…oder: Die Forcierung der untergärigen Brauweise
Teil I Anreise
Bayerisches Bier ist heutzutage in aller Welt bekannt und niemand käme auf die Idee, an dessen Qualität zu zweifeln. Das war nicht immer so.
Anfang des 19. Jahrhunderts beruhte der Herstellungsprozess des untergärigen Bieres in Deutschland und auch in Bayern mehr auf Erfahrung als auf Wissen. Die Ergebnisse waren nicht überall zufriedenstellend, und von gleichbleibender Qualität war man noch weit entfernt. So wird schon mal von saurem oder „Bauchgrimmenbier“ berichtet.
Englisches Bier hatte damals den besten Ruf in der Bierwelt. Man war dem Kontinent um Jahrzehnte voraus. Josef von Baader (Wegbereiter der Eisenbahn in Bayern und ein Bekannter von Gabriel Sedlmayr dem Älteren): „Man muss in England gewesen seyn, und alle Meisterwerke gesehen und studirt haben, um sich von der demüthigenden Wahrheit zu überzeugen, daß wir in diesen Fächern noch wenigstens um ein Jahrhundert hinter jenen Insulanern zurückgeblieben sind“
Was im Jahre 1833 sonst noch geschah:
Johannes Brahms wurde geboren, Charles Darwin war das dritte Jahr mit der „HMS Beagle“ unterwegs und sammelte eifrig Material für sein späteres Werk „Über die Entstehung der Arten“ und Caspar David Friedrich hatte in den 1830ern noch einmal eine Zeit zunehmender künstlerischer Produktivität, mit Bildern wie „Das Große Gehege“ oder „Die Lebensstufen“.
Der große Sedlmayr
Einer der großen Brauer des 19. Jahrhunderts, der die Qualität des untergärigen Bieres deutlich verbesserte, war der Münchener Brauer Gabriel Sedlmayr der Jüngere (1811−1891), der langjährige „Spatenbräu“.
Lieber Meister, Lehrer und Freund!
Aus den Zeitungen habe ich soeben mit großer Freude gesehen, daß sie am 26. Februar Ihren 70sten Jahrestag in voller Gesundheit und Lebenskraft gefeiert haben und dass ihre Mitbürger und Ihr König Ihnen bei dieser Gelegenheit auf einer eclatanten Weise die ehrenvollste Anerkennung Ihrer großen Verdienste als Bürger an den Tag gelegt haben.
Es ist ja einleuchtend, daß ganz Bayern es als eine Ehre betrachtet, einen Bürger wie sie zu besitzen, der in seinem Berufe als Brauer unbestritten den ersten Rang in ganz Europa behauptet. Aber nicht allein in Ihrem Vaterlande, sondern überall auf dem Kontinente und in anderen Weltteilen, wo das Brauwesen durch Aufnahme der bayerischen Methode in den letzten 4 Deccennien sich so überraschend entwickelt hat, weiß und erkennt jedermann, daß sie durch ihr praktisches Vorangehen und durch ihre freigebigen Mitteilungen Ihrer Erfahrungen der Urheber dieses großartigen Aufschwunges der Brauindustrie sind…..
J. C. Jacobsen, der Gründer der Carlsbergbrauerei in Kopenhagen an Gabriel Sedlmayr, den Jüngeren. (1881)
„…der in seinem Berufe als Brauer unbestritten den ersten Rang in ganz Europa behauptet…”: wie war es dazu gekommen, dass Jacob Christian Jacobsen, der im gleichen Jahr wie Sedlmayr (1811) geboren wurde, so über Gabriel Sedlmayr sprach? Wie wurde Gabriel Sedlmayr zu einem der wichtigsten Brauer des 19. Jahrhunderts?
Die Reise
Alles begann mit einer Reise nach England und Schottland. Als sich Gabriel Sedlmayr am 12. Juni 1833 mit einer Kutsche auf den Weg machte, kannte er unzählige Brauereien auf dem Kontinent und war trotz seiner erst 22 Jahre ein erfahrener Reisender.
Er hatte in den Jahren zuvor die Brauereien und Essigfabriken in Augsburg, Nürnberg, Würzburg, Rothenburg ob der Tauber, Passau, Hacklberg und zu Leichtle in Kempten besucht – „überall mit längerem Aufenthalte“.
Er lernte Meindl in Braunau kennen und Anton Dreher (1810−1863), seinen lebenslangen Freund, in Simmering bei Wien. Sedlmayr kannte Brauereien in Linz, Wien, Budweis und Prag und noch in zahlreichen anderen Städten. Er besuchte 1832 das Hopfenanbaugebiet in Saaz zur Zeit der Ernte. Die nächste Hopfenernte wollte er aber mit Meindl, Anton Dreher und Georg Lederer (1811−1852) in der englischen Grafschaft Kent erleben.
Gabriel Sedlmayr der Ältere kommentierte die Pläne seines Sohnes so: „Mache was du willst, wenn du glaubst, daraus geschäftlichen Nutzen ziehen zu können.“
Sedlmayr reiste über Stuttgart, Cannstatt, Heidelberg, Schwenningen, Mannheim, weiter über die Pfalz nach Mainz. Dort traf er am 21. Juni 1833 Meindl. Gemeinsam besichtigten sie unterwegs noch Betriebe in Koblenz, Neuwied und Köln. Am 29. Juni ging es über die holländische Grenze. Durch Holland, wo es für sie nicht viel zu sehen gab, reisten sie zum Teil mit dem Trekschuit, einem von Pferden gezogenem Schiff.
Sie mussten durch das Heerlager des Prinzen von Oranien, dessen Truppen noch vom Unabhängigkeitskrieg der Belgier unter Waffen standen. Die „Belgische Revolution“ von 1830 zeigte noch Auswirkungen. Nach vielen Schwierigkeiten erhielten sie die Erlaubnis zur Grenzüberschreitung und Weiterreise nach Belgien.
In Belgien, genauer in Leuven, wollte ihnen das Bier nicht so recht schmecken: Gabriel Sedlmayr der Jüngere: „allwo der pieterman, ein starkes ziemlich braunes Bier von süßsäuerlichem Geschmack und das etwas leichtere helle weiße Löwenbier gebraut wurden, jedes aber dick, wie man sich nur dickes denken kann, … der sog. Bittermann, eine Gattung Bier, die man auch nur dort machen zu können wähnt … ist das non plus ultra des schlechten Bieres“.
Brüssels Faro und Lambic Biere kamen bei ihnen auch nicht viel besser weg. Trotzdem besuchten sie noch Hopfengärten in der Nähe von Gent.
Am 24. Juli schifften sich Meindl und Sedlmayr in Ostende ein.
Fritz Sedlmayr (Autor der Geschichte der Spatenbrauerei): „bei stürmischer See – was daraus entstand ist leicht zu erraten – gings nach London“. Nachts auf der Themse erfolgte noch ein Zusammenstoß mit einem anderen Schiff. Der Dampfer konnte aber aus eigener Kraft in London einlaufen.
London hat damals gestunken und einer der Hauptstinker war die Themse. Im Jahr zuvor waren 60000 Briten an der Cholera gestorben, in Lissabon waren es über 13000 Menschen. Erst viel später sollte man der „indischen Pest“ auf die Schliche kommen. John Snow, ein Londoner Arzt, hatte herausgefunden, dass das verunreinigte Trinkwasser daran Schuld war.
Nicht auszudenken, wenn Sedlmayr über Board gegangen wäre, oder unsere Helden an der Cholera erkrankt wären. Das hätte wohl die Welt der Lagerbiere noch mal für Jahrzehnte blockiert. Sogar Auswirkungen auf das Pilsener Urquell wären dann möglich gewesen. Der Baumeister der Pilsener Urquellbrauerei hatte sich ja vor deren Bau 1839 in München schlau gemacht.
London
Am Morgen des 25. Juli 1833 trafen sie dann wie vereinbart Anton Dreher und Georg Lederer, die ebenfalls aus Belgien eingetroffen waren.
Sie kamen bei einem Deutschen für 10 Schillinge die Woche unter. Ihre Wohnung hatte drei kleine Zimmer und zwei große Betten. Fritz Sedlmayr: „Ja. Sie mußten eben sparen, denn die allgemeinen Kosten waren 2–3 mal so hoch wie zu Hause“.
Zu Hause hatte man indes mit anderen Schwierigkeiten zu kämpfen. Den ganzen Juli und August hatte es geregnet. Die Gerstenernte fiel gering und schlecht aus. Man hatte weniger und ausgewaschene Gerste, was die Bierherstellung verteuerte.
Fritz Sedlmayr: „Trotz zahlreicher Empfehlungen an hochgestellte Persönlichkeiten wollte es den Vieren vorerst nicht gelingen, in den Brauereien mehr als kurze Besuche zu erreichen“. Zuerst sahen sie sich mehrere Male die größte Brauerei Londons, Barclay, Perkins & Comp. an. „Hier standen die jungen Leute gebannt von den überwältigenden Ausmaßen der Gebäude und ihrer Einrichtungen“.
Saccharometer (Zuckermessgerät)
Dann kam ihnen der Zufall zu Hilfe. Dreher hatte in Nürnberg „2 kleine englische Bücheln über Brauerey…“ gekauft. „Der Verfasser wurde nicht genannt, nur dass er einen Saccharometer verbeßerte, der da und dort für 2 Guineen zu haben ist … und wir erfuhren bei dieser Gelegenheit die Adresse des Verfassers obengenannter Bücheln“.
Nach ein paar vergeblichen Versuchen lernten sie ihn am 10 August kennen. Bei diesem Mr. Booth, der selber 20 Jahre lang Brauer war und sich nun den wissenschaftlichen Aspekten des Brauens widmete, lernten sie den Gebrauch des Saccharometers, „der für den englischen Brauer so nothwendig ist, wie für uns das Thermometer“.
Am Ende seines Lebens erinnerte sich Gabriel Sedlmayr der Jüngere: „Es war uns wie das Licht der aufgehenden Sonne, als wir in den Gebrauch und das Wesen desselben näher eingeweiht wurden,….wobei es uns überraschte und unerklärlich vorkam, daß dort schon im vorigen Jahrhundert durch Richardson die praktische Anwendung desselben auf wissenschaftlicher Grundlage bekannt war, ohne dass in diesem langen Zeitraum ein Lichtstrahl zu uns nach Deutschland drang“.
Ende Teil I
In Teil II wird es um Industriespionage und neue Erkenntnisse gehen. Teil III wird sich dann mit den Auswirkungen auf die Bierwelt befassen.
Literaturliste
Bin gespannt auf Teil2!