Importierte Kälte für deutsche Brauereien
Dass vor der Einführung von Kältemaschinen in den Brauereien Natureis zur Kühlung während des Produktionsprozesses und der Lagerung des fertigen Biers genutzt wurde ist ein historischer Fakt, der den meisten an der Geschichte des Bieres interessierten Lesern bekannt sein wird. Dass es sich bei diesem Eis jedoch keinesfalls nur um lokal gewonnenes Eis handelte, sondern Natureis in großen Mengen aus Norwegen sowohl nach Deutschland als auch in andere europäische Länder importiert wurde, ist hingegen nahezu vergessen, auch wenn es sich um ein Geschäft handelte, bei dem jährlich zehntausende Tonnen Natureis bewegt wurden und ganze Flotten von Segelschiffen zum Einsatz kamen.
Nahezu jede Brauerei in Deutschland besaß einen Eiskeller und sobald sich im Winter auf den Gewässern der umgebenden Region eine genügend dicke Eisschicht gebildet hatte, wurde Eis geerntet und schnellstmöglich eingelagert, um über ausreichende Eisvorräte für das Jahr zu verfügen. , Spätestens mit der Einführung der Produktion von untergärigen Bieren wie Pils, Export oder Märzen seit der Mitte des 19. Jahrhunderts und der damit erforderlichen genauen Temperaturführung während des Brauprozesses, d.h. einer Temperatur von 4 bis 9 Grad Celsius während der Gärung, stieg der Eisbedarf der Brauereien so weit an, dass er nicht mehr zuverlässig aus den heimischen Gewässern befriedigt werden konnte. Wenn dann noch ein warmer Winter mit einer nur geringen natürlichen Eisbildung hinzukam, herrschte für viele Brauereien Eisnot.
Um einer solchen Eisnot zu begegnen, kamen prinzipiell drei Strategien in Betracht: Die Installation von Kältemaschinen, die jedoch vor der Entwicklung der modernen Kältemaschine durch Carl Linde nur eine eher theoretische Möglichkeit war; die Erzeugung von Natureis auf anderen Wegen, wie sie vielfach mit der Errichtung von sogenannten Eisgalgen, d.h. der gezielten Produktion von großen Eiszapfen auf Gestellen von denen Wasser herabtropfte , beschritten wurde; und letztlich der Import von Eis aus den Regionen der Welt, in denen prinzipiell in jedem Winter eine unbegrenzte Menge von Natureis produziert werden konnte.
Dass ein solcher internationaler Handel von Natureis technisch möglich war hatte seit 1805 der US-Amerikaner Frederic Tudor bewiesen, der in diesem Jahr angefangen hatte, einen umfangreichen von Neuengland ausgehenden Natureishandel aufzubauen, der primär die südlichen Landesteile der USA und die Karibik belieferte. Einzelne Ladungen Eis wurden aber auch bis nach Südamerika oder sogar nach Indien verschifft. Die befürchteten Schmelzverluste des Eises hielten sich in Grenzen, solange das Eis in genügend großen Blöcken transportiert wurde und am Zielort ließen sich oft nahezu fantastische Preise für Eis erzielen.
Diese Entwicklung konnte auch in Europa nicht unbeachtet bleiben und zwar insbesondere nicht im südlichen Norwegen. Anders als in den ebenso wintersicheren Regionen Schwedens, Finnlands oder Russlands, gab es hier nicht nur winterliche Temperaturen, die eine zuverlässige Natureisernte erlaubten, sondern vor allem auch eisfreie Häfen, aus denen eine Verschiffung des Eises nahezu ganzjährig möglich war. Zudem standen in den weitgehend forst- und landwirtschaftlich geprägten Regionen in den Wintermonaten zahlreiche Arbeitskräfte für geringen Lohn zur Verfügung, die dankbar für jede Beschäftigung waren und damit auch für die körperlich herausfordernde Arbeit in der Eisernte. Prinzipiell galt es somit nur noch, Nachfrage und Angebot zusammen zu bringen, um einen europäischen Natureishandel zu begründen. Das technische Mittel hierfür stellte die norwegische Handelsflotte bereit, die über zahlreiche kleinere und mittlere Segelschiffe verfügte, die normalerweise im Holzexport tätig waren, für die aber jede neue Ladung eine willkommene Diversifizierung bedeutete und zudem schlicht eine Vergrößerung des Tätigkeitsfeldes.
Die Brauereien in Deutschland gehörten jedoch keinesfalls zu den ersten Kunden dieses neuartigen Handels mit Natureis in Europa. Das wichtigste Absatzgebiet waren zunächst die britischen Inseln, wo eine heimische Natureisproduktion aufgrund der klimatischen Bedingungen nahezu ausgeschlossen war. Wenig später folgte Frankreich als Absatzgebiet für norwegisches Eis, da es hier zwar im Süden des Landes im Bereich der Alpen eine lokale Natureisproduktion sowie die Nutzung von Gletschereis gab, aber für große Teile des Landes ebenso wie in England galt, dass es keine nennenswerte Möglichkeit zur Natureisproduktion gab. Diese beiden Märkte bildeten nicht nur das Hauptabsatzgebiet für norwegisches Natureis, sondern auch die Basis für die Entwicklung der Industrie und ihrer Produktionsverfahren. Prinzipiell übernahmen die norwegischen Natureisproduzenten die in Neuengland entwickelten Ernteverfahren für Natureis. Hierbei kamen neben der traditionellen Eissäge z.B. auch sogenannte Eispflüge zum Einsatz kamen, welche die Zugkraft von Pferden für das Zerteilen des Eises auf dem See nutzten und vor allem oberirdische hölzerne Lagerhäuser, die über ein ausgeklügeltes System an Gleitbahnen für die Eisblöcke sowohl mit dem zur Eisernte genutzten See wie auch den Verladestellen am Fjord in Verbindung standen. Gerade die Region um den Oslofjord entwickelte sich so seit der Mitte des 19. Jahrhunderts zum wichtigsten europäischen Produktionsgebiet für Natureis. Sobald sich die Industrie etabliert hatte, war es offensichtlich, dass die in ihr tätigen Akteure auch nach neuen zusätzlichen Absatzmärkten außerhalb der britischen Inseln und Frankreich Ausschau hielten und diese fanden sie zumindest vorübergehend in Deutschland und vor allem in der deutschen Brauindustrie.
Mit der Einführung der untergärigen Biere stieg der Eisbedarf der Brauereien stark an und damit reichten die aus lokaler Produktion gewonnenen Eisvorräte oftmals nicht aus, um den Bedarf einer Brauerei über das ganze Jahr hinweg zu decken. Gerade im Herbst neigten sich die Eisvorräte oftmals dem Ende zu, und an eine lokale Produktion von Natureis war in dieser Jahreszeit schlicht nicht zu denken. Die norwegischen Produzenten von Natureis hingegen verfügten zumeist auch in dieser Jahreszeit noch über erhebliche Vorräte in ihren Lagerhäusern und konnten somit spontane Nachfragen nach Eis befriedigen. So verwundert es nicht, dass in den einschlägigen Fachzeitschriften des deutschen Braugewerbes, wie z.B. der Allgemeinen Hopfen Zeitung, dem wichtigsten Organ dieses Industriebereiches, regelmäßig Anzeigen für die Lieferung norwegischen Natureises zu finden waren. Am Beispiel des Jahres 1877, einem Jahr ohne wesentliche Klimaanomalien und politische Störungen des Braugewerbes, zeigt sich eindeutig die saisonale Verteilung der norwegischen Natureisimporte.
Die erste Anzeige für norwegisches Natureis erschien in der Ausgabe vom 15.7.1877 und war nichts anderes als ein schlichter Hinweis auf die Verfügbarkeit von norwegischem Blockeis durch ein spezifisches Unternehmen in Geestemünde (heute Bestandteil der Stadt Bremerhaven). In den Herbstmonaten nahm die Frequenz entsprechender Anzeigen nicht nur kontinuierlich zu, sondern es änderte sich vor allem auch die Art der Anzeigen. Anstatt generell für norwegisches Natureis zu werben, wurde jetzt auf die Verfügbarkeit einzelner Waggonladungen a 10 t verwiesen und damit eindeutig diejenigen Brauereien angesprochen, deren eigenen Eisvorräte zum Ende gekommen waren und die kleinere Eismengen zur Überbrückung des Zeitraumes bis zum Beginn der eigenen winterlichen Eisproduktion benötigten. Auffällig bei diesen Anzeigen ist, dass es zumeist spekulativ agierende Agenten waren, die diese Anzeigen schalteten und die nicht über eigene Lagerkapazitäten verfügten, sondern eine oder mehrere Schiffsladungen norwegischen Natureis unter Vertrag genommen hatten und jetzt kurzfristige Absatzmöglichkeiten suchten. Dieses weitgehend spekulative Handelsmodell basierte zum einen auf den teils erheblichen Mengen des zu dieser Jahreszeit noch vorhandenen Natureis der vorigen Saison in den Eishäusern der norwegischen Produzenten und andererseits auf der Nachfrage einzelner Brauereien in Deutschland, deren eigene Eisvorräte nicht für das gesamte Jahr ausreichend waren.
Eine weitere wichtige Vorbedingung für diesen Handel war die Verfügbarkeit von geeigneten Transportmitteln zwischen den Seehäfen und den Brauereistandorten. Da die bereits genannten Anzeigen der Eishändler bzw. Agenten regelmäßig von Waggonladungen a 10 t Eis sprechen ist davon auszugehen, dass diese Transporte mit der Eisenbahn durchgeführt wurden und zwar mit regulären Güterwaggons. Aufgrund der fehlenden Isolierung der Fahrzeuge wurde das Eis auch hier wie an Bord der Schiffe mit Sägespänen isoliert, um die Schmelzverluste zumindest in überschaubaren Grenzen zu halten. Tatsächlich waren diese Verluste jedoch aufgrund der kompakten Stauung geringer als man gemeinhin annehmen würde. Selbst im Falle des totalen Niederbrennens eines Eishauses, wie es aufgrund der leicht brennbaren Isolierungen immer mal wieder passierte, war nach dem Brand häufig noch ein so großer Eisbestand vorhanden, dass bereits während des Wiederaufbaus des Eishauses der Handel erneut beginnen konnte.
Parallel zu dieser Entwicklung war in einigen Bereichen Deutschlands und vor allem im Berliner Raum eine heimische Natureisindustrie nach norwegisch-amerikanischem Vorbild entstanden und die von Carl Bolle, dem späteren Gründer der weit bekannteren Meierei Bolle, begründeten Norddeutschen Eiswerke in Berlin entwickelten sich innerhalb kurzer Zeit zum größten Natureisproduzenten in Europa. Gemeinsam sorgten die deutschen und norwegischen Natureisproduzenten dafür, dass es für viele Brauereien in Deutschland spätestens ab den 1870er Jahren interessanter wurde, auf einen Einkauf des gesamten Eisbedarfes zu setzen, als eine eigene Eisgewinnung fortzuführen. Dies galt vor allem auch, da sowohl von den Norddeutschen Eiswerken und anderen deutschen Natureisproduzenten wie auch von den norwegischen Eisexporteuren regelmäßige Eisblöcke von 40 bis 50 cm Dicke geliefert werden konnten, während es sich bei der Eigenproduktion vieler Brauereien um Eis erheblich geringerer Stärke handelte oder im Fall der Nutzung von Eisgalgen sogar nur um Eiszapfen. Hinzu kam noch, dass es sich bei dem von den Brauereien selbst geernteten Eis häufig nicht nur um vergleichsweise dünne Eisschichten handelte, sondern das Eis auch durch pflanzliche Bestandteile verschmutzt war, oder aus Gewässern mit fragwürdiger Wasserqualität stammte. Im Brau- und Lagerprozess kam das Bier zwar prinzipiell nicht mit dem Eis in direkten Kontakt aber ein latentes Risiko einer Verschmutzung des Bieres war dennoch gegeben, während die Eisblöcke aus Norwegen aufgrund der Reinheit der zur Eisproduktion genutzten Gewässer dieses Risiko nahezu vollständig ausschlossen. Die Diskussion um die Verschmutzung von Natureis insbesondere mit Bakterien aller Art wurde geradezu leidenschaftlich geführt, was angesichts der sich zeitgleich entwickelnden wissenschaftlichen Bakteriologie nicht verwundert, aber auch vor dem Hintergrund der Erfindung von Maschinen für eine wirtschaftlich sinnvolle Produktion von Kunsteis verstanden werden muss.
Seit 1872 stand mit der von Carl Linde entwickelten Ammoniak-Kältemaschine erstmals eine Technologie zur Verfügung, die die Nutzung von Natureis in den Brauereien zumindest theoretisch obsolet werden ließ. Für die meisten kleineren und mittleren Brauereien war dies jedoch aufgrund der hohen Investitionskosten zunächst nur eine weitgehend theoretische Option und Natureis bestimmte weiterhin den Alltag dieser Betriebe. Die erfolgreiche Installation von Kältemaschinen in einigen wenigen großen Brauereien zeigt jedoch eindeutig, dass ein Verzicht auf Natureis in einer Brauerei möglich war und somit war das Ende des Zeitalters der Nutzung von norwegischem Importeis bereits nach nur wenigen Jahrzehnten eingeläutet. Bis es jedoch dazu kam, dass die Mehrheit der Brauereien auf den Einsatz von Natureis verzichtete war es ein relativ langer Übergang. Gerade für die kleineren Betriebe war der Erwerb von Kältemaschinen kaum finanzierbar und beinhaltete erhebliche ökonomische Risiken.
Einen nicht unerheblichen Anteil daran diesen Prozess zu beschleunigen, hatte schließlich das Klima, bzw. ein wenig genauer eine Serie von milden Wintern in den 1880er und 1890er Jahren. Diese Winter sorgten dafür, dass eine heimische Produktion von Natureis in Deutschland vorübergehend nahezu unmöglich war. Für die noch immer Natureis verwendenden Brauereien stellte sich die Frage, ob die heimische Natureisproduktion durch einen Zukauf von (norwegischem) Natureis oder doch durch die Investition in eine Kältemaschine ersetzt werden sollte. Viele der Brauereien entschieden sich für die zweite Option, da die Beispiele der Großbrauereien die bereits über Kältemaschinen verfügten, nicht nur gezeigt hatten, dass diese längst keine wesentlichen Kinderkrankheiten mehr besaßen, sondern vor allem auch gezeigt hatte, dass die Umstellung auf künstliche Kälte erhebliche weitere betriebliche und ökonomische Vorteile gebracht hatte. So wurden die bislang für die Lagerung des Natureises erforderlichen Räumlichkeiten nicht mehr benötigt, sondern konnten jetzt für andere betriebliche Zwecke, wie zum Beispiel die Lagerung von Bier benutzt werden. Die seitens der Produzenten von Kunsteis und Anbietern von Kältemaschinen gerade in dieser Zeit betriebenen Kampagnen zur Diskreditierung von Natureis als hygienisch zweifelhaftes Produkt trugen natürlich erheblich dazu bei, diesen Umstellungsprozess von Natureis auf künstliche Kälte zu beschleunigen. Der Hintergrund dieser diskreditierenden Kampagnen war dabei nicht einmal in der Brauindustrie zu suchen, sondern darin, dass Eis als Kühlmittel inzwischen Einzug in eine Vielzahl anderer Industrien und in die privaten Haushalte gefunden hatte. Hier war dann auch die für die Brauereien typische systematische Trennung von Eis und Lebensmittel nicht mehr immer gegeben, so dass die Bedenken gegen eine Nutzung von Natureis teilweise durchaus berechtigt waren. Auf die Brauereien traf dieses Problem zwar nicht wirklich zu, da sowohl im Produktions- wie auch im Lagerprozess eine strikte Trennung von Bier und Eis gegeben war, aber der Imageschaden für das Natureis war entstanden.
So verwundert es auch nicht, dass immer weniger Natureis seitens der Brauereien seit den 1880/90er Jahren genutzt wurde, wobei sich durchaus relevante regionale Unterschiede in diesem Übergangsprozess aufzeigen lassen. Während die Brauereien, die günstig zu einem Seehafen lagen noch vergleichsweise lange an der Nutzung norwegischen Natureises festhielten, waren die weit von den Seehäfen entfernten Brauereien die ersten, die sich von der Nutzung von Natureis gänzlich abwandten. Da aus Sicht der norwegischen Eisexporteure der deutsche Markt im Vergleich zum britischen oder französischen stets von nur geringerer Bedeutung war, blieben diese langsamen Änderungen nicht nur weitgehend unbemerkt, sondern führten vor allem nicht zu irgendwelchen Aktionen, um den Marktanteil norwegischen Eises in Deutschland zu sichern oder stabilisieren. So lange auf dem britischen oder französischen Markt weiterhin eine kontinuierliche oder sogar steigende Nachfrage nach norwegischem Natureis bestand, war es weitgehend uninteressant, was sich auf dem deutschen Markt tat. Diese Zeitspanne führte ebenfalls dazu, dass die von Linde entwickelte Kältemaschine eine solche Qualität erlangen konnte, dass es ab einem bestimmten Zeitpunkt einfach nicht mehr möglich war, die Märkte zurück zu erlangen. Die Geschichte des Einsatzes von Natureis in der deutschen Brauindustrie war somit um 1900 prinzipiell zu ihrem Ende gekommen, auch wenn einzelne kleinere Brauereien weiterhin dem Natureis treu blieben.
Insgesamt lässt sich feststellen, dass die Nutzung von Natureis und insbesondere norwegischem Eis eine technologische Übergangslösung war, die im Prinzip ein Opfer ihres eigenen Erfolges geworden war. Die Einführung des untergärigen Brauens hatte in der Mitte des 19. Jahrhunderts für eine Nachfrage nach Eis gesorgt, wie sie nur durch die Produktion, bzw. den Import von Natureis befriedigt werden konnte. Dies sorgte dann für eine schnell wachsende Nachfrage nach Eis, die nur durch Importe aus Norwegen befriedigt werden konnte und die große Verfügbarkeit von norwegischem Natureis trug andererseits erheblich dazu bei, dass sich die untergärigen Brauverfahren innerhalb von nur wenigen Jahrzehnten als dominantes Brauverfahren der deutschen Brauereien etablierten. Gleichzeitig sorgte die gestiegene Nachfrage nach Eis jedoch trotz der Verfügbarkeit von norwegischem Natureis dafür, dass die Entwicklung der Kältemaschinen erheblich beschleunigt wurde. Ohne die Nachfrage nach großen Mengen an Natureis wäre es zu diesem Zeitpunkt wahrscheinlich noch nicht zur Entwicklung einer marktreifen Kältemaschine gekommen. Sobald diese zur Verfügung stand, war es dann auch schnell so weit, dass sie das Natureis und insbesondere das aus Norwegen importierte Eis aus dem Markt drängen konnte. Vielleicht waren es zwar nicht ‚die Geister, die ich rief‘, aber ein wenig vom Zauberlehrling steckt vielleicht auch in der Geschichte der Verwendung von Natureis in der deutschen Brauindustrie, einer Geschichte, die durch ein ebenso schnelles Anwachsen eines Marktes wie auch dessen Niedergang nach nur wenigen Jahrzehnten geprägt war. Vielleicht waren es aber auch einfach nur einige warme Winter in unmittelbarer Folge, die das Ende des Natureises in der deutschen Brauindustrie mit sich brachten.
Betrachtet man allerdings die gegenwärtige Landschaft der deutschen Brauereien im Detail, so sieht man doch, dass der Einsatz von Natureis doch noch nicht ganz zum Ende gekommen ist. Zwar wird kein Natureis mehr aus Norwegen importiert, aber einige Brauereien haben das Konzept noch nicht ganz aufgegeben und der ein oder andere Eisgalgen wird weiterhin im Winter aufgebaut, um Natureis zu produzieren. Wieweit sich allerdings die Nutzung von Natureis auch im Bereich der Hobbybrauerei realisieren lässt, muss vermutlich als fragwürdig betrachtet werden. Hinreichende Mengen Natureis aus einem See zu ernten oder aus Norwegen zu importieren dürfte für den Hobbybrauer unmöglich sein und selbst wenn es möglich sein sollte, einen Eisgalgen zu errichten, dürften die Lagerkeller für das Eis fehlen. In der Summe bleibt es also dabei, dass es sich bei der Nutzung von Natureis und insbesondere norwegischem Natureis um ein abgeschlossenes historisches Kapitel handeln dürfte, allerdings um eines, das zu Unrecht in der deutschen Braugeschichte weitgehend vergessen ist. Vielleicht gilt es bei einem Besuch in einem der Museumshäfen an der Küste einfach mal daran zu denken, dass genau die Segelschiffe, die sich dort heute finden, einst das Eis von den Häfen der norwegischen Oslofjordregion transportiert haben, das für viele Brauereien genauso existentiell war wie Hopfen und Malz, oder bei einem Urlaub in der norwegischen Oslofjordregion sich daran zu erinnern, dass diese Region im 19. Jahrhundert jene war aus der ein nicht unerheblicher Teil des in der deutschen Braunindustrie genutzten Eis’ stammte.
Ein vielleicht durchaus wichtiges Detail der Geschichte der Nutzung norwegischen Natureises durch deutsche Brauereien konnte bislang jedoch auch im Rahmen der derzeitigen Forschungsprojektes „Die letzte Eiszeit /Den siste istid“ bislang nicht abschließend geklärt werden. Während es klar ist, dass gerade die großen süddeutschen Brauereien wie die Spaten Brauerei oder Franziskaner früh die Entwicklung von Kältemaschinen unterstützten und diese in ihren Betrieben einführten, ist die Situation im Bereich Natureis komplexer und schlechter dokumentiert. Welche deutschen Brauereien die Pioniere des Eisimports aus Norwegen waren lässt sich nicht mehr eindeutig nachvollziehen, da zwar die Kunden der norwegischen Eisexporteure zumeist bekannt sind, aber diese zumeist Zwischenhändler waren. Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ist aber davon auszugehen, dass die allermeisten deutschen Brauereien zumindest vorübergehend einen Mix aus heimischer Eisproduktion und zugekauftem norwegischen Eis nutzten.
Der hier vorliegende Beitrag entstand auf der Basis des Forschungsprojekts: „Die letzte Eiszeit /Den siste istid“
Das vom Norwegischen Forschungsrat finanzierte Projekt wird federführend vom Norwegischen Schifffahrtsmuseum in Oslo betreut. Weitere Partner sind die Universität Südost-Norwegen, die University of Hull in Großbritannien und die Old Dominion University in Norfolk, VA (USA). Ziel des Projektes ist die Erforschung der Geschichte des europäischen Natureishandels als eine Übergangsindustrie sowie mittelfristig die Entwicklung einer Ausstellung, die die Geschichte des Natureises und der frühen Kältetechnologie thematisiert. Weiterführende Informationen zum Projekt sind verfügbar via: marmuseum.no/den-siste-istid
Sollte einer der Leser des brau!magazins über weitere Hinweise oder Quellen zur Nutzung von Natureis in der deutschen Brauindustrie verfügen, würden sich die Mitarbeiter des Projekts „Die letzte Eiszeit /Den siste istid“ über eine Kontaktaufnahme freuen.
Ansprechpartner:
- Prof. Dr. Per Norseng (Per.Norseng@marmuseum.no)
- Prof. Dr. Ingo Heidbrink (iheidbri@odu.edu)
Literaturverzeichnis