Die modernen Lagerfeuererzählungen sind voll von Berichten, in denen sich große Geister in bei Voraussagen geirrt haben. Jeder kennt wohl die Aussprüche “Ich glaube, es gibt einen Weltmarkt für vielleicht fünf Computer.” (Thomas J. Watson senior, der langjährige Chef des Computerherstellers IBM). Oder “Es gibt keinen Grund für einen Menschen, einen Computer im Haus zu haben.” (Ken Olsen, Gründer und Leiter der amerikanischen Computerfirma Digital Equipment). Keine der vorangegangen Aussagen ist im übrigen gut belegt oder tatsächlich in dem Zusammenhang gefallen, in den sie heute gesetzt wird.
Echte Fehlprognosen waren dagegen die von Bill Gates, dass in zwei Jahren das Spam-E-Mail-Problem gelöst wäre. Oder auch Ethernet-Erfinder Robert Metcalfe. “Wireless computing will flop – permanently.”
Richtig daneben lag im Jahre 1890 auch ein gewisser Dr. W. Schultze, Direktor der Actienbrauerei in Liesing bei Wien mit seiner Einschätzung zum Biertrinken aus Gläsern. Er war der Autor einer Broschüre “Warum Bier nicht aus Gläsern getrunken werden soll”. Die Broschüre ist nicht erhalten, aber die darin zusammengefassten Ergebnisse wurden von Prof. Dr. F. Linke in Wien geprüft und seine Bewertung im Polytechnischen Journal 1890 veröffentlicht. Er zitiert die besagte Schrift:
„Bier im Glase ist Bier auf dem Sterbebette. Das Glas verschlechtert, indem es sich im Bier löst, die Qualität des letzteren, so daſs der zielbewuſste Biertrinker die Verabreichung von Faſsbier in Gläsern prinzipiell abzulehnen hat. Die meisten der gebräuchlichen Biergläser enthalten Bleioxyd, gehören daher zu den genuſs- und gesundheitswidrigen Gebrauchsgegenständen. In consequenter Durchführung der deutschen und österreichischen Sanitätsgesetze erscheint demnach die Erzeugung, Benutzung solcher Biergläser, sowie der Handel damit als straffällig (S. 32 u. ff.).
Im gewöhnlichen Kleinverkehr mit Bier hat an die Stelle des Glases der salzglasirte Steinkrug zu treten. Das beste Trinkgefäſs für Bier ist der innen vergoldete Silberkrug. Das nächstbeste ein guter Zinnkrug, aus welchem das Bier sogar besser schmeckt, als aus dem Steinkruge.“
Richtig ist, dass Bleikristall oder Kristallglas gesundheitsschädliches Blei(II,IV)-oxid enthält, das zwar schwer löslich ist und nur durch wenige Substanzen gelöst werden kann, z.B. Essigsäure, aber doch Blei in nachweisbaren Größenordnungen auch bei kurzer Kontaktzeit in Lebensmittel und Getränke übergehen kann.
Desselben Themas nahmen sich die beiden New Yorker Toxikologen Joseph Graziano und Conrad Blum an und untersuchten den Bleigehalt ihrer Hausbar. “Spitzenreiter war ein über fünf Jahre lang in einer Karaffe aufbewahrter Brandy, der es auf einen Bleigehalt von 21 530 millionstel Gramm pro Liter gebracht hatte.” Seit 2013 liegt der Grenzwert für Blei in Trinkwasser bei 0,01 mg Blei pro Liter. Der Brandy läge also heute, vielhundertfach darüber. Welche Mengen von dem Brandy danach aufopferungsvoll appliziert wurden, ist nicht berichtet. Literweise dürfte es nicht gewesen sein.
Abgesehen von Fehlern in Schultzes Versuchsaufbau waren damals schon die allermeisten Biergläser nicht aus Kristall, sondern wie heute aus Pressglas, also ganz ohne Blei. Trotz seiner eindringlichen Warnungen hat sich das Glas und nicht der vergoldete Silberkrug als Biertrinkgefäß durchgesetzt.