Spie­gel­au Craft-Beer-Tasting-Gläser

Erwar­tet hat­te ich eigent­lich etwas wie einen Lama­de­cken­ver­kauf auf der Kaf­fee­fahrt. Da woll­te uns doch wirk­lich jemand von einer baye­ri­schen Glas­fa­brik weis­ma­chen, dass ein und das­sel­be Bier aus ver­schie­de­nen Glä­sern unter­schied­lich schmeckt. Dar­an muss man glau­ben, so dach­te ich, wie an die Wir­kung homöo­pa­thi­scher Glas­kü­gel­chen, an denen nach zig­tau­send­fa­cher Ver­dün­nung nur noch die Erin­ne­rung an den Wirk­stoff haf­tet. Aber ich bin ein neu­gie­ri­ger Mensch und woll­te das gern selbst erleben.

2016-10-13-15-34-40_800Aus Anlass des Ber­li­ner Bar Con­vents waren Anfang Okto­ber Mar­kus Rau­pach und eini­ge Reprä­sen­tan­ten der Kris­tall­glas­fa­brik Spie­gel­au in der Stadt und nutz­ten die Gele­gen­heit, ihre Craft-​Bier-​Gläser in eini­gen loka­len Bars und Braue­rei­en vor­zu­stel­len. Ich hat­te die Chan­ce, bei Hops & Bar­ley dabei zu sein. Die etwa 20 Teil­neh­mer (inklu­si­ve Gast­ge­ber Phil­ipp Bro­kamp) fan­den vor sich auf dem Tisch die drei Spiegelau-​Verkostungsgläser und einen Platz für ein soge­nann­tes Joker­glas, der zum Ver­gleich mit einem Standard-​Bierglas der jewei­li­gen loka­len Bar bestückt wurde.

Spiegelau-​Geschäftsführer Richard Voit erklär­te dann, wie es zur Bier­glas­ent­wick­lung bei der doch eher für ihre Wein­glä­ser bekann­ten Kris­tall­glas­fa­ba­rik Spie­gel­au kam. Nach einem ers­ten, recht erfolg­lo­sen Ver­such, die bekann­ten und bewähr­ten Bier­glas­for­men durch hoch­wer­ti­ge Mate­ria­li­en und Ver­ar­bei­tung zu ver­bes­sern, taten sich die Ent­wick­ler mit eini­gen Grö­ßen ame­ri­ka­ni­scher Craft-​Brauereien zusam­men: Sam Cal­agio­ne von Dog­fi­sh Head und Ken Gross­mann von Sier­ra Neva­da für das IPA-​Glas, John Mal­let und Lau­ra Bell von Bell’s Bre­wery für das Wei­zen­glas sowie Ver­tre­ter von Left Hand und Rogue für das Stout-Glas.

Die Desi­gner der Glas­fa­brik ent­war­fen diver­se Glas­for­men, die in Ver­kos­tun­gen gegen­ein­an­der antre­ten muss­ten. Die bes­ten Ent­wür­fe wur­den wei­ter­ent­wi­ckelt, bis schließ­lich der jetzt vor­lie­gen­de Glas-​Satz ent­stand. In den USA sind die Glä­ser bei eini­gen Braue­rei­en und Bars im Ein­satz, und auch in Deutsch­land fin­det man sie zuneh­mend in Craft-​Bier-​Bars (wie Stra­ßen­bräu in Ber­lin) und auf Festivals.

Weizen im Willibecher und Speieglau-Glas

Weizen im Willibecher und im Spiegelau-Glas

Die Ver­kos­tung star­te­te mit dem Wei­zen­glas. Die Bar­mann­schaft schenk­te Dirks Sie­ger­wei­zen des Ber­li­ner Hob­by­brau­er­wett­be­werbs, das inzwi­schen in gro­ßem Stil (10 hl) in Phil­ipps Mar­zah­n­er Braue­rei nach­ge­braut wur­de, in das Spiegelau- und das Joker­glas ein. Das Joker­glas war ein gepress­ter 0,3‑l-Willibecher (Bild 1 im Vor­der­grund), wie er in der Bar in täg­li­chem Gebrauch ist. Wir hat­ten also in bei­den Glä­sern das glei­che Bier vom glei­chen Hahn bei glei­cher Temperatur.

Dass der Geruch, ein herr­li­ches Bana­nen­aro­ma, aus dem Spiegelau-​Glas stär­ker wahr­nehm­bar ist, war zu erwar­ten. Das Volu­men über dem Bier ist in dem bau­chi­gen Glas ein­fach grö­ßer, und das nach oben ver­schlank­te Glas hält den an der gro­ßen Ober­flä­che ent­ste­hen­den Duft bes­ser im Glas. Am Wil­li­be­cher war fast kein Geruch erkenn­bar. Frap­pie­rend war dann aber der Antrunk: Im Wil­li­be­cher ent­ste­hen rela­tiv gro­ße CO2-​Bläschen, die beim Auf­tref­fen auf der Zun­ge einen schar­fen Ein­druck hin­ter­las­sen und das eigent­li­che Bier­aro­ma über­de­cken. Aus dem Spiegelau-​Glas dage­gen fließt das Bier viel wei­cher in den Mund und lässt den Aro­men des Bie­res mehr Spiel­raum. Das Mund­ge­fühl ist sämi­ger, fast dick­flüs­sig, und passt per­fekt zu dem fri­schen, süß­li­chen, bana­ni­gen Bier.

Richard Veit beim Vortrag

Richard Voit (mittig stehend) beim Vortrag

Das mag magisch erschei­nen, hat aber doch recht ein­fa­che phy­si­ka­li­sche Hin­ter­grün­de. Zunächst sor­gen das hauch­dün­ne Glas und der rela­tiv gro­ße Durch­mes­ser der Öff­nung dafür, dass man das Glas etwas anders am Mund ansetzt und das Bier somit anders auf der Zun­ge auf­trifft als beim dick­wan­di­gen Becher mit der klei­nen Öff­nung. Außer­dem ist das Spiegelau-​Glas viel glat­ter, nicht nur durch die bes­se­re Ver­ar­bei­tung, die man beim Ent­lang­strei­fen des Fin­gers am Glas an den feh­len­den Uneben­hei­ten spürt, die beim Wil­li­be­cher sehr deut­lich mer­bar sind. Auch die mikro­sko­pi­sche Ober­flä­chen­struk­tur des Spie­gel­au­er Kris­tall­gla­ses ist wesent­lich glat­ter. Dadurch bie­tet sie dem gelös­ten Koh­len­di­oxid der Bie­res nicht so vie­le Kon­den­sa­ti­ons­kei­me, an denen es in gro­ßen Bla­sen aus­ga­sen könnte.

Auch beim IPA-​Glas, das wie­der etwas schlan­ker ist, fällt der Ver­gleich mit dem Willi-​Pressglas ein­deu­tig aus. Neben dem wei­che­ren Antrunk hat man auch immer das Gefühl, das fri­sche­re Bier im Glas zu haben. Das liegt einer­seits dar­an, dass sich das Bier in dem hauch­dün­nen und leich­ten Spiegelau-​Glas nicht so schnell erwärmt. Das schwe­re Press­glas des Wil­li­be­chers hat eine wesent­lich höhe­re Wär­me­ka­pa­zi­tät und gibt die Wär­me­en­er­gie, die es bei Raum­tem­pe­ra­tur gespei­chert hat, schnell an das Bier ab, sodass es sich schon kurz nach dem Ein­schen­ken rasch erwärmt. Beim Spiegelau-​Glas sorgt die Form des Fußes mit der Ein­schnü­rung und den Ril­len in der Sei­ten­wand auch dafür, dass das Bier beim Rück­flie­ßen in das Glas leicht ver­wir­belt wird und sich so immer wie­der eine Schaum­schicht auf dem Bier bil­det, wenn die Flüs­sig­keit im Wil­li­be­cher schon mehr nach Apfel­saft aussieht.

Dubbel, IPA und Weizen im Verkostungsglas

Dubbel, IPA und Weizen im Verkostungsglas

Die Unter­schie­de zwi­schen IPA- und Stout-​Glas sind nicht so groß; ledig­lich Durch­mes­ser und Höhe unter­schei­den sich gering­fü­gig, und die Ril­len im Fuß feh­len beim Stout-​Glas. Phil­ipps Bel­gi­sches Dub­bel macht dar­in eine beson­ders gute Figur, wenn sich in dem kla­ren, rötlich-​kastanienbraunen Bier die Lich­ter spie­geln. Im Wil­li­be­cher ist es ein­fach nur dun­kel und zeigt sei­ne Far­be erst, wenn man das Glas direkt gegen das Licht hält.

Die Ver­kos­tungs­glä­ser funk­tio­nie­ren am bes­ten, wenn sie wie ein Wein­glas nur bis zur Stel­le des größ­ten Durch­mes­sers ein­ge­schenkt wer­den. Nur dann hat das Bier genug Raum, um sein Aro­ma zu enfal­ten. Bei den Spiegelau-​Gläsern ent­spricht das einer Füll­men­ge von etwa 0,2 bis 0,3 Liter.

Mei­ne anfäng­li­che Skep­sis ist im Lauf der Ver­kos­tung mehr und mehr der Begeis­te­rung gewi­chen. Die­se Glä­ser machen mit ihrem hoch­wer­ti­gen Ein­druck, ihrer Leich­tig­keit, der per­fek­ten Form und der abso­lut glat­ten Ober­flä­che nicht ein­fach nur Spaß, son­dern ver­mö­gen es auch, aus einem Bier auch die feins­ten Nuan­cen an Duft und Geschmack her­aus­zu­stel­len. Das macht kein schlech­tes Bier zu einem guten, denn auch Fehl­aro­men las­sen sich so leich­ter fest­stel­len, aber ein Spit­zen­bier wird noch etwas bes­ser, wenn man es aus einem per­fek­ten Glas trinkt.


Die Glä­ser sind ein­zeln, als Vie­rer­pa­ckung pro Sor­te oder als gemix­tes Drei­er­set ab etwa 5 Euro pro Glas bei ver­schie­de­nen Anbie­tern erhält­lich. Wenn man Glück hat, bekommt man sie auch mit Wer­be­auf­druck bei diver­sen Craft-Bier-Events.

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