen unter­schei­det sich nicht nur in der ande­ren Art des Erhit­zens, son­dern in einer gan­zen Rei­he wei­te­rer Punk­te der­art radi­kal von heu­te geläu­fi­gen Brau­tech­ni­ken, dass sich spon­tan eine Viel­zahl von Fra­gen stellte:

  • Vie­le Hob­by­brau­er haben unlieb­sa­me Erfah­run­gen mit bei man­geln­dem Rüh­ren am Topf­bo­den ange­brann­ter Mai­sche und dadurch ver­dor­be­nem Sud gemacht, weil sich der brenz­li­ge Geschmack kaum kaschie­ren lässt. Vogel rät in [4] auf s. 62 aus dem glei­chen Grund drin­gend von der Ver­wen­dung von Tauch­sie­dern in der Mai­sche ab. Müss­ten sich dann aber hin­ein­ge­wor­fe­ne, glü­hend hei­ße Stei­ne nicht sofort in schwarz ver­brann­te, brenz­lig stin­ken­de Mai­sche­klum­pen verwandeln?
  • Höchst unge­wöhn­lich erscheint auch das „Rös­ten“ des Hop­fens auf den Stei­nen zu Beginn des Maischvorgangs.
  • Soll tat­säch­lich die Mai­sche bis zum Sie­den erhitzt wer­den, oder reicht nicht etwa bis zur Verzuckerungstemperatur?
  • Die Maisch­ehop­fung und der Ver­zicht auf eine Wür­ze­ko­chung ent­spre­chen auch ganz dem ursprüng­li­chen Ver­fah­ren der Ber­li­ner Wei­ße, wie es etwa im Nar­ziß [5] unter 8.4.5 geschil­dert ist. Das sepa­ra­te Dige­rie­ren und erst sehr spä­te Bei­mi­schen der Wei­zen­mai­sche erscheint aber eigenartig.

Wei­te­re Quel­len – der Nebel lich­tet sich etwas

In der Zeit­schrift „Gam­bri­nus“ [6] fin­det sich 1906 ein Arti­kel „Stein­bier“, dem der oben wie­der­ge­ge­be­ne Muse­umstext nahe­zu wort­gleich ent­spricht. Dort ist auch auf­grund des Dar­rens des Mal­zes über offe­nem Kirsch­holz­feu­er von einem Rauch­ge­schmack des Stein­biers, ähn­lich dem Grät­zer Bier, die Rede.
In Dürn­wirths aus­führ­li­cher Abhand­lung „Vom Stein­bier“ [7] von 1905, die auch online über Wik­is­our­ce ver­füg­bar ist, wer­den wei­te­re, älte­re Pri­mär­quel­len zitiert. Etwa schrieb dem­nach Sar­to­ri 1811:

So ist die Berei­tung des Stein­bie­res sehr unrein­lich. In einen mit Was­ser gefüll­ten Zuber, des­sen unte­rer Teil mit Hafer oder Gers­te beschüt­tet ist, wer­den so lan­ge glüh­hei­ße Stei­ne gewor­fen, bis es kocht. Nach der Abküh­lung in der Rin­ne, in die man das Bier hat­te lau­fen las­sen, wird es in die Fäs­ser geschöpf­et, wo es nicht gären und die unrei­nen Tei­le aus­wer­fen kann, indem ent­we­der kein oder doch nur sehr wenig Hop­fen dazu genom­men wird.“

Also auch hier ein direk­tes Erhit­zen der Mai­sche mit­tels Stei­nen bis zum Kochen und das Feh­len einer sepa­ra­ten Wür­ze­ko­chung. Fer­ner fällt der Hin­weis auf eine sehr gerin­ge oder sogar feh­len­de Hop­fung auf, auch wenn sich der Zusam­men­hang zwi­schen Hop­fen­ga­be und Gär­ver­lauf nicht ganz erschließt. Womög­lich spielt er auf die ansons­ten mit den Kräu­sen auf­ge­trie­be­nen Hop­fen­har­ze an.

Beson­ders inter­es­sant ist im sel­ben Doku­ment ein von Hier­zeg­ger 1803 aus­führ­lich geschil­der­tes hybri­des Ver­fah­ren, bei dem ganz wie im Muse­umstext zu Beginn der Hop­fen „beson­ders abge­brennt und ver­hüllt“ wird und der Maisch-​/​Läuterbottich eben­falls mit Wachol­der­rei­sig aus­ge­legt wird, aber auch bereits ein klei­ner Metall­kes­sel zum „Auf­lö­sen“ des Mal­zes und Erzeu­gen wei­te­ren Heiß­was­sers zum Ein­satz kommt. Alles kommt dann zusam­men mit den hei­ßen Stei­nen in den Läu­ter­bot­tich und wird wie­der­um direkt nach dem Läu­tern und Abküh­len vergoren.

Dürn­wirth weist übri­gens dar­auf hin, das Stein­bier sei ursprüng­lich ein rei­nes Hafer­bier gewe­sen. „Es mous­siert stark, klärt sich aber nie voll­stän­dig ab. Des­halb wird es eben aus Ton­krü­gen getrun­ken.“ Erst spä­ter sei das Hafer- durch Gers­ten­malz und erst in jün­ge­rer Zeit durch ein Gemisch aus Gersten- und Wei­zen­malz ersetzt worden.

Über die Far­be des Kärnt­ner Stein­biers ließ sich in all die­sen Quel­len lei­der kein Hin­weis finden.

Der Muse­umstext, kri­tisch seziert – plötz­lich ergibt alles einen Sinn

So bizarr das Ver­fah­ren auf den ers­ten Blick auch schei­nen mag, so durch­dacht ist es, wenn man es zu Ende denkt. Ange­sichts der Tat­sa­che, dass damals weder über Iso­me­ri­sa­ti­on von Alpha-​Säuren noch über enzy­ma­ti­sche Vor­gän­ge etwas bekannt war, erscheint ein der­art visio­när ziel­füh­ren­des Vor­ge­hen unse­rer Alt­vor­de­ren fast schon unheimlich:

  • Wach­hol­der­rei­sig: Es ist offen­sicht­lich, dass die Wach­hol­der­äs­te, mit denen der Bot­tich aus­ge­legt und ins­be­son­de­re der Steck­zap­fen umwun­den wur­de, als urtüm­li­che Form eines Läu­ter­bo­dens zu ver­ste­hen sind. Inwie­fern der Wachol­der auch einen geschmack­li­chen Bei­trag zum Bier lie­fer­te und ob die­ser erwünscht oder gar stil­ty­pisch war, muss vor­erst offen bleiben.
  • Hop­fen rös­ten: Der Begriff des „Hop­fen­rös­tens“ fin­det sich laut Patt­in­son in [8] auf s. 123 in der Pri­mär­quel­le „Hand­buch der Che­mi­schen Tech­no­lo­gie“ von 1865 für die beim Frän­ki­schen Dekok­ti­ons­ver­fah­ren gepfleg­te Tech­nik, den Hop­fen mit dem ers­ten Teil der Vor­der­wür­ze für 30 Minu­ten ein­zu­ko­chen, bevor die rest­li­che Wür­ze dar­auf­ge­läu­tert wird. Im „Con­spec­tus Che­miae Theoretico-​Practicae“ [9] wird auf s. 713 das­sel­be Ver­fah­ren bereits 1753 beschrie­ben. Also war damit wohl weni­ger ein tro­cke­nes Rös­ten gemeint, son­dern ein Ein­ko­chen mit wenig Was­ser oder Wür­ze, fast schon das Erzeu­gen eines iso­me­ri­sier­ten Hop­fen­ex­trakts! Denn wenn beim Stein­bier die Wür­ze über­haupt nicht gekocht wird, wann soll­ten sonst die Bit­ter­stof­fe isomerisieren?
  • Kal­te Wei­zen­mai­sche: Alle genann­ten Quel­len sind sich einig, dass die Stein­mai­sche tat­säch­lich zum Sie­den gebracht wur­de. Das mag bei der zwei­fel­haf­ten Qua­li­tät des selbst­er­zeug­ten Mal­zes einen ther­mi­schen Auf­schluss geför­dert haben, wür­de aber auch unver­meid­lich zum Blau­sud geführt haben, wenn nicht mit einem Enzy­m­aus­zug nach­ver­zu­ckert wird. Nichts ande­res dürf­te die kal­te Wei­zen­mai­sche gewe­sen sein, und nicht von unge­fähr gilt Wei­zen­malz als beson­ders enzym­stark! Wenn dies stimmt, dann ähnelt das frap­pant dem bei Nar­ziß [5] unter 2.3.3.3 beschrie­be­nen Kes­sel­maisch­ver­fah­ren, bei dem eine Koch­mai­sche durch einen zuvor gezo­ge­nen Enzy­m­aus­zug, den „kal­ten Satz“, rück­ge­kühlt und ver­zu­ckert wird. Vor allem aber erlaubt die­se Tech­nik ein repro­du­zier­ba­res Ver­zu­ckern auch ganz ohne Thermometer!

Nur zwei Fra­gen blei­ben noch offen: ob ein Mai­schen mit glü­hend hei­ßen Stei­nen ohne Anbren­nen über­haupt mög­lich ist; und ob nicht das Ver­gä­ren einer unge­koch­ten Wür­ze fast schon eine „Infek­ti­on mit Ansa­ge“ ist. Hier kann nur das Expe­ri­ment wei­ter­hel­fen, sodass ein Ver­suchs­sud von knapp 20 Litern Volu­men durch­ge­führt wurde.

"Rösten" des Hopfens vor Beginn des eigentlichen Maischens

Abb. 2: „Rösten“ des Hopfens vor Beginn des eigentlichen Maischens

Expe­ri­men­tel­les Set­up – Gerä­te und Rohstoffe

  • Stei­ne: Der Vitri­nen­text nennt aus­drück­lich Grau­wa­cke, die aber vom Ver­fas­ser nicht kurz­fris­tig beschafft wer­den konn­te. Wich­tig bei der Wahl der Stei­ne ist, dass die­se sich beim Erhit­zen weder zer­set­zen (wie etwa Kalk­stein) noch zer­sprin­gen, was leicht zu Ver­let­zun­gen füh­ren kann. Leicht in Form von Pflas­ter­stei­nen erhält­lich sind jedoch Gra­nit und Basalt. Die Wahl fiel auf Granit-​Pflastersteine mit 5 bis 6 Zen­ti­me­ter Kan­ten­län­ge, die pro Stück 300 bis 350 Gramm wie­gen. Um die not­wen­di­ge Men­ge von bis zu 30 Stei­nen zu erhit­zen, wur­de drei­glei­sig gefah­ren: ein Buchen­scheit­feu­er in einem alten Kugel­grill sowie zwei abwech­selnd beheiz­te Holzkohle-​Anzündkamine. Es wur­de dar­auf ver­zich­tet, die Stei­ne bis zum Glü­hen zu brin­gen. Ein Infrarot-​Pyrometer ver­riet, dass sich eine Tem­pe­ra­tur von 400 bis 500 °C rela­tiv leicht errei­chen lässt. Dabei beginnt die anfäng­lich glän­zen­de, fet­ti­ge Ruß­schicht auf den Stei­nen matt und hell­grau zu wer­den. Zum Mani­pu­lie­ren der hei­ßen Stei­ne war zwar zuvor eigens eine eiser­ne Stein­zan­ge gebas­telt wor­den, doch erwies sich eine ganz nor­ma­le Grill­zan­ge als eben­falls geeig­net und auf­grund der ein­hän­di­gen Bedie­nung sogar als überlegen. 
  • Bot­tich: Der Ver­suchs­sud wur­de in einem 38-​Liter-​Thermoport mit Schlitz­bo­den durch­ge­führt. Das kon­ter­ka­riert zwar etwas den eigent­li­chen Sinn des Ver­fah­rens, ohne Metall­ge­fä­ße aus­zu­kom­men, redu­ziert aber die Aus­küh­lung eines der­art klei­nen Suds. Ein Holz­bot­tich der bei Dürn­wirth [7] genann­ten Grö­ße von 3 bis 4,25 hl dürf­te ein unge­fähr ver­gleich­ba­res Abkühl­ver­hal­ten gehabt haben. Bewusst ver­zich­tet wur­de beim Ver­suchs­sud auf das Wachol­der­rei­sig, um even­tu­el­le geschmack­li­che Beson­der­hei­ten mög­lichst unver­fälscht dem Maisch­ver­fah­ren zuord­nen zu können. 

    Der Thermoport dampft aus allen Nähten...

    Abb 6: Der Thermoport dampft aus allen Nähten ...

  • Schüt­tung: Das im Vitri­nen­text genann­te Ver­hält­nis von 60 % Gersten‑, 25 % Weizen- und 15 % Hafer­malz wur­de bei­be­hal­ten. Als Gers­ten­malz wur­de Wie­ner Malz gewählt, eine Sor­te, die einer­seits einen etwas „uri­gen“ Cha­rak­ter ein­bringt, ande­rer­seits aber noch hell genug ist, um even­tu­el­le Farb­ver­än­de­run­gen (etwa durch den Stei­nen anhaf­ten­den Ruß) erken­nen zu kön­nen. Obwohl die Quel­len ein­deu­tig von geräu­cher­tem Malz spre­chen, wur­de ganz bewusst kein Rauch­malz ver­wen­det: Andern­falls wäre der Geschmack des Ergeb­nis­ses womög­lich vom Rauch­ge­schmack domi­niert wor­den, und man hät­te nicht auf­lö­sen kön­nen, wel­cher Anteil vom Malz und wel­cher womög­lich vom Maisch­ver­fah­ren stammt. Viel­mehr war das Ziel des Expe­ri­ments her­aus­zu­fin­den, ob sich durch das Mai­schen mit hei­ßen Stei­nen schlimms­ten­falls ein brenz­li­ger und bes­ten­falls ein „fein­rau­chi­ger“ (sie­he [2]) Cha­rak­ter erken­nen lässt.
  • Versenken eines Steins in der Maische

    Abb. 7: Versenken eines Steins in der Maische

    Hop­fen: Für die Maisch­ehop­fung wur­den 100 Gramm Hallertauer-​Tradition-​Doldenhopfen mit 4,4 % Alpha­säu­re ver­wen­det. Bei einem der­art unor­tho­do­xen Ver­fah­ren wie dem Hop­fen­rös­ten ist eine zuver­läs­si­ge Berech­nung der Bit­ter­stoff­aus­nut­zung kaum mög­lich. Scheids Hop­fen­rech­ner 3.2 [10] nennt für eine Maisch­ehop­fung ohne jedes Kochen eine Bit­ter­stoff­aus­beu­te von 5 %, was hier zu etwa 10 Bit­ter­ein­hei­ten füh­ren wür­de. Da durch das Hop­fen­rös­ten und das anschlie­ßen­de Kochen der Mai­sche aber von einer gewis­sen Iso­me­ri­sa­ti­on aus­zu­ge­hen ist, wür­den ande­rer­seits bei einer rei­nen Bit­ter­hop­fung von 30 Minu­ten Koch­dau­er bei 18 % Aus­nut­zung etwa 36 Bit­ter­ein­hei­ten her­aus­kom­men. Irgend­wo zwi­schen die­sen bei­den Leit­plan­ken von 10 und 36 IBU wür­de sich also die Bit­te­re bewe­gen, also vage genug. Die Ver­kos­tung zeig­te spä­ter, dass wohl eher der nied­ri­ge­re Wert zutraf (was ja auch dem Ori­gi­nal bes­ser ent­spricht). Nar­ziß schreibt übri­gens in [5] unter 8.4.5.4 über Maisch­ehop­fung, dass „die größ­te Men­ge der Bit­ter­stof­fe in den Tre­bern“ verbleibe.

    Die Hopfendolden liegen über den Trebern, die Steine darunter

    Abb. 8: Die Hopfendolden liegen über den Trebern, die Steine darunter

  • Hefe: Über den ursprüng­li­chen Hefe­stamm ließ sich nichts in Erfah­rung brin­gen. Die im Vitri­nen­text genann­te Gär­dau­er von 10 (sic) Stun­den bei 15–20 °C Anstell­tem­pe­ra­tur spricht für eine höchst gär­ak­ti­ve, ein­deu­tig ober­gä­ri­ge Hefe. Denk­bar sind also ent­we­der Ale- oder Weiß­bier­he­fen. Um wie­der­um das geschmack­li­che „Stör­feu­er“ zu begren­zen, wur­de mit der Saf­brew S‑33 Ale-​Trockenhefe von Fer­men­tis eine halb­wegs neu­tra­le und außer­dem extrem schnell ver­gä­ren­de Hefe gewählt, deren bekannt nied­ri­ger Ver­gä­rungs­grad noch genug Platz für Malz­cha­rak­ter las­sen sollte.

Das Sud­pro­to­koll in Rezeptform

Beim Ver­suchs­sud wur­de in mög­lichst enger Anleh­nung an das im Vitri­nen­text skiz­zier­te Ver­fah­ren vor­ge­gan­gen. Weil die Stei­ne auf offe­nem Feu­er erhitzt wur­den, war es nahe­lie­gend, den gesam­ten Sud im Frei­en auf der Ter­ras­se durch­zu­füh­ren, wozu sich die som­mer­li­che Grill­sai­son beson­ders anbie­tet. Ins­ge­samt erstaun­te, wie weni­ge Gerä­te ver­gli­chen mit einem nor­ma­len Sud dafür not­wen­dig waren. Ein ganz kur­zes Video, das das zischen­de Ver­sen­ken eines der Stei­ne in der Mai­sche zeigt, kann unter https://www.youtube.com/watch?v=92zfd-GpyVY ange­se­hen wer­den. Die Stei­ne wur­den erst noch eini­ge Sekun­den im dünn­flüs­si­gen obe­ren Teil der Mai­sche gehal­ten und dann in den Bot­tich fal­len gelas­sen. Der Geruch dabei erin­ner­te an das Bierstacheln.

  • 6 l Was­ser 20 °C und 14 Stei­ne (je ca. 300 g, ca. 500 °C) gibt ca. 80 °C
  • 100 g Dol­den­hop­fen Hal­ler­tau­er Tra­di­ti­on 4,4 % Alpha hin­zu­fü­gen, 30 min zie­hen lassen
  • 7 Stei­ne hin­zu­fü­gen und Hop­fen 10 min kochen
  • Stei­ne wie­der her­aus­fi­schen, mit 10 l Was­ser 20 °C auf ca. 60 °C abkühlen
  • 3,0 kg Wie­ner Malz und 0,75 kg Hafer­malz ein­mai­schen, bei ca. 57 °C 10 min rasten
  • 7 Stei­ne hin­zu­fü­gen, bei ca. 72 °C 30 min ver­zu­ckern bis jodnormal
  • 7 Stei­ne hin­zu­fü­gen und Mai­sche ca. 20 min spru­delnd kochen
  • Mit 6 l Was­ser 20 °C auf ca. 65 °C abküh­len, 1,25 kg Wei­zen­malz hell ein­mai­schen und bei ca. 64 °C 25 min rasten
  • Abläu­tern nach Jod­nor­ma­li­tät, kein Nachguss

Um eine voll­stän­di­ge Ver­zu­cke­rung der Koch­mai­sche zu errei­chen, wur­de nicht wie im Vitri­nen­text eine kal­te Wei­zen­mai­sche zuge­mischt, son­dern der Ein­fach­heit hal­ber erst mit kal­tem Was­ser abge­kühlt und dann das Wei­zen­malz dazu­ge­maischt. Die­ses Vor­ge­hen ent­spricht dem von Scheid [11] unter Hob­by­brau­ern popu­lär gemach­ten Koch­maisch­ver­fah­ren, einer ver­ein­fach­ten Vari­an­te des bereits erwähn­ten Kesselmaischverfahrens.

Ohne nach­fol­gen­de Wür­ze­ko­chung befin­det man sich ohne­hin im Ber­mu­da­drei­eck zwi­schen Dime­thyl­sul­fid, Blau­sud und Ver­gä­rungs­grad. Für die DMS-​Problematik wäre es am bes­ten gewe­sen, ent­we­der die Mai­sche ins­ge­samt unter 70 °C zu hal­ten, damit sich der Vor­läu­fer SMM gar nicht erst zu DMS umwan­delt, oder aber das DMS anschlie­ßend durch gründ­li­ches Wür­ze­ko­chen abzu­de­stil­lie­ren. Mit einer stark erhit­zen Mai­sche und unge­koch­ten Wür­ze sitzt man aber zwi­schen allen Stüh­len. Hier blieb nur die Hoff­nung, dass bereits beim Kochen der Mai­sche genug DMS aus­dampft, um das Ergeb­nis nicht unge­nieß­bar zu machen. Immer­hin schreibt Nar­ziß [5] unter 3.2.6.7, dass Dekok­ti­ons­bie­re einen gerin­ge­ren DMS-​Gehalt hät­ten. Auch die Wahl der Tem­pe­ra­tur für die letz­te Rast ist nicht ein­fach: Bei einer zu hohen Tem­pe­ra­tur (über 78 °C) wür­den zwar die Enzy­me inak­ti­viert, aber sowohl ver­stärkt DMS neu gebil­det als auch unver­zu­cker­te Stär­ke frei­ge­setzt. Im Ver­such wur­de einer voll­stän­di­gen Ver­zu­cke­rung der Vor­zug gegeben.

Es wur­den gut 15 Liter Wür­ze mit einer Stamm­wür­ze von 12 °P gewon­nen. Auf eine wei­te­re Opti­mie­rung die­ser etwas kläg­li­chen Aus­beu­te durch (even­tu­ell kal­te) Nach­güs­se wur­de ver­zich­tet, auch wenn dies die Stamm­wür­ze näher an die bei Dürn­wirth [7] genann­ten 7 bis 9 °P des Ori­gi­nals gebracht hät­te. So aber soll­te eine geschmack­li­che Ver­gleich­bar­keit zu unse­ren heu­te gewohn­ten Voll­bie­ren ermög­licht werden.

Die Wür­ze war sehr trüb, wahr­schein­lich weil das Eiweiß des Wei­zen­an­teils kei­ne Gele­gen­heit zur Koagu­la­ti­on erhal­ten hat­te. Aber sie war trotz der zum Teil rußi­gen Stei­ne sehr hell und hat­te über­haupt kei­nen brenz­li­gen oder ange­brann­ten Geruch oder Geschmack. Eine ganz nor­ma­le, süße, leicht kara­mel­li­ge (obwohl kei­ne Kara­mell­mal­ze ver­wen­det wur­den) und kaum bit­te­re Bierwürze!

Läutern der trüben Würze

Abb. 9: Läutern der trüben Würze

Anschlie­ßend wur­de die Wür­ze geteilt und eine Hälf­te direkt nach dem Abküh­len „roh“ ver­go­ren, die ande­re Hälf­te wur­de ca. 30 Minu­ten ohne wei­te­re Hop­fen­ga­be abge­kocht, um sie zu Ver­gleichs­zwe­cken zu pas­teu­ri­sie­ren und die Enzy­me zu inak­ti­vie­ren. Das hät­te man zwar auch ganz stil­echt mit­hil­fe wei­te­rer Stei­ne tun kön­nen. Da es hier aber nur dem Ver­gleich dien­te, geschah es der Ein­fach­heit hal­ber auf dem Herd.

Ers­te Erkennt­nis­se und Aha-Effekte

  • Das Erhit­zen der Granit-​Pflastersteine ging voll­kom­men pro­blem­los. Weder beim Auf­hei­zen noch beim Abschre­cken in der Mai­sche ist auch nur ein ein­zi­ger Stein zersprungen.
  • Die größ­te Befürch­tung, die Mai­sche wer­de dar­an sofort anbren­nen, war voll­kom­men unbe­grün­det. Die anschlie­ßend aus den Tre­bern gebor­ge­nen Stei­ne hat­ten kei­ner­lei ver­brann­te Ver­krus­tun­gen. Sie waren nur gedun­kelt, Malz­res­te haf­te­ten nur ganz leicht dar­an. Beim ver­suchs­wei­sen Lecken an einem der Stei­ne schmeck­te dies süß-​karamellig. Es wur­de aber dar­auf ver­zich­tet, die Stei­ne wie beim ein­gangs genann­ten moder­nen Ver­fah­ren mit in die Gärung zu geben. 

    Benutzter (links) und jungfräulicher Stein

    Abb. 10: Benutzter (links) und jungfräulicher Stein

  • 20 Liter Mai­sche von Umge­bungs­tem­pe­ra­tur bis zum gesamt­haf­ten Sie­den zu erhit­zen war über­haupt kein Pro­blem. Und sobald sie sich dem Sie­de­punkt genä­hert hat­te, koch­te sie mit jedem neu­en Stein minu­ten­lang sprudelnd!
Sprudelndes Kochen der Maische mit jedem Stein

Abb. 11: Sprudelndes Kochen der Maische mit jedem Stein

Gär­ver­lauf – die Macht der Enzyme

Da eine unge­koch­te Wür­ze nicht ste­ril ist, wur­de mit aus­rei­chend Hefe ange­stellt (je ein hal­bes 11-​Gramm-​Päckchen S‑33 auf 7,5 Liter), um durch ein schnel­les Angä­ren mög­lichst bald lebens­feind­li­che Bedin­gun­gen für Fremd­or­ga­nis­men zu schaf­fen, die womög­lich auf dem Wei­zen­malz über­lebt haben könnten.

Zwar wur­de auf­grund der noch akti­ven Enzy­me der rohen Wür­ze ein nied­ri­ger Ver­gä­rungs­grad erwar­tet, aber dass sich die Gär­ver­läu­fe der bei­den Teil­su­de der­art dra­ma­tisch unter­schei­den wür­den, obwohl sie unter iden­ti­schen Bedin­gun­gen, in glei­chen Eimern und mit jeweils einer Hälf­te des­sel­ben Hefe­päck­chens ver­go­ren wur­den, das über­rasch­te dann doch:

  • Die gekoch­te Wür­ze fiel inner­halb von 48 Stun­den auf einen schein­ba­ren Rest­ex­trakt von 4,6 °P, was einem schein­ba­ren Ver­gä­rungs­grad von 62 % ent­spricht, ein für die S‑33 nicht ganz unüb­li­cher Wert.
  • Die Roh­wür­ze hin­ge­gen gär­te viel schnel­ler an (schon nach 36 Stun­den war sie unter 2 °P Rest­ex­trakt) und gelang­te inner­halb von 48 Stun­den auf sagen­haf­te 92 % schein­ba­ren Ver­gä­rungs­grad, wie sie sonst nur von Über­ver­gä­rern wie Sac­ch­aro­my­ces dia­sta­ti­cus, dort aber nach viel län­ge­rer Zeit, erreicht werden!
Extraktabbau der beiden Vergleichs-Würzen

Abb. 12: Extraktabbau der beiden Vergleichswürzen

Der hohe Ver­gä­rungs­grad bei Anwe­sen­heit akti­ver Amy­la­sen erin­nert einer­seits an das bei Nar­ziß [5] unter 7.10.1 geschil­der­te Ver­fah­ren für hoch­ver­go­re­ne Diät­bie­re, bei denen ein Enzy­m­aus­zug zur Gärung gege­ben wird, ande­rer­seits an man­che Sai­son­bie­re, die mit Dia­sta­ti­cus ver­go­ren wur­den, einer Hefe­sor­te, die sel­ber Amy­la­sen frei­set­zen kann.

Die extrem rasche und voll­stän­di­ge Ver­gä­rung berech­tig­te hier jeden­falls zur Hoff­nung, dass die Hefe den Extrakt so schnell „durch­ge­ris­sen“ hat, dass auf­grund der man­geln­den Ste­ri­li­sa­ti­on der Wür­ze womög­lich anwe­sen­de Bier­schäd­lin­ge kaum eine Chan­ce gehabt haben, nega­tiv in Erschei­nung zu treten.

Die Spindel belegt den geringen Restextrakt

Abb. 13: Die Spindel belegt den geringen Restextrakt

Ver­kos­tung – Stein­bier grün getrunken

Nach­dem bereits ein­gangs zitiert wor­den war, das Stein­bier sei noch „grün“ in Schank­fäs­ser gekom­men und „kurz nach sei­ner Her­stel­lung“ getrun­ken wor­den, wur­de auch hier von allen guten Gewohn­hei­ten abge­wi­chen und das Bier bereits nach 4 Tagen geschlaucht und nach 4 wei­te­ren Tagen Fla­schen­gä­rung erst­mals verkostet:

Die gekoch­te Variante:

  • Eine Woche nach dem Sie­den: Das Aus­se­hen ist trüb, wie ein hel­les Weiß­bier. Im Geruch domi­nie­ren deut­lich Bir­ne und ein wenig Bana­ne. Beim ers­ten Schluck dann die faust­di­cke Über­ra­schung: Na, wenn das kein baye­ri­sches Weiß­bier ist! Und gar nicht ein­mal ein schlech­tes, abso­lut stil­ty­pisch getrof­fen. Der Antrunk ist mal­zig und voll, mit leich­ter Kara­mell­no­te. Ein wenig phe­n­o­lisch. Auf jeden Fall schmeckt es nicht ange­brannt, und rau­chig auch nicht. Natür­lich hat es nach so kur­zer Zeit eine Hefen­ote. Leich­te, weiß­bier­ty­pi­sche Säu­re, aber kei­ne Infek­ti­on. Vom Hop­fen ist kaum etwas zu bemer­ken. In einer Gast­stät­te wäre das bestimmt als ganz nor­ma­les Weiß­bier durchgegangen!
  • Drei Wochen spä­ter hat sich der hefi­ge und jun­ge est­ri­ge Cha­rak­ter größ­ten­teils abge­baut. Übrig geblie­ben ist ein fast schon lang­wei­lig nor­ma­les hel­les Ale, das noch mehr Hop­fen ver­tra­gen hät­te. Aber von Brenz­lig­keit fin­det sich jeden­falls kei­ne Spur!

Die unge­koch­te, rohe Variante:

  • Eine Woche nach dem Sie­den: einen Hauch hel­ler als die gekoch­te Vari­an­te, die offen­bar beim Kochen nach­ge­dun­kelt ist. Im Geruch kommt vor allem eines durch: Oran­ge! Ein wenig sprit­tig und an Weiß­wein erin­nernd. Im Trunk dann eine kno­chen­tro­cke­ne, extrem schlan­ke Ange­le­gen­heit. Leicht gemü­si­ge Noten vom DMS sind lei­der aus­zu­ma­chen, aber man kann es trin­ken. Vom Stil her irgend­wo zwi­schen Wit und Sai­son ste­hend. Im Nach­trunk bleibt vor allem ein deut­li­cher Getrei­de­ge­schmack, wie ein frisch abge­mäh­tes Wei­zen­feld; viel­leicht gäbe das ein schö­nes Erntebier?
  • Drei Wochen spä­ter: Die Kar­bo­ni­sie­rung hat wei­ter zuge­nom­men, sau­er ist es aber immer noch nicht. Dafür macht sich zuneh­mend ein leicht schar­fer, phe­n­o­li­scher Cha­rak­ter breit, der zusam­men mit der leich­ten Gemü­se­no­te nicht voll­ends befrie­digt. Ganz frisch gefiel es jeden­falls noch besser.
Links die gekochte, rechst die rohe, hochvergorene Version

Abb. 14: Links die gekochte, rechts die rohe, hochvergorene Version

Fazit, Aus­blick und Weiterentwicklungsmöglichkeiten

Die wich­tigs­te Erkennt­nis vor­weg: Auch kom­plett ohne beheiz­ba­re Gefä­ße ist es fast schon über­ra­schend pro­blem­los mög­lich, ein „ganz nor­ma­les“, auch für heu­ti­ge Gau­men tadel­los trink­ba­res Bier zu brau­en. Wie über­haupt eini­ge sicher geglaub­te Grund­sät­ze über Bord gewor­fen wer­den muss­ten. Sogar die ursprüng­lich unge­koch­te Ber­li­ner Wei­ße erscheint nun in einem neu­en Licht. Und in einer Woche trink­fer­tig hat der Ver­fas­ser auch noch nie ein Bier gehabt!

Selbst über den Geschmack des dama­li­gen Kärnt­ner Stein­biers lässt sich nun bes­ser spe­ku­lie­ren. Der Ver­fas­ser ist sich anhand des Ergeb­nis­ses nun sicher, dass es gro­ße Ähn­lich­keit zum baye­ri­schen Weiß­bier beses­sen haben dürf­te, was sich mit dem ein­gangs bereits genann­ten Dürnwirth-​Zitat „Es mous­siert stark, klärt sich aber nie voll­stän­dig ab“ deckt. Auf­grund des Malz­dar­rens über offe­nem Feu­er also wohl am ehes­ten wie ein Rauchweizen.

Das Kärnt­ner Stein­bier ist somit in den Kreis der vie­len ober­gä­ri­gen, teil­wei­se rau­chi­gen, teil­wei­se gar nicht oder nur schwach gehopf­ten und teil­wei­se sau­er ver­go­re­nen „Urbie­re“ ein­zu­ord­nen, wie sie durch den Sie­ges­zug des gehopf­ten Gers­ten­biers und schließ­lich der unter­gä­ri­gen Brau­wei­se rei­hen­wei­se aus­ge­stor­ben sind und von denen das baye­ri­sche Weiß­bier nach des­sen Renais­sance einer der letz­ten Über­le­ben­den ist. Sie­he dazu auch das Dürnwirth-Zitat:

Um die Mit­te des 18. Jahr­hun­derts hat­te die öst. Regie­rung aller­dings die Absicht, den Ver­brauch des Stein­bie­res zu guns­ten des Pfan­nen­bie­res ein­zu­schrän­ken, ja sogar die Erzeu­gung des­sel­ben gänz­lich einzustellen.“

Das geschil­der­te Expe­ri­ment hat­te eigent­lich nur den Zweck, die grund­sätz­li­che Mach­bar­keit zu zei­gen und damit die Quel­len zu bestä­ti­gen sowie even­tu­el­le geschmack­li­che Ein­flüs­se des Maisch­ver­fah­rens zu iden­ti­fi­zie­ren. Wie könn­te dar­aus nun eine stim­mi­ge Wei­ter­ent­wick­lung hin zu einem cha­rak­ter­vol­len „Kärnt­ner Ur-Stein(maisch)bier“ im Gegen­satz zu den ein­gangs genann­ten, kon­ven­tio­nell gemaisch­ten heu­ti­gen Pseudo-​Steinbieren aussehen?

Zunächst ein­mal mit einem Anteil Rauch­malz, was zum einen auch dem Ori­gi­nal ent­sprä­che, zum ande­ren die Asso­zia­tio­nen in Rich­tung „Feu­er & Rauch“ unter­stüt­zen würde.

Viel­leicht lie­ße sich die unge­koch­te Rohwürze-​Variante in Rich­tung Sai­son wei­ter­ent­wi­ckeln, doch plä­diert der Ver­fas­ser nach der Ver­kos­tung bei­der Vari­an­ten klar für die gekoch­te Ver­si­on! Und die lie­ße sich pro­blem­los publi­kums­taug­lich in Rich­tung Weiß­bier ent­wi­ckeln, war­um also nicht sogar mit einer baye­ri­schen Weiß­bier­he­fe ver­go­ren? Um den­noch stil­echt auf beheiz­ba­re Gefä­ße zu ver­zich­ten, könn­ten unmit­tel­bar nach dem Abläu­tern wei­te­re Stei­ne in den Gär­bot­tich gege­ben wer­den. Damit wür­de die noch läu­ter­hei­ße Wür­ze wie­der auf­ge­kocht, um sie zu ste­ri­li­sie­ren und auch genü­gend Dime­thyl­sul­fid auszutreiben.

Nach dem Abküh­len im Gär­bot­tich wür­de mit Hefe ange­stellt, wobei sowohl der Heiß­trub als auch die zuletzt gege­be­nen Koch­stei­ne im Gär­bot­tich ver­blei­ben wür­den. Die­ser Trub muss nicht ein­mal pro­ble­ma­tisch sein, zumal Küh­beck in [12] kei­ne Ver­schlech­te­rung der Bier­qua­li­tät und sogar eine schnel­le­re Gärung durch eine nicht voll­stän­di­ge Heiß­trub­ab­schei­dung fest­stellt. Und durch die in der Gärung ver­blei­ben­den „kan­dier­ten“ Stei­ne wür­de gewis­ser­ma­ßen die Brü­cke zu den moder­nen Pseudo-​Steinbieren geschlagen.

Denn erst wenn auch mit Stei­nen gemaischt und kon­se­quent auf beheiz­te Pfan­nen ver­zich­tet wird, wird nach Mei­nung des Ver­fas­sers der ursprüng­li­che Zweck und Geist die­ses archai­schen Brau­ver­fah­rens so rich­tig greifbar!


Quel­len und Weblinks

[1]
Franz Meu­ßen­doerf­fer, Mar­tin Zarn­kow: Das Bier. Ein Geschich­te von Hop­fen und Malz. C. H. Beck, Mün­chen 2014
[2]
Brau­kul­tur Fran­ken: Stein­bier. http://www.braukultur-franken.de/Steinbier/Steinbier.htm
[3]
Vitri­nen­text des Deut­schen Muse­ums Mün­chen, Abtei­lung Agrar- und Lebensmitteltechnik
(der­zeit nicht zugänglich)
[4]
Wolf­gang Vogel: Bier aus eige­nem Kel­ler. Ulmer, Stutt­gart 1996
[5]
Lud­wig Nar­ziß: Abriss der Bier­braue­rei. Wiley, Wein­heim 2005
[6]
Gam­bri­nus Nr. 13, 1906
[7]
Rai­mund Dürn­wirth: Vom Stein­bier. In: Car­in­thia I., 95. Joh. Leon, Kla­gen­furth 1905.
https://de.wikisource.org/wiki/Vom_Steinbier
[8]
Ronald Patt­in­son: Decoc­tion! Kil­der­kin, Ams­ter­dam 2011
[9]
Con­spec­tus Che­miae Theoretico-​Practicae. Way­sen­haus 1753.
https://books.google.de/books?id=HwRAAAAAcAAJ
[10]
Earl Scheid: Hop­fen­rech­ner für Hobbybrauer.
http://www.hb-tauschboerse.bplaced.net/Downloads.htm
[11]
Earl Scheid: Earl­sches Kochmaischverfahren.
http://www.hb-tauschboerse.bplaced.net/Downloads.htm
[12]
Flo­ri­an Küh­beck: Ana­ly­ti­sche Erfas­sung sowie tech­no­lo­gi­sche und tech­ni­sche Beein­flus­sung der Läu­ter­trü­bung und des Heiß­trub­ge­halts der Wür­ze und deren Aus­wir­kun­gen auf Gärung und Bier­qua­li­tät. Dis­ser­ta­ti­on TU Mün­chen, Wei­hen­ste­phan 2007. https://mediatum.ub.tum.de/download/619244/619244.pdf

3 Kommentare zu “Spiel mit dem Feu­er: Kärnt­ner Steinbier

  1. cicero85

    Hal­lo,
    zunächst ein­mal vie­len Dank für den auf­schluss­rei­chen Artikel.
    Ich fra­ge mich, ob die Stei­ne damals nur ein mal ver­wen­det wur­den oder ob und wie die­se wie­der­ver­wen­det wer­den konnten.
    Denn wenn die Stei­ne noch deut­lich mit Zucker beschich­tet sind, müss­te die­ser doch bei einem erneu­ten Erhit­zen im Feu­er ver­bren­nen und viel­leicht bit­ter werden.
    Viel­leicht könn­test du das noch in einem Zweit­ver­such tes­ten? Viel­leicht dien­te die Zuga­be der Stei­ne zur Gärung ursprüng­lich ja genau die­sem Zweck?

    1. Ploepp

      Wenn die Stei­ne erneut zum Glü­hen gebracht wer­den ist aller noch anhaf­ten­der Zucker ver­brannt. Der Ein­fluß die­ser Stei­ne auf den Geschmack dürf­te nicht anders sein als bei unbe­nutz­ten Steinen.

  2. Heiner Busche

    Gut recher­chiert! Sehr schö­ner Arti­kel! Wir sind beim Wis­ma­rer Hobbybrauer-​Treffen über­ein gekom­men, dass wir das unbe­dingt mal aus­pro­bie­ren werden. 

    Gruß
    Heiner

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