2019 wird als das Jahr des Brexit in die europäische Geschichte eingehen. Ein Jahr zuvor machte sich der Autor auf, um, wie es schon beim letzten Reisebericht beschrieben, einen der letzten exotischen Winkel der Welt zu besuchen. Doch er mag die Flugreise nicht und so lässt er sich in Rotterdam nach Hull einschiffen und spart sich so den Umweg über London. Die Passage verläuft nachts bei ruhigem Wetter und ohne Zwischenfälle. Die Angebote an Bord der “Pride of Hull” versprechen nicht weniger als Kreuzfahrtatmosphäre , statt schnöder Fährverbindung: Unterhaltung, Speis und Trank, Shopping und großzügige Außenkabinen. Hier geht es nicht darum, ein paar Minuten früher anzukommen, sondern der Weg ist die Reise. Ganz nach meinem Geschmack.
Manchester wird als erste Station angesteuert. Ich verbinde den Namen der Stadt immer noch mit Textilien, dank der zu meiner Kindheit verbreiteten Manchester-Hosen. Bei einer (selbstverständlich Schiff-) Fahrt auf dem River Irwell und dem Manchester Ship Canal lässt sich ein Eindruck von den einstigen Ausmaßen industrieller Anlagen gewinnen. Heute sind die Gebiete entlang der Wasserwege z.T. von der Medien-, Kreativ-, Beherbergungs- und Gastronomiebranche weitergenutzt.
Die Vororte sind mit dem Manchester Metrolink erschlossen, einer Straßenbahn, die alte Eisenbahnstrecken und in der Innenstadt auch die Straßen nutzt. Unser Quartier befindet sich in Chorlton-cum-Hardy, ein wegen seines ländlichen Charakters im 19. Jahrhundert beliebter Vorort. Wegen der großen Hitze wahrscheinlich eine gute Wahl. Von der Ländlichkeit ist seit der Eröffnung der Eisenbahnlinie 1880 immer mehr verschwunden. Doch lassen sich noch Spuren des alten Dorfes finden, am allermeisten am Chorlton Green, klassisch mit Schulhaus, Kirche und dem “Horse and Jockey”, der heute zu einer Pub-Kette gehört. Neben den erwarteten Lagerbieren zeigen sich erfreulicherweise englische Stile (Bitter, Golden, Mild) auf der Karte. Noch erfreulicher ist das Angebot der Microbrauerei auf dem Hof des Pubs, das ebenfalls ausgeschenkt wird. Daneben gibt es mindestens noch ein Pub in Chorlton, das sich auf Craft oder Micro-Bier eingestellt hat. Für einen Vorort im Vergleich zu denen in Deutschland ein respektables Angebot.
Auf dem Heimweg schnell noch ein Abstecher in den Supermarkt. Dabei fielen gleich ein paar lokale Größen ins Auge und wurden als Trophäe ins Quartier gebracht, so das schicke Samuel Smith Pale Ale aus Tadcaster. Samuel Smith Old Brewery ist eine von zwei Brauereien in Tadcaster, die beide auf den Namen Smith hören. Leider bin auch ich im weiteren Verlauf der Reise Opfer einer Verwechslung mit der John Smith’s Brewery geworden, deren Bitter zwar das meistverkaufte im Vereinigten Königreich ist, aber in der Qualität nicht an die Getränke des Namensvetters heranreichen, zumal das mir kredenzte Bitter viel zu kalt war.
Von Manchester aus liegt ein Tagesausflug mit dem Zug nach Liverpool nahe. In Manchester selbst sind sehenswert das Manchester Craft & Design Centre mit dem tuffigen Oak Street Cafe und die John Ryland Library, sowie Manchester Cathedral, das Imperial War Museum North und das People’s History Museum. Daneben ein Technisches Museum, das Polizeimuseum und eines, das eine in Deutschland beliebte und erfolgreiche Rasensportart zum Thema hat, für welche in Manchester zwei Vereinen bekannt sind.
Die zweite Etappe führt nun weg von den städtischen Zentren in die Berge oder - wie es vor Ort heißt - in die “Dales”, die Täler . Nicht nur die Landschaft ändert sich schlagartig, auch das Wetter zeigt sich jetzt von seiner kühlen und nassen Seite. Unterkunft finden wir in einem zum Ferienhaus umfunktionierten Haus am Dorfplatz von Arncliffe. Zentrum und touristischer Hotspot des Ortes ist der “Falcon Inn”.
Über die Jahre nur behutsam modernisiert, manifestiert sich hier unprätentiös eine Perle der britischen Pub-Kultur. Auf Fotos sieht der Gastraum immer viel größer aus, als er sich den Besuchern in Wahrheit darbietet. Die Breite entspricht in ungefähr der eines U-Bahn-Zuges. An der Stelle des Eingangs zur Fahrerkabine befindet sich ein Kamin, der wegen des Wetters auch im Sommer angeheizt wird.
Der Wirt lässt die Wahl zwischen zwei verschiedenen Arten des Einschenkens: vom Hahn oder aus der Kanne. Da die Verfahren auch meinen englischen Mitreisenden nicht bekannt sind oder sie die lokale Zunge nicht ausreichend verstehen, bekommen wir die Touristenvariante vom Hahn. Die lokale Alternative ist ein Verfahren, bei dem der Wirt das Bier zunächst in einen Krug füllt, um es dann in einem Schwapp in die Gläser zu befördern. Wer einmal in den Falcon eingetreten ist, versteht den Sinn des Spruches “in taberna mori” und schaut seinem eigenen Ende gelassener entgegen.
Auf der Rückreise habe ich mangels Kenntnis leider den Craven Arms in Appletreewick verpaßt. Der Pub ist durch die BBC Fernsehserie "Yorkshire's perfect pint" bekannt und hat das Potential den Falcon Inn auf der Spitzenplatz meiner Publiste zu verdrängen.
Wer es gediegen mag, aber nicht großstädtisch, dem sei noch die für Yorshire namensgebende Stadt York empfohlen. Hier kommt der kultur-, historisch, kulinarisch- und natürlich cervesialisch - ich hoffte, dass ich dieses Adjektiv als meine Erfindung reklamieren konnte, aber das Wort gibt es tatsächlich - also auch der cervisialisch Interessierte auf seine Kosten.
Die dritte und letzte Etappe führt weg von den Bergen ans Meer, genauer gesagt in das Seebad Scarborough. Der Name mag aus einem Volkslied vielen in den Ohren klingen (... Parsley, Sage, Rosemary and Thyme.), das durch die Interpretation von Simon and Garfunkel über die Inseln hinaus bekannt geworden ist.
Dem Besucher bieten sich zwei Strände, der nördliche und der südliche, von denen der Autor den nördlichen empfiehlt. Beide bieten einen Blick auf die mittelalterliche Burg. Ein Besuch ist für Mitglieder der English Heritage kostenlos, sonst werden 6,50 GBP für Erwachsene gebongt.
Eine halbe Stunde Autofahrt von Scarborough entfernt lädt die Wold Top Brewery zu Brauereiführungen ein und hat neben hervorragenden Bieren eine interessante Geschichte zu bieten. Der Name kommt nicht etwa von der Weltspitze (auch wenn dies in den Augen des Autors gerechtfertigt wäre), sondern vom Gipfel des “Wolds”, auf dem sie liegt. Wold ist etymologisch mit dem deutschen Wort Wald (mit Bäumen bewachsene Berge/Hügel; vgl. Thüringer, Bayrischer, Böhmerw. etc.) verwandt, bezeichnet aber in Yorkshire einen gerodeten, landwirtschaftlich genutzten Hügel.
Die Wold Top Brewery liegt tatsächlich auf einem solchen und hat ihren Ursprung in einer immer noch bewirtschafteten Farm, zu der lediglich ein Schotterweg führt und keine Wasserleitung. Für die Brauerei werden deshalb zwei Brunnen genutzt, und auch sonst werden für die Bierherstellung überwiegend eigene Ressourcen aufgewandt: Gerste von den eigenen Feldern wird bei Muntons im nahen Bridlington vermälzt, ein Teil des Stroms aus der Solaranlage und Windkraftanlage gewonnen.
Einmal in der Woche wird ein Sud von 360 Gallonen (10 brewers barrels oder 1640 Liter) Bier gebraut. 3 Biere rotieren in der Produktion, andere werden nach Bedarf eingeschoben. Seit 2010 gibt es eine eigene Abfüllanlage, mit der in zwei Schichten auch externe Aufträge bedient werden. Seit 2016 wurde der Ausstoß vervierfacht. Teil der Schüttung sind auch Enden von Toastbroten, die in Bäckereien aussortiert und auf diese Weise einem guten Zweck zugeführt werden. Für alle Biere wird im klassischen "englischen" Verfahren gemaischt. Das heißt der Maischebottich ist nicht beheizt und Energie wird der Maische ausschließlich durch das heiße Wasser aus dem "hot liquor tank" zugefügt. Dass man auf einer solchen Anlage auch kontinentale Bierstile brauen kann, ist schon bewiesen worden. Die Wold Top Brewery verzichtet auf einen solchen Beweis und braut ausschließlich britische, aber keineswegs sklavisch traditionelle Varianten.
Meine Favoriten in der anschließenden Verkostung war das Wold Top Bitter und - auf Empfehlung des Brauers - das Marmelade Porter. Rundum haben wir es hier mit einer sympathischen Brauerei zu tun. Auf dem Gelände kann man Hochzeiten ausrichten lassen und auch ein Campingplatz lädt Besucher ein.
Dass ich Wold Top Brewery in meinem Reisebericht soviel Raum widme, hat lediglich den Grund, dass ich andere, die ich gern besucht hätte, nicht besucht habe und ich ihnen mit der Nichterwähnung sicher Unrecht täte. Deshalb seien sie hier mindestens einmal aufgezählt: Zuallererst ist da die schon genannte Samuel Smith Old Brewery in Tadcaster zu erwähnen. Dann die Blacksheep Brewery in Masham, deren Flaschenbier ich zumindest kosten konnte. Timothy Taylor’s Brewery in Keighley, die für das Landlord bekannt ist. Im Ort und in den Nachbarorten finden sich nicht weniger als 3 weitere Brauereien.
Von Scarborough aus geht’s am letzten Tag der Reise an der Küste entlang zurück nach Hull. Auf dem Weg noch ein Abstecher zum Vogelschutzgebiet Bempton Cliffs und ins Seebad Bridlington, das sicher bessere Zeiten gesehen hat, jedoch durch neue Ansiedlungen und Investitionen den Anschluss an frühere Attraktivität sucht. Bevor es auf den wirklich letzten Abschnitt der Fahrt geht, stärken wir uns noch einmal im Golden Anchor Breakfast Cafe, einem Familienbetrieb direkt an der Promenade gelegen mit typischen englischen Speisen.
Bevor uns der Ozeandampfer wieder verschluckt, noch schnell ein paar Mitbringsel im Supermarkt ergattert - auch hier sucht und findet das Auge schnell lokale Bierangebote in großer Zahl. Beim Verkosten in der Kabine unseres Fährschiffes bleibt Zeit über den kommenden Brexit zu sinnieren . Dies Gedanken gehören jedoch nicht ins brau!magazin und sind sicher andernorts zur Genüge ausgebreitet. Am nächsten Morgen hat uns das Festland wieder.