Ringanalyse Extraktmessung: die Auswertung
Im Oktober 2017 haben Hobbybrauer deutschlandweit Messungen des Restextrakts an zwei Referenzflüssigkeiten angestellt. Ziel war es, aus den hunderten Messwerten Erkenntnisse über die Genauigkeit der typischen Hobbybrauer-Messinstrumente zu gewinnen. Gebhard, Oli und Jan haben die Daten jetzt ausgewertete und für uns interpretiert.
“Daten zu erheben ist die eine Sache, sie auszuwerten und zu interpretieren ist eine andere.“
Die Ergebnislage den Teilnehmern und Lesern so darzustellen und zu erklären, dass sowohl der Brauanfänger als auch der ausgebildete Messingenieur etwas Verwertbares damit anfangen kann, kommt natürlich „on top“.
Die Messreihen sind erstellt und ausgewertet und wir drei haben die Ergebnisse hoffentlich so für Euch zusammengefasst, dass jeder für sich und vielleicht auch in gemeinsamer Runde, die richtigen Schlüsse daraus ziehen kann.
Um die Problematik der „Restextraktmessung“ etwas besser zu verstehen, sollten wir uns erst einmal Gedanken darüber machen, was wir überhaupt messen. Ganz ehrlich ist das eine der wichtigsten Voraussetzungen und wird leider allzu oft vergessen. Die Frage was wollen wir messen und was messen wir tatsächlich.
Die Würzespindel
Seit etwa 175 Jahren sind wir in der Brauerei überhaupt erst in der Lage vernünftig zu messen und zwar mit dem sogenannten Saccharimeter, der Spindel. Die Spindel folgt dabei einer einfachen Gesetzmäßigkeit : dem sogenannten Archimedischen Prinzip. Das besagt nicht anders, als dass die Auftriebskraft eines Körpers der Gewichtskraft des verdrängten Mediums entspricht. Auf gut Deutsch, verdrängt ein Körper ein Volumen von 1000 Kubikzentimeter Wasser von 4°C, so hat er einen Auftrieb von 9,8 Kilonewton, was der selben Kraft entspricht die 1000 Kubikzentimeter Wasser von 4°C auf eine Waage ausüben.
Archimedes hat festgestellt, dass ein Körper schwimmt oder schwebt, wenn die Gewichtskraft genauso groß wie die Auftriebskraft ist. Weiter hat er festgestellt, dass der Körper so weit in die Flüssigkeit eintaucht, bis die Gewichtskraft der verdrängten Flüssigkeit genau der Gewichtskraft des Körpers, bei uns der Spindel, entspricht. Das ist in der Skizze der Fall für Fa (Auftriebskraft) gleich FGs (Gewichtskraft Spindel). Die Gewichtskraft ist physikalisch nichts anderes als die Masse eines Körpers mal der Erdbeschleunigung. (FG= m*g)
So weit so gut. Da die Masse einer Spindel und damit ihre Gewichtskraft konstant ist, verdrängt sie immer die gleiche Masse an Flüssigkeit. Die Masse bestimmt sich aber durch das Volumen (V) und die Dichte (ρ) der Flüssigkeit. Das bedeutet: ändert sich die Dichte, muss sich auch das Volumen ändern, damit die Masse konstant bleiben kann. Mit anderen Worten, verändert sich die Dichte, taucht die Spindel unterschiedlich weit ein. Da bei konstanter Masse ein dichteres Medium weniger Volumen einnimmt, heißt das für unsere Spindel: je Dichter die Flüssigkeit, desto weniger weit taucht die Spindel ein.
Damit nicht genug: eine weitere physikalische Gesetzmäßigkeit spielt beim Spindeln eine Rolle: Die Dichte. Sie ist abhängig von der Menge der gelösten Stoffe in einer Flüssigkeit. Das heißt für uns, je mehr Stoffe gelöst sind, desto weniger weit taucht eine Spindel in die Würze ein.
Dieser Umstand ist auch der Grund dafür, warum die am Spindelhals angebrachte Skala in Richtung Spindelkörper in einer aufsteigenden Reihenfolge angebracht ist. Die Spindel taucht weniger tief ein, sie muss aber mehr anzeigen.
Einziges Problem: die Dichte ist auch abhängig von der Temperatur der Lösung. Aus diesem Grund müssen die Messungen bei einer für die Spindel festgelegten Bezugstemperatur, meist bei 20°C, erfolgen. Weicht die Probentemperatur von der Bezugstemperatur ab, müssen die Ablesewerte entsprechend korrigiert werden.
Das Refraktometer
Das Refraktometer macht sich eine andere physikalische Eigenschaft von Lösungen zunutze – es misst den Brechungsindex eines Stoffes oder eines Stoffgemisches. Der Brechungsindex ist im Grunde das Verhältnis der Lichtgeschwindigkeit im Vakuum zur Lichtgeschwindigkeit in der Probe. Je höher dabei die optische Dichte eines Materials ist, desto langsamer ist die Geschwindigkeit des Lichtes in diesem Medium. Gelangt nun ein Lichtstrahl von einem Medium in ein anderes, wird er an der Grenzfläche mehr oder weniger gebrochen oder reflektiert. Dabei ändert der Lichtstrahl seine Richtung. Je nach Einfallswinkel des Lichtes kann es auch zur Totalreflexion kommen. Diesen, stoffabhängigen Winkel nennt man Grenzwinkel der Totalreflexion (ΘG). Ist nun der Brechungsindex und der Grenzwinkel der Totalreflexion eines Stoffes bekannt, kann mit dem Refraktometer der Brechungsindex des anderen Stoffes ermittelt werden.
Nun ist in Lösungen einer bekannten Zusammensetzung die optische Dichte und damit der Brechungsindex abhängig von der Konzentration des gelösten Stoffes. Mit der Konzentration ändert sich somit auch der Grenzwinkel der Totalreflexion.
Da dieser Winkel auch abhängig ist von der Wellenlänge des Lichtes, wird dieses im Refraktometer durch einen optischen Filter geschickt. Dieser Lichtstrahl einer bestimmten Wellenlänge wird dann durch ein Prisma mit einem bekannten Brechungsindex gelenkt. An der Grenzfläche dieses Prismas befindet sich die Probe mit einer unbekannten Konzentration. Je nach optischer Dichte der Probe kann nun am Okular der Winkel abgelesen werden, bei dem sich die Totalreflexion einstellt. Das ist genau der Übergang vom hellen Bereich der Skala auf den dunklen. Der gemessene Grenzwinkel der Totalreflexion ist dabei abhängig von der Konzentration des bekannten Stoffes in der Lösung. Damit kann diese Konzentration auch direkt an der Skala abgelesen werden.
Der Biegeschwinger
Nach dem Prinzip des Biegeschwingers arbeiten die meisten Laborgeräte und eben auch das EasyDens. Das Messprinzip beruht dabei auf der Messung der Eigenfrequenz des Röhrchens, in dem sich die Probe befindet. Dazu wird ein U‑Rohr aus Glas in Schwingung versetzt. Je dichter nun die Probe ist, die sich in diesem Röhrchen mit definiertem Volumen befindet, desto höher ist die Masse des Probenvolumens und umso länger dauert eine Schwingung. Aus der gemessenen Schwingungsdauer lässt sich die Dichte errechnen. Ist die Zusammensetzung der Probe bekannt, lässt sich aus der Dichte die Konzentration der Lösung bestimmen. Je nach Messgerät wird nun die Probe entweder elektronisch temperiert oder aber die Probentemperatur gemessen und rechnerisch korrigiert (Temperaturkompensation).
Messreihen
In unserer kleinen „Ringanalyse“ wurden identische Proben mit verschiedenen Messgeräten gemessen. Davon wurden vier mit einem Biegeschwinger bestimmt, 32 mit einem Refraktometer und 47 mit einer Spindel. Die Proben wurden einem homogenen Gesamtvolumen entnommen. Die Nullproben (wahrer Wert) wurden mittels Mehrfachmessung auf einem Präzisionsbiegeschwinger DMA 5000, einem elektronischem Refraktometer Abbemat 300 und einem Biermessplatz – jeweils von der Firma Anton Paar – in deren Labor bestimmt.
Sample Id | Sample | Extraktkonz. |
---|---|---|
Es % | ||
1 | Probe A | 1,576 |
2 | Probe A | 1,576 |
3 | Probe A | 1,576 |
4 | Probe A | 1,576 |
5 | Probe A | 1,576 |
Ø | Probe A | 1,58 |
1 | Probe B | 2,458 |
2 | Probe B | 2,458 |
3 | Probe B | 2,458 |
4 | Probe B | 2,458 |
5 | Probe B | 2,458 |
Ø | Probe B | 2,46 |
Sample Id | Sample | RI Brix |
---|---|---|
g/100g | ||
1 | Probe A | 4,798 |
2 | Probe A | 4,795 |
3 | Probe A | 4,801 |
4 | Probe A | 4,800 |
5 | Probe A | 4,817 |
Ø | Probe A | 4.80 |
1 | Probe B | 6.885 |
2 | Probe B | 6.892 |
3 | Probe B | 6.882 |
4 | Probe B | 6.868 |
5 | Probe B | 6.877 |
Ø | Probe B | 6,88 |
Sample ID | Sample | Alcohol (% w/w) | p (original extract) (% w/w) |
---|---|---|---|
%w/w | %Plato | ||
1 | Probe A | 3,42 | 9,91 |
2 | Probe A | 3,42 | 9,90 |
3 | Probe A | 3,42 | 9,91 |
Ø | Probe A | 3,42 | 9,91 |
1 | Probe B | 4,70 | 13,66 |
2 | Probe B | 4,70 | 13,66 |
3 | Probe B | 4,70 | 13,67 |
Ø | Probe B | 4,70 | 13,66 |
Aus den Messergebnissen dieser Laborgeräte lässt sich sehr schön deren Präzision erkennen, da alle Werte der Mehrfachbestimmungen in einem extrem engen Fenster liegen.
Um die „Genauigkeit“ eines Messsystems zu bestimmen, haben wir uns nach längerer Beratung und aus Gründen der Übersicht dazu entschlossen, aus den Messreihen eine „Gesamtgüte“ je Messinstrument zu ermitteln. Grundidee ist, dass ein Messwert umso näher am „wahren Wert“ liegt, desto näher die Differenz aus „wahrem Wert“ und dem Messwert gegen Null geht. Klingt jetzt hochtrabend, ist aber relativ einfach. Rein rechnerisch ziehen wir den ermittelten Messwert vom „wahren Wert“ ab. Je grösser der Betrag dieser Zahl ist, desto weiter lag die Messung daneben.
In unserem Fall hatten wir je zwei Messungen (Probe A und Probe B). Also bilden wir daraus die Summe, addieren also beide Werte.
Dabei ergibt sich ein Problem. Egal wie ungenau beide Messungen sind, wenn die Vorzeichen jeweils unterschiedlich sind, wird das Ergebnis besser. Das ist natürlich Unsinn, denn wenn eine Messung eine viel zu hohe Zahl anzeigt und die nächste eine viel zu kleine Zahl, dann ist die Messung mitnichten im Schnitt gut. Abhilfe schafft hier mathematisch der Betrag der Zahl. Vereinfacht gesagt macht ein Betrag aus jeder Zahl einen positiven Wert.
Gehen wir zum Beispiel davon aus dass mit einer Spindel für Probe A ein Wert von 1,8 w/w% und für Probe B ein Wert von 2,3 w/w% ermittelt wurde. Dann ergibt sich folgende Rechnung:
Wer das in Excel selbst nachrechnen will, rechne mit folgender Formel:
Y = ABS(‚wahrer Wert A‘- Messwert A) + ABS(‚wahrer Wert B‘- Messwert B)
Auch hier gilt: je näher diese Summe am Wert 0 ist, desto geringer sind die Abstände des Messwertes zum „wahren Wert“ und entsprechend näher liegen die Messwerte am „wahren Wert“. Logisch? Aus diesem Wert haben wir entsprechend den Mittelwert über alle Messwerte gebildet.
Ein weiteres Kennzeichen eines „guten“ Messverfahrens ist eine geringere Streuung der Werte. Ich will ja im Grunde immer einen Wert haben, der möglichst nahe am wahren Wert liegt. Dazu kann man die sogenannte Spannweite betrachten. Das ist die Differenz zwischen Maximum und Minimum einer Messreihe. Im Graph also vom oberen Punkt zum unteren Punkt. Je näher diese Punkte am Mittelwert liegen desto weniger „streut“ das Messsystem.
Noch ein Wort zu den Ausreißern: Ich hab die Werte, die grösser (durch den Betrag gibt es kein kleiner) als 4 mal der Mittelwert der Messreihe waren, entfernt. Ausreißer gab es übrigens bei beiden Messverfahren.
Apropos beide Messverfahren: was ist denn nun mit den Werten des EasyDens? Es ist praktisch sinnlos diese Werte hier darstellen zu wollen, da alle 4 Messungen den Nullwerten entsprechen. Das heißt, die in der Praxis verwendeten EasyDens Geräte haben denselben Wert wie die Laborgeräte ermittelt. Einziger Hinweis dazu: EasyDens rundet auf eine gültige Nachkommastelle, die Laborwerte haben wir auf zwei gerundet, dadurch würde sich eine Abweichung von o,1 mas% ergeben (rein rechnerisch wohlgemerkt 🙂 )
Und noch eine Anmerkung. Wir hatten ein Ergebnis, das mit 0,3 mas% Abweichung aus der Reihe gefallen ist. Aus Rücksprachen mit dem Teilnehmer haben wir erfahren, dass das EasyDens vor der Messung nicht nach Herstellervorgaben kalibriert bzw. überprüft wurde. Wir haben uns deshalb entschlossen dieses Ergebnis hier nicht zu berücksichtigen.
Aber was genau sagt uns das jetzt, außer dass wir uns einen Biegeschwinger zu Weihnachten wünschen?
Wir sollten uns klar darüber sein, dass die Probenvorbereitung ideal war. Die Proben waren entgast, klar und hell. Zusätzlich musste eine Möglichkeit geschaffen werden, die Brix und Spindelwerte der Proben A und B in einer „alkoholischen Lösung“ miteinander zu vergleichen. Damit die eigentlichen Messdaten durch Umrechnungen und Korrekturen nicht ins Hintertreffen geraten, haben wir folgendes gemacht:
Die mit dem Refraktometer ermittelten Messergebnisse wurden mit den Brix-Werten vom ABBEMAT300 verglichen, die Messergebnisse der Spindelmessungen hingegen mit denen vom DMA5000. Zur gesamtheitlichen Konsolidierung aller Messwerte wurde keine Umrechnung mehr zwischen Brix (Refraktometer) und Extrakt scheinbar (Spindel) vorgenommen, ebenso fand kein „herausrechnen“ des bekannten Alkoholfehlers statt. Beide Korrekturen sind mehr oder weniger mit Fehlern behaftet, da es sich bei den bekannten Verfahren lediglich um Näherungen durch Interpolation handelt.
Das heißt, wir haben etwaige Fehler bei der Umrechnung von Brix auf mas% und auch die Korrektur des Alkoholfehlers bewusst vernachlässigt. Was heißt das konkret? Nehme ich den im Labor bestimmten „wahren Wert“ für Probe A und rechne diesen mit den bekannten Verfahren in mas% (°P) um, so müsste dabei logischerweise der selbe Wert herauskommen, der im Labor als wahrer Wert für mas% bestimmt wurde. Dem ist aber nicht so. Je nach Verfahren und Rechner erhalte ich eine Abweichung bis zu 0,42 mas%. Das ist in etwa so viel wie auch die Durchschnittswerte der Messreihen (Spindel vs. Refraktometer) auseinander liegen.
Im Grunde könnte man sagen, dass zwar ein Refraktometer scheinbar die stabileren Werte liefert, die Handhabung durch die Korrektur des Alkoholfehlers aber stark zu wünschen übrig lässt. Eine Abweichung von 0,42 mas% bei einem wahren Wert von 1,59 mas% entspricht einer Abweichung von etwa 26%.
Noch ein Punkt, der Beachtung verdient: Gleich nach der Veröffentlichung der ersten Ergebnisse, die ja nur dem individuellen Vergleich der Teilnehmer dienen sollte, wurden sofort die ersten Schlüsse gezogen (was wir ja ausdrücklich nicht wollten). Ich habe sowohl im Forum als auch bei Facebook unmittelbar danach Beiträge gesehen, die schnell zum Schluss kamen, dass das Refraktometer ganz klar das bessere System ist. Ist dem so?
Natürlich nicht. Es lässt sich so direkt überhaupt nicht sagen. Warum? Ganz einfach: vergleichen wir die schlechteste Einzelmessung eines Refraktometers mit der besten einer Spindel, dann ist das Refraktometer etwa um den Faktor 14 weiter weg vom wahren Wert. Nutzt man nun noch die Korrektur des Alkoholfehlers, dann liegt man noch viel weiter daneben. Das gleiche gilt auch umgekehrt, also den besten Messwert eines Refraktometers verglichen mit dem schlechtesten einer Spindel (hier ist jetzt noch nicht mal die statistische Relevanz berücksichtig, dass wir zahlenmäßig mehr Spindelwerte als Refraktometerwerte haben). Interessanterweise ist der beste Spindelwert und der schlechteste Refraktometerwert exakt gleich, wobei hier eben noch zu beachten wäre, dass der Refraktometerwert so ja nicht zu verwenden wäre, sondern durch die Korrektur des Alkoholfehlers nachträglich „verschlechtert“ werden würde.
Und noch etwas kann man sagen: Während es bei Refraktometern praktisch fast keine feststellbare Relation zwischen Billiggerät und Profigerät gibt, lagen die einzigen beiden „Profispindeln“ sehr nahe am „amtlichen Ergebnis“. Eine der Profispindeln lieferte exakt die Messergebnisse, die auch im Labor als „wahre Werte“ festgestellt wurden. Es scheint sich also zu lohnen, etwas mehr zu investieren.
Ja, aber was zum Teufel ist denn nun die Schlussfolgerung? Ganz einfach: Jedes Messsystem sollte hin und wieder kontrolliert werden. Gegebenen Falls sind aus den Kontrollmessungen eigene Eichgrade zu erstellen.. Die Teilnehmer der Ringanalyse haben nun eben genau diesen Vorteil. Sie wissen exakt wie „falsch“ ihr Messgerät geht und können diesen Fehler sehr einfach kompensieren, wobei allerdings das Problem der Umrechnung noch nicht aus der Welt ist.