War Gabri­el Sedl­mayr der Jün­ge­re der ers­te „Craft Beer Brauer“?

Eine nicht ganz ernst gemein­te Geschich­te über ein beson­de­res Bier

Nach der Eng­land­rei­se von 1834 woll­te Gabri­el Sedl­mayr der Jün­ge­re (im Wei­te­ren kurz Sedl­mayr) natür­lich sein neu erwor­be­nes Wis­sen anwen­den. Dazu gehör­te auch, ein schot­ti­sches Ale zu brau­en. Mit einer Stamm­wür­ze von „20–25% B” (B= Bal­ling) war das ein „Strong Ale“. Heu­te wür­de man es ver­mut­lich „Impe­ri­al India Pale Ale“ nen­nen und es als Craft Beer verkaufen.

Schot­ti­sches Strong Ale

Das Bier­satz­re­gu­la­tiv*.

Chris­ti­an Schäder:

Das letz­te Jahr­hun­dert (gemeint ist das 19.) war jedoch gera­de für die baye­ri­sche Brau­wirt­schaft von extre­men staat­li­chen Zwän­gen gezeich­net. Den Kern die­ser Ent­wick­lung stell­te das „Bier­satz­re­gu­la­tiv“ vom 25. April 1811 dar. In die­sem wur­den der Bier­satz (=Bier­preis) im König­reich Bay­ern sowie die Rege­lung des Drei­ecks­ver­hält­nis­ses Brauer-​Wirt-​Konsument fest­ge­legt. Das Regu­la­tiv beinhal­te­te umfas­sen­de Ein­schrän­kun­gen der unter­neh­me­ri­schen Freiheiten.“

Man ging 1811 von 4,53 Pfen­nig Fix­kos­ten pro Maß Bier aus. „Als Unter­neh­mer­lohn für die Brau­er wur­den 1,47 Pfen­nig auf­ge­schla­gen, so dass sich ein Grund­preis für die Maß Bier von sechs Pfen­nig ergab. Dem Grund­preis wur­den die varia­blen Kos­ten hinzugerechnet.“

Eine posi­ti­ve Neben­wir­kung des Regu­la­tivs, die bis heu­te wirkt, war das Ver­bot für die Brau­er, in den Bier­gär­ten die Gäs­te zu ver­kös­ti­gen. Daher kam der Brauch, sich das Essen selbst mitzubringen.

Im König­reich Bay­ern muss­te das Brau­en von „Strong Ale” natür­lich erst geneh­migt wer­den. Bewor­ben (der­glei­chen fiel unter das Bier­satz­re­gu­la­tiv*) hat­te sich Sedl­mayr mit der Begrün­dung, er „…sei im Stan­de, ein Getränk her­zu­stel­len, das dem eng­li­schen und schot­ti­schen Ale weder an Klar­heit, noch Güte, noch Wohl­ge­schmack nach­steht, ja von Ken­nern und selbst gebo­re­nen Eng­län­dern oft schon dem Ech­ten vor­ge­zo­gen wor­den ist. Es habe, mäßig genos­sen, wegen sei­ner Stär­ke einen höchst wohl­tä­ti­gen Ein­fluss auf den mensch­li­chen Körper.“

Am 3.12.1847 bekam er von der Kreis­re­gie­rung die offi­zi­el­le Geneh­mi­gung, die­ses Ale zum dop­pel­ten Preis des Som­mer­bie­res zu verkaufen.

Das vor­ge­leg­te Ale ist in Anse­hung der Far­be, Lau­ter­keit, des Glan­zes, Wohl­ge­schma­ckes und des Gehal­tes als ein ganz vor­züg­li­ches und wohl­ge­lun­ge­nes Fabri­kat der Bier­braue­rei zu erklären….Ale ist…. ein Kunst­er­zeug­nis hoher Art … man trinkt es, wer es ver­steht, nicht aus Maß­krü­gen, son­dern …. wie Wein. Es ist auch dem letz­ten weit ähn­li­cher als dem Bier und kann gut als Malz­wein bezeich­net werden.“

(Kom­mis­si­on mit Pro­fes­sor Cajet­an Kai­ser, die wohl­wol­lend Sedl­mayrs Antrag auf eine Brau­ge­neh­mi­gung für Ale unter­stütz­te. 10.03.1847)

Bar­ley Wine, oder Ale, wie es Gabri­el Sedl­mayr der Jün­ge­re nann­te, Craft­beer in Mün­chen? Mit­te des 19. Jahrhunderts?

Wie kam die Kom­mis­si­on zu die­sem Urteil und wie hat man sei­ner­zeit ver­kos­tet? Wenn man die alten Bücher durch­schaut, fal­len gewis­se Par­al­le­len zu heu­ti­gen Prak­ti­ken schon auf.

Johann-Wilhelm-Preyer Bockbierstilleben

Die Bier­ver­kos­tung, Kie­sen von Bier

Ver­gleicht man „Die im Auf­trag der Regie­rung vom Poli­tech­ni­schen Ver­ein und zwar von Prof. Kai­ser, Gabri­el Sedl­mayr, und Pri­va­tier Karl Pfänd­ler aus­ge­ar­bei­te­te neue Bier­kie­se­ord­nung….“ (25.01.1856) mit den aktu­el­len Ver­kos­tungs­tipps des deut­schen Brau­er­bun­des, wer­den Gemein­sam­kei­ten deutlich.

Die Bier­kie­se­ord­nung hat ins­ge­samt 11 Para­gra­fen. Ein paar davon betrach­ten wir uns hier mal näher.

Bier­kie­se­ord­nung

Brau­er­bund

§4:

Bei der Bier­be­schau selbst haben die dafür auf­ge­stell­ten Män­ner zuerst zur voll­stän­di­gen Rei­ni­gung des Geschma­ckes ein mäßi­ges Stück Brot – aber ohne Salz und ohne Küm­mel – zu genie­ßen, dann in den Schenk- oder Lager­kel­lern das Bier in einem von außen und innen rein­li­chem Gla­se zu emp­fan­gen. Das­sel­be zuerst zu besich­ti­gen und her­nach zu verkosten.

Tipps zur Vorbereitung

Ver­wen­den Sie ein­heit­li­che, mit kla­rem Was­ser aus­ge­spül­te Gläser.

Hal­ten Sie zur Geschmacks­neu­tra­li­sie­rung Knäcke- oder Weiß­brot bereit.

§5:

Bei der Besich­ti­gung der Bie­re hat der Beschau­er zu beob­ach­ten: die Far­be der Bie­re, ob hell oder dun­kel­wein­gelb, bräun­lich oder braun? – die Lau­ter­keit, ob klar oder unklar, und in letz­te­rem Fal­le ob stau­big oder trü­be? – den Glanz, ob glän­zend oder glanz­los? – den Schaum, ob schäu­mend oder nicht schäu­mend und in ers­te­rem Fal­le, ob der Schaum dicht oder dünn oder groß­bla­sig ist?

Gleich­zei­tig ist dabei auch der Geruch der Bie­re zu beob­ach­ten, ob er von guter oder feh­ler­haf­ter Ver­gäh­rung zeigt, wei­nicht oder hefen­ar­tig oder säu­er­lich ist? Dies gibt sich deut­li­cher zu erken­nen, wenn man das Bier im Gefä­ße eine kur­ze Zeit auf einen war­men Ofen oder in war­mes Was­ser stellt und bis auf 25 bis 30°R warm wer­den lässt.“ (R = Rea­mur, 1° Rea­mur = 1,25° Celsius)

Die Far­be des Bieres

Hal­ten Sie das Bier­glas gegen eine wei­ße Wand. So kön­nen Sie beson­ders gut die Far­be des Bie­res beur­tei­len. Je nach Sor­te reicht das Farb­spek­trum von einem lich­ten Hell­gelb über Gold­gelb bis hin zu einem war­men Dun­kel­braun und einem kräf­ti­gen Schwarz

Die Klar­heit des Bieres

Fil­trier­te, „blan­ke“ Bie­re soll­ten nor­ma­ler­wei­se einen fei­nen Glanz auf­wei­sen, also kei­ner­lei natür­li­che Trüb­stof­fe ent­hal­ten. Anders bei unfil­trier­ten oder natur­trü­ben Bie­ren (Z.B. Hefe­wei­zen oder Zwi­ckel­bier): bei ihnen soll­ten die Trüb­stof­fe sicht­bar sein.

Wie kön­nen Sie die Klar­heit beschreiben?

Glanz­fein, blank, leicht opal (begin­nen­de Trü­bung), opal, gleich­mä­ßig trüb.

§7:

Gutes wohl­ge­go­re­nes und gut auf­be­wahr­tes Bier bewirkt bei sol­cher Prü­fung schnell im Gau­men eine kitzelnde/​prickelnde Emp­fin­dung, wel­che von der durch die Mund­wär­me aus­strö­men­den Koh­len­säu­re her­stammt – die­ser folgt dann an den Zun­gen­rän­dern merk­li­che Wär­me nach, die sich bald über den gan­zen Gau­men aus­brei­tet und zwar um so stär­ker, je mehr Wein­geist ein Bier in sich führt – end­lich schlägt sich auf dem Rücken der Zun­ge eine Bit­ter­keit nie­der, die beson­ders bei dunk­len Bie­ren um so stär­ker ist, und wenn sie dem Geschma­cke einer stark gebräun­ten Brot­rin­de gleich­kommt, nicht vom Hop­fen, son­dern vom gebräun­ten Malz her­stammt. Eine zähe schlei­mi­ge Emp­fin­dung erre­gen die lan­ge gesot­te­nen, viel Malz­gum­mi füh­ren­den „dicken“ Bie­re, wel­chen die fei­nen, mehr Wein­geist füh­ren­den Bie­re gegen­über stehen.

Der Bier­ge­schmack

Nun end­lich dür­fen Sie Ihr Bier trin­ken! Bei der Beschrei­bung des Geschmacks­ein­drucks sind der Fan­ta­sie kei­ne Gren­zen gesetzt. So kann die Emp­fin­dung des Antrunks von „voll­mun­dig“ bis „leicht“ rei­chen, die der Rezenz von „ange­nehm“ bis „pri­ckelnd“ und die des Nach­trunks von „fein­herb“ bis „har­mo­nisch“

Wie kön­nen Sie den Geschmack beschreiben?

Antrunk:

leicht, schlank, weich, süf­fig, abge­run­det, sorten­ty­pisch, süf­fig, voll­mun­dig, malz­aro­ma­tisch, röst­malz­aro­ma­tisch, schwer, würzeartig.

Rezenz:

ange­nehm, sprit­zig, pri­ckelnd, mous­sie­rend, leben­dig, frisch, rezent.

Nach­trunk:

Aus­ge­wo­gen har­mo­nisch, aus­klin­gend, rund, kräf­tig betont, tro­cken, nicht anhän­gend, fein­herb, feinbitter.

Die Bier­kie­se­ord­nung war eine Anlei­tung für Pro­fis, wie sie Bier zu ver­kos­ten hat­ten, wäh­rend die Tipps des Brau­er­bun­des unver­bind­lich für alle Bier­freun­de sind. So spricht der Brau­er­bund auch nicht von Fehl­aro­men, wäh­rend es die Auf­ga­be der Bier­kie­ser war, das Bier zu tes­ten und die Güte zu bewer­ten, feh­ler­haf­tes Bier zu fin­den und dann die dafür vor­ge­se­he­nen Maß­nah­men einzuleiten.

Fest­zu­hal­ten bleibt, dass Mit­te des 19. Jahr­hun­derts das nöti­ge Wis­sen für pro­fes­sio­nel­le Bier­ver­kos­tun­gen vor­han­den war.

War Sedl­mayrs Tafel­bier ein Craftbeer?

Um die­se Fra­ge beant­wor­ten zu kön­nen, brau­chen wir eine Art Defi­ni­ti­on, was Craft Beer über­haupt ist. Bei den „Hop­fen­hel­den“ fin­det man folgendes:

Craft Beer zeigt Gesicht:
Es gibt bei Craft Beer immer einen Men­schen, einen Grün­der, Brau­er, Macher, der für die Mar­ke und das Pro­dukt einsteht.

Sedl­mayr war in Deutsch­land wohl der bekann­tes­te Brau­er sei­ner Zeit und stand natür­lich für sein Produkt.

Craft Beer ist unabhängig:
Ähn­lich wie die Bre­wers Asso­cia­ti­on den­ken auch wir, dass Craft Braue­rei­en nicht Teil gro­ßer Kon­zer­ne sein sollten.

Spa­ten war 1874 unter Sedl­mayrs Füh­rung die größ­te Mün­che­ner Braue­rei und unabhängig.

Craft Beer ist kreativ:
Wer immer nur ein Hel­les braut, weil sich das so gut ver­kauft, der ist nicht krea­tiv. Es ist aber auch nicht krea­tiv, nur ein IPA zu brau­en. Krea­tiv heißt, beson­de­re Bie­re zu wagen, zu vari­ie­ren, neu zu denken.

Krea­tiv war Sedl­mayr, zusam­men mit Dre­her bei der Erfin­dung des Lager­bie­res in den 30er und 40er Jah­ren des 19. Jahrhunderts.

1865 bau­te sich Sedl­mayr ein Ver­suchs­bräu­häusl, wo er unter dem Namen Tafel­bier wei­ter sein Ale brau­te, mal mit Dekok­ti­on, mal mit Infu­si­on, mal ober­gä­rig, mal unter­gä­rig. Es wur­de auch Böhmisches- und Wie­ner Lager­bier, mal mit Wie­ner Malz, mal mit selbst­er­zeug­tem Malz und noch vie­les mehr gebraut.

Craft Beer ist „Hand­werk“:
Natür­lich arbei­ten Craft Brau­er mit moderns­ter Tech­nik und „Hand­werk“ soll sich nicht auf das Rüh­ren von Hand bezie­hen, son­dern auf die Ver­wen­dung natür­li­cher Zutaten.

Als Sedl­mayr 1842 den Spa­ten Bräu über­nahm, war noch sehr viel Hand­ar­beit im Spiel. Die Zuta­ten waren von wech­seln­der Qua­li­tät. Es wur­den aber nur die best­mög­li­chen ver­wen­det, vor allem aus dem hei­mi­schen Markt. Man hat­te aber auch kei­ne Berüh­rungs­ängs­te mit tsche­chi­schem (Saa­zer) oder eng­li­schem Hop­fen (aus der Graf­schaft Kent) und öster­rei­chi­schem Malz.

Craft Beer schmeckt:
Nicht immer jedem. Aber grund­sätz­lich müs­sen die Pro­duk­te einer Craft Braue­rei schon über­zeu­gen, damit wir sie in unse­rem Sin­ne als Craft Braue­rei wahrnehmen.

Das schot­ti­sche Stron­ga­le hät­te man sicher auch heut­zu­ta­ge als über­zeu­gen­des Craft­beer wahrgenommen.

Es ist gar nicht so leicht, eine brauch­ba­re Defi­ni­ti­on für Craft Beer zu fin­den. Je mehr man in die Mate­rie Craft Beer ein­taucht, um so weni­ger greif­bar wird sie. Das hat aber auch sein Gutes. Mys­te­riö­ses mit einem Hang zur Kunst lässt sich halt leich­ter verkaufen.

Gabriel Sedlmayr der Jüngere

War Sedl­mayr also ein Craft Beer Brauer?

Nach der oben genann­ten Defi­ni­ti­on der Hop­fen­hel­den wohl ja, aber ich den­ke nicht. Das schot­ti­sche Ale hat er nicht gebraut um etwas neu­es, krea­ti­ves zu brau­en, son­dern um sich selbst und allen Ande­ren zu bewei­sen, dass er dazu in Lage war, es zu brauen.

Sedl­mayr ging es dar­um, gutes und vor allem bekömm­li­ches Bier für Jeder­mann zu brau­en. Abschre­cken­de Bei­spie­le für schlech­tes Bier hat­te er auf sei­nen Rei­sen genug gesehen.

Sedl­mayr war hier­zu­lan­de einer der ers­ten Indus­tri­el­len im Brau­ge­wer­be und somit aus mei­ner Sicht auch kein Craft Beer Brau­er, wobei Ande­ren die Grö­ße einer Braue­rei ja schein­bar egal ist, wenn man bedenkt, dass z.B: die Sier­ra Neva­da Bre­wery unter Ken Gross­mann 2018 die zehnt­größ­te Braue­rei in den USA war. Das Sier­ra Neva­da Pale Ale ist eines der welt­weit bekann­tes­ten Craftbeers.

Vie­le die­ser Craft Beer Sti­le, die seit eini­ger Zeit aus den USA zu uns kom­men, gab es schon zu Sedl­mayrs Zeit. Sedl­mayrs Freund Micha­el Bass hat­te mit der Bass Bre­wery in Burton-​on-​Trend, Eng­land 1877 die größ­te Braue­rei der Welt. Bass war sozu­sa­gen ein Syn­onym für Pale Ale.

Wie man sieht, war so man­ches schon ein­mal da, oder ist es noch. Man hat der Sache nur einen ande­ren Namen gegeben.

Letz­ten Endes lässt sich die Fra­ge, ob Sedl­mayr ein Craft Beer Brau­er war, nicht ein­deu­tig beant­wor­ten. Wich­tig war es aber, zu zei­gen, was es Mit­te des 19. Jahr­hun­derts schon alles gab und wozu man in der Lage war.

Resü­mee

  • Sedl­mayr war in der Lage ein Craft Beer zu brau­en, das heu­ti­gen Ansprü­chen genü­gen würde.
  • Man führ­te Mit­te des 19. Jahr­hun­derts pro­fes­sio­nel­le Bier­ver­kos­tun­gen durch.
  • Craft Beer Defi­ni­tio­nen sind schwierig.
  • Craft Beer schmeckt gut, macht aber viel Arbeit.
  • Sedl­mayr war eher kein Craft Beer Brauer.

Lite­ra­tur­lis­te

  1. Fritz Sedl­mayr: Geschich­te der Spa­ten­braue­rei und Brau­ge­schicht­li­che Bei­trä­ge, 1807–1874, Band 2 von 2, Hans Carl Ver­lag Nürn­berg 1951
  2. https://www.hopfenhelden.de/
  3. https://www.brauer-bund.de/bier-ist-genuss/bierverkostung-zu-hause.html
  4. Chris­ti­an Schä­der: Münch­ner Brau­in­dus­trie 1871–1945, Tec­tum Ver­lag, Mar­burg 1999, ISBN 3−8288−8009−6

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