Rekonstruktion eines Brauverfahrens
Im Gegensatz zum heutigen Steinbier, bei dem fertige Bierwürze mit glühenden Steinen „gestachelt“ wird, wurde beim historischen Kärntner Steinbier auch die Maische nur mithilfe heißer Steine erhitzt, dafür wurde auf eine anschließende Würzekochung verzichtet. Ein Experiment zur Rekonstruktion dieser Brautechnik zeigt, dass dies ohne Anbrennen der Maische möglich ist, und offenbart Überraschendes bis hin zum Endvergärungsgrad.
Steinbier gestern und heute
Bevor man keramische oder gar metallene Behälter herstellen konnte, waren Kochsteine bei allen Kulturen die einzige Möglichkeit, Flüssigkeiten zum Sieden zu bringen: Man wirft im Feuer erhitzte Steine in die Flüssigkeit, die sich in einer Erdgrube oder in einem Holztrog befinden kann. Daher ist anzunehmen, dass diese Technik bereits in den Anfängen der Bierbereitung eine Rolle gespielt hat, wie etwa Meußendoerffer und Zarnkow in [1] auf s. 33 für den kühlen keltischen Norden annehmen.
Demgegenüber bieten auch heute wieder einige Brauereien sogenanntes „Steinbier“ an, bei dem glühende Steine in der Bierwürze versenkt werden. Bekanntestes Beispiel dürfte wohl die Brauerei Leikeim in Altenkunstadt sein. Wohl ähnlich wie beim sogenannten „Stacheln“ von Bier mit glühenden Metallspießen karamellisiere dabei ein Teil des Malzzuckers an den Steinen und verleihe dem Bier eine besondere karamellige und „feinrauchige“ Note. Die mit „hochmolekularem Malzzucker angereicherten“ Steine würden anschließend in den Gärbottich gegeben, was zu einer „explosionsartigen Nachgärung“ [2] führe. Einmal abgesehen davon, dass es noch einer Erklärung bedürfte, warum eigentlich unvergärbarer Karamellzucker heftiger vergären soll als die ursprüngliche Maltose, hat dieses Verfahren mit dem ursprünglichen Gedanken, ganz ohne Metallpfannen brauen zu können, nur noch recht wenig zu tun.
Back to the roots – ein Museumsbesuch hinterlässt Fragen
Ganz im Gegensatz zu dieser modernen Interpretation eines Steinbiers gibt es im Fundus des Deutschen Museums in München ein liebevoll gestaltetes Diorama einer Kärntner Steinbierbrauerei, das bislang in der noch bis 2019 wegen Modernisierung geschlossenen Abteilung „Agrar- und Lebensmitteltechnik“ ausgestellt war.
Der Schautext an der Vitrine [3] verlautete ausschnittweise:
„In den Steinbierbrauereien Kärntens wurde bis in die 20er Jahre unseres Jahrhunderts [gemeint ist das 20. Jhdt., Anm.] ein seit Jahrhunderten in fast unveränderter Form vererbtes Brauverfahren ausgeübt. (…)
Die Einrichtung einer Steinbierbrauerei ist, wenn man von den ägyptischen ‚Kaltbierbrauereien‘ absieht, die denkbar primitivste. Sie stammt sicher aus einer Zeit, in welcher man es noch nicht verstand, große Gefäße aus Metall herzustellen. (…)
In einer gemauerten Grube, Grummettl genannt, werden nicht berstende, kopfgroße Grauwackensteine in einem brennenden Holzscheiterhaufen zum Glühen gebracht. An der Vorderseite des Grummettls werden mehrere faustgroße Steine eingelegt, die ebenfalls rotglühend werden. Der Maischbottich, dessen Größe sich nach der Menge des zu erzeugenden Bieres richtet, faßt annähernd halb so viel Hektoliter als die zu erzeugende Biermenge. Er besitzt in der Mitte ein etwa 5 bis 6 cm weites Loch, das durch den Steckzapfen, der über den Bottichrand hinausragt, verschlossen wird. Der Maischbottich steht über einer tiefen Rinne, dem sogenannten Granter, in der Nähe des Grummettls.
Das Einmaischquantum setzt sich wie folgt zusammen: 60 % Gerstenmalz, 25 % Weizenmalz, 15 % Hafermalz. Auf den Boden des Maisch- und Läuterbottichs werden zunächst Wacholderäste (Kranewitten) gelegt, dann läßt man etwas Wasser zufließen. Mit der kleinen ‚Steinzangen‘ gibt man die kleinen glühenden Steine hinein und darauf den Hopfen, der so eine Art Röstung erfährt. Jetzt wird zuerst das Hafer- und dann das Gerstenschrot mit warmem und kaltem Wasser eingemaischt. In der nassen ‚Wiege‘ werden die großen glühenden Steine herbeigeschafft und mit der großen ‚Steinzangen‘ in die Maische versenkt. Die Maische wird gleichzeitig mit dem Maischscheit in Bewegung gehalten. Das Ganze kommt langsam zum Sieden. Kurz vor dem Abläutern wird die am Abend vorher in einem kleinen Bottich angesetzte Weizenmaische beigemengt.
Nach etwa einer Stunde wird der Steckzapfen vorsichtig gezogen und die Würze läuft in den ‚Läutergrant‘ ab. Das Wacholderreisig und die Treber wirken als Filter. Solange die Würze trüb läuft, wird sie in den Bottich zurückgeschöpft. Nachdem die Würze klar abläuft, wird sie aus dem ‚Granter‘ in den Gärbottich geschöpft. Die Treber werden solange mit heißem Wasser ‚übergeschwänzt‘, bis der Gärbottich genügend voll ist.
Die Gärung wird mittels ‚Faßgeläger‘ eingeleitet und dauert etwa zehn Stunden. Die Anstelltemperatur liegt zwischen 15 und 20 °C. Das obergärige Grün-Bier kommt sofort in kleine Schankfässer und wird kurz nach seiner Herstellung getrunken.“
Dieses Vorgehen unterscheidet sich nicht nur in der anderen Art des Erhitzens, sondern in einer ganzen Reihe weiterer Punkte derart radikal von heute geläufigen Brautechniken, dass sich spontan eine Vielzahl von Fragen stellte:
- Viele Hobbybrauer haben unliebsame Erfahrungen mit bei mangelndem Rühren am Topfboden angebrannter Maische und dadurch verdorbenem Sud gemacht, weil sich der brenzlige Geschmack kaum kaschieren lässt. Vogel rät in [4] auf s. 62 aus dem gleichen Grund dringend von der Verwendung von Tauchsiedern in der Maische ab. Müssten sich dann aber hineingeworfene, glühend heiße Steine nicht sofort in schwarz verbrannte, brenzlig stinkende Maischeklumpen verwandeln?
- Höchst ungewöhnlich erscheint auch das „Rösten“ des Hopfens auf den Steinen zu Beginn des Maischvorgangs.
- Soll tatsächlich die Maische bis zum Sieden erhitzt werden, oder reicht nicht etwa bis zur Verzuckerungstemperatur?
- Die Maischehopfung und der Verzicht auf eine Würzekochung entsprechen auch ganz dem ursprünglichen Verfahren der Berliner Weiße, wie es etwa im Narziß [5] unter 8.4.5 geschildert ist. Das separate Digerieren und erst sehr späte Beimischen der Weizenmaische erscheint aber eigenartig.
Weitere Quellen – der Nebel lichtet sich etwas
In der Zeitschrift „Gambrinus“ [6] findet sich 1906 ein Artikel „Steinbier“, dem der oben wiedergegebene Museumstext nahezu wortgleich entspricht. Dort ist auch aufgrund des Darrens des Malzes über offenem Kirschholzfeuer von einem Rauchgeschmack des Steinbiers, ähnlich dem Grätzer Bier, die Rede.
In Dürnwirths ausführlicher Abhandlung „Vom Steinbier“ [7] von 1905, die auch online über Wikisource verfügbar ist, werden weitere, ältere Primärquellen zitiert. Etwa schrieb demnach Sartori 1811:
„So ist die Bereitung des Steinbieres sehr unreinlich. In einen mit Wasser gefüllten Zuber, dessen unterer Teil mit Hafer oder Gerste beschüttet ist, werden so lange glühheiße Steine geworfen, bis es kocht. Nach der Abkühlung in der Rinne, in die man das Bier hatte laufen lassen, wird es in die Fässer geschöpfet, wo es nicht gären und die unreinen Teile auswerfen kann, indem entweder kein oder doch nur sehr wenig Hopfen dazu genommen wird.“
Also auch hier ein direktes Erhitzen der Maische mittels Steinen bis zum Kochen und das Fehlen einer separaten Würzekochung. Ferner fällt der Hinweis auf eine sehr geringe oder sogar fehlende Hopfung auf, auch wenn sich der Zusammenhang zwischen Hopfengabe und Gärverlauf nicht ganz erschließt. Womöglich spielt er auf die ansonsten mit den Kräusen aufgetriebenen Hopfenharze an.
Besonders interessant ist im selben Dokument ein von Hierzegger 1803 ausführlich geschildertes hybrides Verfahren, bei dem ganz wie im Museumstext zu Beginn der Hopfen „besonders abgebrennt und verhüllt“ wird und der Maisch-/Läuterbottich ebenfalls mit Wacholderreisig ausgelegt wird, aber auch bereits ein kleiner Metallkessel zum „Auflösen“ des Malzes und Erzeugen weiteren Heißwassers zum Einsatz kommt. Alles kommt dann zusammen mit den heißen Steinen in den Läuterbottich und wird wiederum direkt nach dem Läutern und Abkühlen vergoren.
Dürnwirth weist übrigens darauf hin, das Steinbier sei ursprünglich ein reines Haferbier gewesen. „Es moussiert stark, klärt sich aber nie vollständig ab. Deshalb wird es eben aus Tonkrügen getrunken.“ Erst später sei das Hafer- durch Gerstenmalz und erst in jüngerer Zeit durch ein Gemisch aus Gersten- und Weizenmalz ersetzt worden.
Über die Farbe des Kärntner Steinbiers ließ sich in all diesen Quellen leider kein Hinweis finden.
Der Museumstext, kritisch seziert – plötzlich ergibt alles einen Sinn
So bizarr das Verfahren auf den ersten Blick auch scheinen mag, so durchdacht ist es, wenn man es zu Ende denkt. Angesichts der Tatsache, dass damals weder über Isomerisation von Alpha-Säuren noch über enzymatische Vorgänge etwas bekannt war, erscheint ein derart visionär zielführendes Vorgehen unserer Altvorderen fast schon unheimlich:
- Wachholderreisig: Es ist offensichtlich, dass die Wachholderäste, mit denen der Bottich ausgelegt und insbesondere der Steckzapfen umwunden wurde, als urtümliche Form eines Läuterbodens zu verstehen sind. Inwiefern der Wacholder auch einen geschmacklichen Beitrag zum Bier lieferte und ob dieser erwünscht oder gar stiltypisch war, muss vorerst offen bleiben.
- Hopfen rösten: Der Begriff des „Hopfenröstens“ findet sich laut Pattinson in [8] auf s. 123 in der Primärquelle „Handbuch der Chemischen Technologie“ von 1865 für die beim Fränkischen Dekoktionsverfahren gepflegte Technik, den Hopfen mit dem ersten Teil der Vorderwürze für 30 Minuten einzukochen, bevor die restliche Würze daraufgeläutert wird. Im „Conspectus Chemiae Theoretico-Practicae“ [9] wird auf s. 713 dasselbe Verfahren bereits 1753 beschrieben. Also war damit wohl weniger ein trockenes Rösten gemeint, sondern ein Einkochen mit wenig Wasser oder Würze, fast schon das Erzeugen eines isomerisierten Hopfenextrakts! Denn wenn beim Steinbier die Würze überhaupt nicht gekocht wird, wann sollten sonst die Bitterstoffe isomerisieren?
- Kalte Weizenmaische: Alle genannten Quellen sind sich einig, dass die Steinmaische tatsächlich zum Sieden gebracht wurde. Das mag bei der zweifelhaften Qualität des selbsterzeugten Malzes einen thermischen Aufschluss gefördert haben, würde aber auch unvermeidlich zum Blausud geführt haben, wenn nicht mit einem Enzymauszug nachverzuckert wird. Nichts anderes dürfte die kalte Weizenmaische gewesen sein, und nicht von ungefähr gilt Weizenmalz als besonders enzymstark! Wenn dies stimmt, dann ähnelt das frappant dem bei Narziß [5] unter 2.3.3.3 beschriebenen Kesselmaischverfahren, bei dem eine Kochmaische durch einen zuvor gezogenen Enzymauszug, den „kalten Satz“, rückgekühlt und verzuckert wird. Vor allem aber erlaubt diese Technik ein reproduzierbares Verzuckern auch ganz ohne Thermometer!
Nur zwei Fragen bleiben noch offen: ob ein Maischen mit glühend heißen Steinen ohne Anbrennen überhaupt möglich ist; und ob nicht das Vergären einer ungekochten Würze fast schon eine „Infektion mit Ansage“ ist. Hier kann nur das Experiment weiterhelfen, sodass ein Versuchssud von knapp 20 Litern Volumen durchgeführt wurde.
Experimentelles Setup – Geräte und Rohstoffe
- Steine: Der Vitrinentext nennt ausdrücklich Grauwacke, die aber vom Verfasser nicht kurzfristig beschafft werden konnte. Wichtig bei der Wahl der Steine ist, dass diese sich beim Erhitzen weder zersetzen (wie etwa Kalkstein) noch zerspringen, was leicht zu Verletzungen führen kann. Leicht in Form von Pflastersteinen erhältlich sind jedoch Granit und Basalt. Die Wahl fiel auf Granit-Pflastersteine mit 5 bis 6 Zentimeter Kantenlänge, die pro Stück 300 bis 350 Gramm wiegen. Um die notwendige Menge von bis zu 30 Steinen zu erhitzen, wurde dreigleisig gefahren: ein Buchenscheitfeuer in einem alten Kugelgrill sowie zwei abwechselnd beheizte Holzkohle-Anzündkamine. Es wurde darauf verzichtet, die Steine bis zum Glühen zu bringen. Ein Infrarot-Pyrometer verriet, dass sich eine Temperatur von 400 bis 500 °C relativ leicht erreichen lässt. Dabei beginnt die anfänglich glänzende, fettige Rußschicht auf den Steinen matt und hellgrau zu werden. Zum Manipulieren der heißen Steine war zwar zuvor eigens eine eiserne Steinzange gebastelt worden, doch erwies sich eine ganz normale Grillzange als ebenfalls geeignet und aufgrund der einhändigen Bedienung sogar als überlegen.
- Bottich: Der Versuchssud wurde in einem 38-Liter-Thermoport mit Schlitzboden durchgeführt. Das konterkariert zwar etwas den eigentlichen Sinn des Verfahrens, ohne Metallgefäße auszukommen, reduziert aber die Auskühlung eines derart kleinen Suds. Ein Holzbottich der bei Dürnwirth [7] genannten Größe von 3 bis 4,25 hl dürfte ein ungefähr vergleichbares Abkühlverhalten gehabt haben. Bewusst verzichtet wurde beim Versuchssud auf das Wacholderreisig, um eventuelle geschmackliche Besonderheiten möglichst unverfälscht dem Maischverfahren zuordnen zu können.
- Schüttung: Das im Vitrinentext genannte Verhältnis von 60 % Gersten‑, 25 % Weizen- und 15 % Hafermalz wurde beibehalten. Als Gerstenmalz wurde Wiener Malz gewählt, eine Sorte, die einerseits einen etwas „urigen“ Charakter einbringt, andererseits aber noch hell genug ist, um eventuelle Farbveränderungen (etwa durch den Steinen anhaftenden Ruß) erkennen zu können. Obwohl die Quellen eindeutig von geräuchertem Malz sprechen, wurde ganz bewusst kein Rauchmalz verwendet: Andernfalls wäre der Geschmack des Ergebnisses womöglich vom Rauchgeschmack dominiert worden, und man hätte nicht auflösen können, welcher Anteil vom Malz und welcher womöglich vom Maischverfahren stammt. Vielmehr war das Ziel des Experiments herauszufinden, ob sich durch das Maischen mit heißen Steinen schlimmstenfalls ein brenzliger und bestenfalls ein „feinrauchiger“ (siehe [2]) Charakter erkennen lässt.
-
Hopfen: Für die Maischehopfung wurden 100 Gramm Hallertauer-Tradition-Doldenhopfen mit 4,4 % Alphasäure verwendet. Bei einem derart unorthodoxen Verfahren wie dem Hopfenrösten ist eine zuverlässige Berechnung der Bitterstoffausnutzung kaum möglich. Scheids Hopfenrechner 3.2 [10] nennt für eine Maischehopfung ohne jedes Kochen eine Bitterstoffausbeute von 5 %, was hier zu etwa 10 Bittereinheiten führen würde. Da durch das Hopfenrösten und das anschließende Kochen der Maische aber von einer gewissen Isomerisation auszugehen ist, würden andererseits bei einer reinen Bitterhopfung von 30 Minuten Kochdauer bei 18 % Ausnutzung etwa 36 Bittereinheiten herauskommen. Irgendwo zwischen diesen beiden Leitplanken von 10 und 36 IBU würde sich also die Bittere bewegen, also vage genug. Die Verkostung zeigte später, dass wohl eher der niedrigere Wert zutraf (was ja auch dem Original besser entspricht). Narziß schreibt übrigens in [5] unter 8.4.5.4 über Maischehopfung, dass „die größte Menge der Bitterstoffe in den Trebern“ verbleibe.
- Hefe: Über den ursprünglichen Hefestamm ließ sich nichts in Erfahrung bringen. Die im Vitrinentext genannte Gärdauer von 10 (sic) Stunden bei 15–20 °C Anstelltemperatur spricht für eine höchst gäraktive, eindeutig obergärige Hefe. Denkbar sind also entweder Ale- oder Weißbierhefen. Um wiederum das geschmackliche „Störfeuer“ zu begrenzen, wurde mit der Safbrew S‑33 Ale-Trockenhefe von Fermentis eine halbwegs neutrale und außerdem extrem schnell vergärende Hefe gewählt, deren bekannt niedriger Vergärungsgrad noch genug Platz für Malzcharakter lassen sollte.
Das Sudprotokoll in Rezeptform
Beim Versuchssud wurde in möglichst enger Anlehnung an das im Vitrinentext skizzierte Verfahren vorgegangen. Weil die Steine auf offenem Feuer erhitzt wurden, war es naheliegend, den gesamten Sud im Freien auf der Terrasse durchzuführen, wozu sich die sommerliche Grillsaison besonders anbietet. Insgesamt erstaunte, wie wenige Geräte verglichen mit einem normalen Sud dafür notwendig waren. Ein ganz kurzes Video, das das zischende Versenken eines der Steine in der Maische zeigt, kann unter https://www.youtube.com/watch?v=92zfd-GpyVY angesehen werden. Die Steine wurden erst noch einige Sekunden im dünnflüssigen oberen Teil der Maische gehalten und dann in den Bottich fallen gelassen. Der Geruch dabei erinnerte an das Bierstacheln.
- 6 l Wasser 20 °C und 14 Steine (je ca. 300 g, ca. 500 °C) gibt ca. 80 °C
- 100 g Doldenhopfen Hallertauer Tradition 4,4 % Alpha hinzufügen, 30 min ziehen lassen
- 7 Steine hinzufügen und Hopfen 10 min kochen
- Steine wieder herausfischen, mit 10 l Wasser 20 °C auf ca. 60 °C abkühlen
- 3,0 kg Wiener Malz und 0,75 kg Hafermalz einmaischen, bei ca. 57 °C 10 min rasten
- 7 Steine hinzufügen, bei ca. 72 °C 30 min verzuckern bis jodnormal
- 7 Steine hinzufügen und Maische ca. 20 min sprudelnd kochen
- Mit 6 l Wasser 20 °C auf ca. 65 °C abkühlen, 1,25 kg Weizenmalz hell einmaischen und bei ca. 64 °C 25 min rasten
- Abläutern nach Jodnormalität, kein Nachguss
Um eine vollständige Verzuckerung der Kochmaische zu erreichen, wurde nicht wie im Vitrinentext eine kalte Weizenmaische zugemischt, sondern der Einfachheit halber erst mit kaltem Wasser abgekühlt und dann das Weizenmalz dazugemaischt. Dieses Vorgehen entspricht dem von Scheid [11] unter Hobbybrauern populär gemachten Kochmaischverfahren, einer vereinfachten Variante des bereits erwähnten Kesselmaischverfahrens.
Ohne nachfolgende Würzekochung befindet man sich ohnehin im Bermudadreieck zwischen Dimethylsulfid, Blausud und Vergärungsgrad. Für die DMS-Problematik wäre es am besten gewesen, entweder die Maische insgesamt unter 70 °C zu halten, damit sich der Vorläufer SMM gar nicht erst zu DMS umwandelt, oder aber das DMS anschließend durch gründliches Würzekochen abzudestillieren. Mit einer stark erhitzen Maische und ungekochten Würze sitzt man aber zwischen allen Stühlen. Hier blieb nur die Hoffnung, dass bereits beim Kochen der Maische genug DMS ausdampft, um das Ergebnis nicht ungenießbar zu machen. Immerhin schreibt Narziß [5] unter 3.2.6.7, dass Dekoktionsbiere einen geringeren DMS-Gehalt hätten. Auch die Wahl der Temperatur für die letzte Rast ist nicht einfach: Bei einer zu hohen Temperatur (über 78 °C) würden zwar die Enzyme inaktiviert, aber sowohl verstärkt DMS neu gebildet als auch unverzuckerte Stärke freigesetzt. Im Versuch wurde einer vollständigen Verzuckerung der Vorzug gegeben.
Es wurden gut 15 Liter Würze mit einer Stammwürze von 12 °P gewonnen. Auf eine weitere Optimierung dieser etwas kläglichen Ausbeute durch (eventuell kalte) Nachgüsse wurde verzichtet, auch wenn dies die Stammwürze näher an die bei Dürnwirth [7] genannten 7 bis 9 °P des Originals gebracht hätte. So aber sollte eine geschmackliche Vergleichbarkeit zu unseren heute gewohnten Vollbieren ermöglicht werden.
Die Würze war sehr trüb, wahrscheinlich weil das Eiweiß des Weizenanteils keine Gelegenheit zur Koagulation erhalten hatte. Aber sie war trotz der zum Teil rußigen Steine sehr hell und hatte überhaupt keinen brenzligen oder angebrannten Geruch oder Geschmack. Eine ganz normale, süße, leicht karamellige (obwohl keine Karamellmalze verwendet wurden) und kaum bittere Bierwürze!
Anschließend wurde die Würze geteilt und eine Hälfte direkt nach dem Abkühlen „roh“ vergoren, die andere Hälfte wurde ca. 30 Minuten ohne weitere Hopfengabe abgekocht, um sie zu Vergleichszwecken zu pasteurisieren und die Enzyme zu inaktivieren. Das hätte man zwar auch ganz stilecht mithilfe weiterer Steine tun können. Da es hier aber nur dem Vergleich diente, geschah es der Einfachheit halber auf dem Herd.
Erste Erkenntnisse und Aha-Effekte
- Das Erhitzen der Granit-Pflastersteine ging vollkommen problemlos. Weder beim Aufheizen noch beim Abschrecken in der Maische ist auch nur ein einziger Stein zersprungen.
- Die größte Befürchtung, die Maische werde daran sofort anbrennen, war vollkommen unbegründet. Die anschließend aus den Trebern geborgenen Steine hatten keinerlei verbrannte Verkrustungen. Sie waren nur gedunkelt, Malzreste hafteten nur ganz leicht daran. Beim versuchsweisen Lecken an einem der Steine schmeckte dies süß-karamellig. Es wurde aber darauf verzichtet, die Steine wie beim eingangs genannten modernen Verfahren mit in die Gärung zu geben.
- 20 Liter Maische von Umgebungstemperatur bis zum gesamthaften Sieden zu erhitzen war überhaupt kein Problem. Und sobald sie sich dem Siedepunkt genähert hatte, kochte sie mit jedem neuen Stein minutenlang sprudelnd!
Gärverlauf – die Macht der Enzyme
Da eine ungekochte Würze nicht steril ist, wurde mit ausreichend Hefe angestellt (je ein halbes 11-Gramm-Päckchen S‑33 auf 7,5 Liter), um durch ein schnelles Angären möglichst bald lebensfeindliche Bedingungen für Fremdorganismen zu schaffen, die womöglich auf dem Weizenmalz überlebt haben könnten.
Zwar wurde aufgrund der noch aktiven Enzyme der rohen Würze ein niedriger Vergärungsgrad erwartet, aber dass sich die Gärverläufe der beiden Teilsude derart dramatisch unterscheiden würden, obwohl sie unter identischen Bedingungen, in gleichen Eimern und mit jeweils einer Hälfte desselben Hefepäckchens vergoren wurden, das überraschte dann doch:
- Die gekochte Würze fiel innerhalb von 48 Stunden auf einen scheinbaren Restextrakt von 4,6 °P, was einem scheinbaren Vergärungsgrad von 62 % entspricht, ein für die S‑33 nicht ganz unüblicher Wert.
- Die Rohwürze hingegen gärte viel schneller an (schon nach 36 Stunden war sie unter 2 °P Restextrakt) und gelangte innerhalb von 48 Stunden auf sagenhafte 92 % scheinbaren Vergärungsgrad, wie sie sonst nur von Übervergärern wie Saccharomyces diastaticus, dort aber nach viel längerer Zeit, erreicht werden!
Der hohe Vergärungsgrad bei Anwesenheit aktiver Amylasen erinnert einerseits an das bei Narziß [5] unter 7.10.1 geschilderte Verfahren für hochvergorene Diätbiere, bei denen ein Enzymauszug zur Gärung gegeben wird, andererseits an manche Saisonbiere, die mit Diastaticus vergoren wurden, einer Hefesorte, die selber Amylasen freisetzen kann.
Die extrem rasche und vollständige Vergärung berechtigte hier jedenfalls zur Hoffnung, dass die Hefe den Extrakt so schnell „durchgerissen“ hat, dass aufgrund der mangelnden Sterilisation der Würze womöglich anwesende Bierschädlinge kaum eine Chance gehabt haben, negativ in Erscheinung zu treten.
Verkostung – Steinbier grün getrunken
Nachdem bereits eingangs zitiert worden war, das Steinbier sei noch „grün“ in Schankfässer gekommen und „kurz nach seiner Herstellung“ getrunken worden, wurde auch hier von allen guten Gewohnheiten abgewichen und das Bier bereits nach 4 Tagen geschlaucht und nach 4 weiteren Tagen Flaschengärung erstmals verkostet:
Die gekochte Variante:
- Eine Woche nach dem Sieden: Das Aussehen ist trüb, wie ein helles Weißbier. Im Geruch dominieren deutlich Birne und ein wenig Banane. Beim ersten Schluck dann die faustdicke Überraschung: Na, wenn das kein bayerisches Weißbier ist! Und gar nicht einmal ein schlechtes, absolut stiltypisch getroffen. Der Antrunk ist malzig und voll, mit leichter Karamellnote. Ein wenig phenolisch. Auf jeden Fall schmeckt es nicht angebrannt, und rauchig auch nicht. Natürlich hat es nach so kurzer Zeit eine Hefenote. Leichte, weißbiertypische Säure, aber keine Infektion. Vom Hopfen ist kaum etwas zu bemerken. In einer Gaststätte wäre das bestimmt als ganz normales Weißbier durchgegangen!
- Drei Wochen später hat sich der hefige und junge estrige Charakter größtenteils abgebaut. Übrig geblieben ist ein fast schon langweilig normales helles Ale, das noch mehr Hopfen vertragen hätte. Aber von Brenzligkeit findet sich jedenfalls keine Spur!
Die ungekochte, rohe Variante:
- Eine Woche nach dem Sieden: einen Hauch heller als die gekochte Variante, die offenbar beim Kochen nachgedunkelt ist. Im Geruch kommt vor allem eines durch: Orange! Ein wenig sprittig und an Weißwein erinnernd. Im Trunk dann eine knochentrockene, extrem schlanke Angelegenheit. Leicht gemüsige Noten vom DMS sind leider auszumachen, aber man kann es trinken. Vom Stil her irgendwo zwischen Wit und Saison stehend. Im Nachtrunk bleibt vor allem ein deutlicher Getreidegeschmack, wie ein frisch abgemähtes Weizenfeld; vielleicht gäbe das ein schönes Erntebier?
- Drei Wochen später: Die Karbonisierung hat weiter zugenommen, sauer ist es aber immer noch nicht. Dafür macht sich zunehmend ein leicht scharfer, phenolischer Charakter breit, der zusammen mit der leichten Gemüsenote nicht vollends befriedigt. Ganz frisch gefiel es jedenfalls noch besser.
Fazit, Ausblick und Weiterentwicklungsmöglichkeiten
Die wichtigste Erkenntnis vorweg: Auch komplett ohne beheizbare Gefäße ist es fast schon überraschend problemlos möglich, ein „ganz normales“, auch für heutige Gaumen tadellos trinkbares Bier zu brauen. Wie überhaupt einige sicher geglaubte Grundsätze über Bord geworfen werden mussten. Sogar die ursprünglich ungekochte Berliner Weiße erscheint nun in einem neuen Licht. Und in einer Woche trinkfertig hat der Verfasser auch noch nie ein Bier gehabt!
Selbst über den Geschmack des damaligen Kärntner Steinbiers lässt sich nun besser spekulieren. Der Verfasser ist sich anhand des Ergebnisses nun sicher, dass es große Ähnlichkeit zum bayerischen Weißbier besessen haben dürfte, was sich mit dem eingangs bereits genannten Dürnwirth-Zitat „Es moussiert stark, klärt sich aber nie vollständig ab“ deckt. Aufgrund des Malzdarrens über offenem Feuer also wohl am ehesten wie ein Rauchweizen.
Das Kärntner Steinbier ist somit in den Kreis der vielen obergärigen, teilweise rauchigen, teilweise gar nicht oder nur schwach gehopften und teilweise sauer vergorenen „Urbiere“ einzuordnen, wie sie durch den Siegeszug des gehopften Gerstenbiers und schließlich der untergärigen Brauweise reihenweise ausgestorben sind und von denen das bayerische Weißbier nach dessen Renaissance einer der letzten Überlebenden ist. Siehe dazu auch das Dürnwirth-Zitat:
„Um die Mitte des 18. Jahrhunderts hatte die öst. Regierung allerdings die Absicht, den Verbrauch des Steinbieres zu gunsten des Pfannenbieres einzuschränken, ja sogar die Erzeugung desselben gänzlich einzustellen.“
Das geschilderte Experiment hatte eigentlich nur den Zweck, die grundsätzliche Machbarkeit zu zeigen und damit die Quellen zu bestätigen sowie eventuelle geschmackliche Einflüsse des Maischverfahrens zu identifizieren. Wie könnte daraus nun eine stimmige Weiterentwicklung hin zu einem charaktervollen „Kärntner Ur-Stein(maisch)bier“ im Gegensatz zu den eingangs genannten, konventionell gemaischten heutigen Pseudo-Steinbieren aussehen?
Zunächst einmal mit einem Anteil Rauchmalz, was zum einen auch dem Original entspräche, zum anderen die Assoziationen in Richtung „Feuer & Rauch“ unterstützen würde.
Vielleicht ließe sich die ungekochte Rohwürze-Variante in Richtung Saison weiterentwickeln, doch plädiert der Verfasser nach der Verkostung beider Varianten klar für die gekochte Version! Und die ließe sich problemlos publikumstauglich in Richtung Weißbier entwickeln, warum also nicht sogar mit einer bayerischen Weißbierhefe vergoren? Um dennoch stilecht auf beheizbare Gefäße zu verzichten, könnten unmittelbar nach dem Abläutern weitere Steine in den Gärbottich gegeben werden. Damit würde die noch läuterheiße Würze wieder aufgekocht, um sie zu sterilisieren und auch genügend Dimethylsulfid auszutreiben.
Nach dem Abkühlen im Gärbottich würde mit Hefe angestellt, wobei sowohl der Heißtrub als auch die zuletzt gegebenen Kochsteine im Gärbottich verbleiben würden. Dieser Trub muss nicht einmal problematisch sein, zumal Kühbeck in [12] keine Verschlechterung der Bierqualität und sogar eine schnellere Gärung durch eine nicht vollständige Heißtrubabscheidung feststellt. Und durch die in der Gärung verbleibenden „kandierten“ Steine würde gewissermaßen die Brücke zu den modernen Pseudo-Steinbieren geschlagen.
Denn erst wenn auch mit Steinen gemaischt und konsequent auf beheizte Pfannen verzichtet wird, wird nach Meinung des Verfassers der ursprüngliche Zweck und Geist dieses archaischen Brauverfahrens so richtig greifbar!
Quellen und Weblinks
- [1]
- Franz Meußendoerffer, Martin Zarnkow: Das Bier. Ein Geschichte von Hopfen und Malz. C. H. Beck, München 2014
- [2]
- Braukultur Franken: Steinbier. http://www.braukultur-franken.de/Steinbier/Steinbier.htm
- [3]
- Vitrinentext des Deutschen Museums München, Abteilung Agrar- und Lebensmitteltechnik
(derzeit nicht zugänglich) - [4]
- Wolfgang Vogel: Bier aus eigenem Keller. Ulmer, Stuttgart 1996
- [5]
- Ludwig Narziß: Abriss der Bierbrauerei. Wiley, Weinheim 2005
- [6]
- Gambrinus Nr. 13, 1906
- [7]
- Raimund Dürnwirth: Vom Steinbier. In: Carinthia I., 95. Joh. Leon, Klagenfurth 1905.
https://de.wikisource.org/wiki/Vom_Steinbier - [8]
- Ronald Pattinson: Decoction! Kilderkin, Amsterdam 2011
- [9]
- Conspectus Chemiae Theoretico-Practicae. Waysenhaus 1753.
https://books.google.de/books?id=HwRAAAAAcAAJ - [10]
- Earl Scheid: Hopfenrechner für Hobbybrauer.
http://www.hb-tauschboerse.bplaced.net/Downloads.htm - [11]
- Earl Scheid: Earlsches Kochmaischverfahren.
http://www.hb-tauschboerse.bplaced.net/Downloads.htm - [12]
- Florian Kühbeck: Analytische Erfassung sowie technologische und technische Beeinflussung der Läutertrübung und des Heißtrubgehalts der Würze und deren Auswirkungen auf Gärung und Bierqualität. Dissertation TU München, Weihenstephan 2007. https://mediatum.ub.tum.de/download/619244/619244.pdf
Hallo,
zunächst einmal vielen Dank für den aufschlussreichen Artikel.
Ich frage mich, ob die Steine damals nur ein mal verwendet wurden oder ob und wie diese wiederverwendet werden konnten.
Denn wenn die Steine noch deutlich mit Zucker beschichtet sind, müsste dieser doch bei einem erneuten Erhitzen im Feuer verbrennen und vielleicht bitter werden.
Vielleicht könntest du das noch in einem Zweitversuch testen? Vielleicht diente die Zugabe der Steine zur Gärung ursprünglich ja genau diesem Zweck?
Wenn die Steine erneut zum Glühen gebracht werden ist aller noch anhaftender Zucker verbrannt. Der Einfluß dieser Steine auf den Geschmack dürfte nicht anders sein als bei unbenutzten Steinen.
Gut recherchiert! Sehr schöner Artikel! Wir sind beim Wismarer Hobbybrauer-Treffen überein gekommen, dass wir das unbedingt mal ausprobieren werden.
Gruß
Heiner