Der gro­ße IBU-Schwindel

Oder: War­um ist das Tri­ple Impe­ri­al IPA so mild?

Vie­le wer­den das Phä­no­men ken­nen: Man setzt ein Bier mit über 100 Bit­ter­ein­hei­ten an, erwar­tet, von Thors Hop­fen­ham­mer getrof­fen zu wer­den, und ist über­rascht, dass das Bier zwar bit­ter ist, aber viel mil­der als erwar­tet. Eben genau das über­rasch­te auch eini­ge Brau­er und Wis­sen­schaft­ler. Um die­sem Phä­no­men auf den Grund zu gehen, müs­sen wir uns das The­ma Hop­fen in der Braue­rei und Hop­fen­ana­ly­tik im Detail anschauen.

Die bit­te­re Wahr­heit über Hopfen

Erst ab etwa 1888 inter­es­sier­te man sich wis­sen­schaft­lich dafür, was mit dem Hop­fen in der Braue­rei pas­siert, und vor allem dafür, wie der Brau­er das auch vor­aus­sa­gen kann. 1932 lei­te­te W. Wöll­mer [1] aus einen eige­nen Vor­kennt­nis­sen [2] und den Arbei­ten Max Hay­ducks an der VLB Ber­lin die bis heu­te gül­ti­ge For­mel und Ana­ly­sen­vor­schrift für die Bit­ter­wert­be­stim­mung von Hop­fen ab. Eine sei­ner Haupt­er­kennt­nis­se beruht dar­auf, dass an der Bier­bit­te­re die α- und β‑Säuren betei­ligt sind, wobei die α‑Säure grob gesagt etwa neun­mal mehr Bit­te­re ins Bier bringt.

\[ Bitterwert\:nach\:W\"ollmer=\alpha-S\"auren+\frac{\beta-Fraktion}{9} \]

Bitterstoffe des Hopfens

Bitterstoffe des Hopfens

Gut 20 Jah­re spä­ter haben dann F. L. Rig­by und J. L. Bethu­ne zum einen die Erkennt­nis gewon­nen, dass beim Kochen die α‑Säuren zu den ent­spre­chen­den Iso-​α-​Säuren iso­me­ri­sie­ren und dass es vor allem die­se Iso-​α-​Säuren sind, die zur Bit­te­re im Bier bei­tra­gen, und nicht die α‑Säure selbst. Mit die­ser Erkennt­nis in der Hand konn­ten sie dar­aus eine Ana­ly­se ablei­ten, die den Iso-​α-​Säuren-​Gehalt im Bier bestimm­te. [3] Damit ist der Brü­cken­schlag voll­stän­dig, und der Brau­er konn­te sich sei­ne rezept- und anla­gen­ab­hän­gi­ge Hop­fen­aus­nut­zung durch das Ver­hält­nis von bekann­tem Hop­fen­bit­ter­stoff­ge­halt und Bier­bit­te­re berech­nen und damit sei­ne Rezep­te gezielt anpassen.

Bereits bei genau­er Betrach­tung der Erkennt­nis­se von Wöll­mer im Ver­gleich zur gel­ten­den Ana­ly­se der Bit­ter­ein­hei­ten in Bier sticht eines ins Auge: Wöll­mer betrach­tet im Hop­fen auch die β‑Säuren, die Ana­ly­se der Bier­bit­te­re lässt sie dage­gen außer Betracht. Hin­ter­grund ist, dass die β‑Säuren in pola­rem Was­ser nur sehr gering lös­lich sind.

\[ IBU=\frac{m [mg] Iso-Alpha-S\"aure}{V [l] Bier} \]

Hal­ten wir also fest: Man ging sehr lan­ge davon aus, dass die Bit­te­re im Bier zum größ­ten Teil durch die Iso-​α-​Säure bestimmt wird. α- und β‑Säuren sind zum einen weni­ger bit­ter und zum ande­ren sehr schlecht in unpo­la­rer Wür­ze lös­lich. Aus die­sem Grund war es logisch, dass man eine Ana­ly­se der Iso-​α-​Säure für abso­lut aus­rei­chend hielt, um die Bier­bit­te­re zu bestim­men und zu defi­nie­ren. So wur­de eine Inter­na­tio­nal Bit­ter­ness Unit (IBU) als 1 Mil­li­gramm Iso-​α-​Säure je Liter Bier definiert.

Die­se Annah­men waren auch alle abso­lut unpro­ble­ma­tisch, bis Brau­er anfin­gen, gro­ße Men­gen an Hop­fen durch Hop­fen­stop­fen ins fer­ti­ge Bier zu brin­gen. So waren alle glück­lich und leb­ten ein lan­ges und zufrie­de­nes Brauerleben.

Lei­der nein. Fol­gen­des war näm­lich auf­ge­fal­len: Bie­re, die jen­seits von etwa 3,5 Gramm je Liter gestopft wur­den, zeig­ten in der Ana­ly­se einen erhöh­ten Wert an Bit­ter­ein­hei­ten im Ver­gleich zum unge­stopf­ten Bier, gleich­zei­tig wur­den die­se Bie­re aber in Ver­kos­tun­gen als weni­ger bit­ter als unge­stopf­te Ver­gleichs­bie­re bewer­tet. Wie, pfei­fen nicht die Spat­zen von den Dächern, dass das Stop­fen das Bier eben nicht bit­te­rer macht?

Ja und nein. Es gibt zwei Phä­no­me­ne, die zu die­sem Sach­ver­halt füh­ren und die jet­zi­ge Ana­ly­tik für gestopf­te Bie­re eigent­lich hin­fäl­lig machen.

Zuerst war John Paul Maye und Robert Smith in geziel­ten Ver­suchs­rei­hen auf­ge­fal­len, dass grö­ße­re Men­gen Iso-​α-​Säuren beim Stop­fen durch Absorp­ti­on an den Hop­fen­blät­tern zusam­men mit den Hop­f­entre­bern aus dem Bier ent­fernt wer­den, sich aber gleich­zei­tig gro­ße Men­gen an α‑Säure im Bier lösen. Ver­ant­wort­lich dafür ist die Ver­än­de­rung der Pola­ri­tät durch die Gärungs­pro­duk­te [4]. Das erklärt jedoch nur den Ver­lust der Bit­te­re, nicht aber den Anstieg der Mess­wer­te, da α‑Säure zwar nicht bit­ter schmeckt, aber eben auch nicht durch die her­kömm­li­che pho­to­me­tri­sche Ana­ly­se bei 275 nm erfasst wird.

Um die­sen wei­te­ren Effekt zu ver­ste­hen, müs­sen wir uns mit einer ande­ren Reak­ti­on, die auch aus der Hop­fen­al­te­rung bekannt ist, befas­sen: der Oxi­da­ti­on von α‑Säure. Im geal­ter­ten Hop­fen sinkt der Gehalt an α‑Säure dadurch, dass sie zu Humu­li­no­nen oxi­diert wird. Die­se sind zwar sta­bil, wei­sen aber nur etwa 65 Pro­zent der Bit­ter­kraft der ursprüng­li­chen α‑Säure auf. Für uns eben­falls von Inter­es­se: Sie wer­den auch bei der pho­to­me­tri­schen Ana­ly­se bei 275 nm erfasst [5].

Isomerisierung und Oxidation

Isomerisierung und Oxidation

Genau die­se Humu­li­no­ne haben aber Maye und Smith in gro­ßen Men­gen im gestopf­ten Bier gefun­den. Die Ver­mu­tung liegt also nahe, dass zum einen die Iso-​α-​Säuren aus dem Bier durch Absorp­ti­on an den Hop­fen­blät­tern ent­fernt wer­den, was zum sen­so­ri­schen Ver­lust der Bit­te­re führt, wäh­rend die Auf­nah­me und Bil­dung von Humu­li­no­nen gleich­zei­tig zu einer Erhö­hung der Mess­wer­te führt. Kurz könn­te man sagen, dass Iso-​α-​Säure durch die weni­ger bit­te­ren Humu­li­no­ne aus­ge­tauscht wird.

Wie schön, es haben bei­de Lager recht. Hop­fen­stop­fen erhöht den gemes­se­nen Bit­ter­wert, und gestopf­te Bie­re erschei­nen mil­der, weil sie tat­säch­lich weni­ger bit­ter sind.

Es führt uns aber wie­der zu der Erkennt­nis, dass man auch dann, wenn man etwas mes­sen kann, nie ver­ler­nen soll­te, die Ergeb­nis­se kri­tisch zu hinterfragen.

PS: Um die Feh­ler der klas­si­schen Hopfen- und Bier­ana­ly­se zu umge­hen, haben Maye und Smith übri­gens mit HPLC-​Analytik (high-​performance liquid chro­ma­to­gra­phy) gearbeitet.


Quel­len:

  1. Wöll­mer, W.: „Der Hop­fen und sei­ne Ver­wen­dung in der Braue­rei“, Arti­kel in TfB, 1932, S. 171–173
  2. Wöll­mer, W.: „Über die Bit­ter­stof­fe des Hop­fens“, Arti­kel in „Berich­te der che­mi­schen Gesell­schaft“, 1916, S. 780–796
  3. Bethu­ne, Rig­by: „Rapid methods for the deter­mi­na­ti­on of total hop bit­ter sub­s­tances (iso-​compounds) in beer“, Arti­kel in „Jour­nal of the Insti­tu­te of Bre­wing“, 1955, S. 325–332
  4. Maye, Smith: „Humu­li­no­ne for­ma­ti­on in hops and hop pel­lets and its impli­ca­ti­ons for dry hop­ped beers“, Arti­kel in „Tech­ni­cal Quar­ter­ly MBAA“, 2016, S. 23–27
  5. Algaz­z­ali, Vicor; Shell­ham­mer, Tho­mas: „Bit­ter­ness inten­si­ty of oxi­dized hop acids: Humu­li­no­nes and Hulu­po­nes“, Arti­kel in „Jour­nal of the Ame­ri­can Socie­ty of Bre­wing Che­mis­try“, 74/​2016, S. 36–43

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