Rei­se­be­richt Savoyen

Deutsch­land ist ein Bier­land. Nie­mand will das bezwei­feln. Frank­reich ist ein Wein­land. Ganz Frank­reich? Gibt es da nicht viel­leicht noch ein klei­nes gal­li­sches Dorf? Nein, beim genau­en Hin­se­hen ist ganz Frank­reich ein gal­li­sches Dorf. Was die Hoheit der Trink­kul­tur betrifft, mischt sich doch eine inter­es­san­te Braue­rei­land­schaft in die bekann­te Wein­kul­tur. Seit dem Brexit hält Frank­reich den EU-​Brauerei-​Rekord: Es ist das EU-​Land mit den meis­ten Braue­rei­en. Ihren Bei­trag zu die­ser Spit­zen­po­si­ti­on leis­ten nicht nur bekann­te Bier­re­gio­nen (Nord, Elsass), son­dern das gan­ze Land, in dem vor allem klei­ne Braue­rei­en in Gewer­be­ge­bie­ten meist nur für eine regio­na­len Markt brauen. 

Teil des Regals für regionale Biere in einem Supermarkt

Der Pro­dukt­tria­de Hell, Dun­kel, Wei­zen, die man aus dem deutsch­spra­chi­gen Raum kennt, ent­spricht in Frank­reich das Blon­de, Ambreé, Blan­che. Um die­se baut sich fast jedes Reper­toire auf. Das ist aller­dings damit übli­cher­wei­se nicht erschöpft, son­dern wird durch wei­te­re ober­gä­ri­ge auch inter­na­tio­na­le Sti­le oder inter­es­san­te Kräu­ter­bie­re mit loka­lem Bezug vari­iert. Ohne Pfand­sys­tem ver­schwin­det die auf­wän­di­ge 0,75-l-Bügelverschlußflasche aus dem Blick­feld des Ver­brau­chers am Alt­glas­con­tai­ner zusam­men mit den Wein­fla­schen und den Mar­me­la­den­glä­sern. Die Ein­weg­ver­pa­ckung ist bei 3–7 Euro für die Fla­sche Bier erkenn­bar eingepreist. 

Regel­mä­ßig bin ich in Savoy­en zu Gast. Im Depar­te­ment Savoy­en gibt es zwar nur drei Braue­rei­en, doch die Nach­barn in Hoch­sa­voy­en steu­ern wei­te­re sie­ben bei. Nicht sel­ten fin­det man die gesam­te Pro­dukt­pa­let­te aller Braue­rei­en in einem der rie­si­gen Super­märk­te an den Stadt­rän­dern. Doch bevor wir ins Regal grei­fen, noch ein Blick in die Ver­gan­gen­heit Savoyens.

Historisches Wappen von Savoyen

Der Name Say­oy­en ist kel­ti­schen Ursprungs (Sapau­dia = das Wald­land) und rührt von den den oft bewal­de­ten Alpen­flan­ken her, die die Land­schaft prä­gen. Die Bevöl­ke­rung sprach Fran­co­pro­ven­cia­lisch. Die Spra­che ist im heu­ti­gen All­tag weit­ge­hend ver­schwun­den und so wenig doku­men­tiert, dass es noch nicht ein­mal der Name des Lan­des, wie ihn sei­ne frü­he­ren Bewoh­ner benutzt haben, über­lie­fert ist. 

Der Anfang des Staa­tes Savoy­en geht zurück auf Hum­bert I. “mit den wei­ßen Hän­den”, der das Gebiet um das Jahr 1000 als Lehen erhielt. Er begrün­de­te damit nicht nur eines der erfolg­reichs­ten Adels­häu­ser Euro­pas (bis zur Abdan­kung als Köni­ge von Ita­li­en 1946), son­dern auch einen der lang­le­bigs­ten Ter­ri­to­ri­al­staa­ten, der sein Ende mit dem Anschluss des Stamm­lan­des an Frank­reich (1860) fand. Der Weg zu die­sem Erfolg führ­te über die pro­ba­ten Mit­tel ihrer Zeit: Geschick­te Bünd­nis­se, Ehen und Krieg. Im letz­te gro­ßen Coup erhielt das Haus Savoy­en das König­reich Ita­li­en. Der Deal bedeu­te­te aber auch das Ende Savoy­ens als Staats­ge­biet. Es wur­de zusam­men mit der Graf­schaft Niz­za Frank­reich über­las­sen und seit­dem als Pro­vinz wei­ter­ver­wal­tet. Emp­fän­ger der Über­las­sung war Lou­is Napo­lé­on Bona­par­te (ein Nef­fe des berühm­ten Kor­sen) Prä­si­dent der zwei­ten Repu­blik und selbst­ge­krön­ter Kai­ser. Die Savoy­ar­den wur­den Fran­zo­sen und durf­ten das in einer Volks­ab­stim­mung bestä­ti­gen. Die Mög­lich­keit zu einem Nein, war auf eini­gen Stimm­zet­teln gar nicht vor­ge­se­hen. Alter­na­ti­ven (Bei­tritt zur Schweiz oder Grün­dung einer Repu­blik) wur­den nicht zur Abstim­mung gebracht. Der Aus­gang war beschlos­se­ne Sache. Die poli­ti­sche Kar­rie­re Napo­le­ons (III.) ende­te damit, dass er sei­nen Säbel in Sedan an die Preu­ßen über­gab und nach sei­ner Abset­zung sei­nen Lebens­abend im Exil verbrachte. 

Heu­te ken­nen wir den Namen Savoy­en, wenn nicht als fran­zö­si­sche Depar­te­ments, dann im Savoy Hotel, das auf dem ehe­ma­li­gen Bot­schafts­ge­län­de Savoy­ens in Lon­don erbaut ist. Und den Löf­fel­bis­kuit “Savoy­ard” wel­cher, der Legen­de nach, im 15. Jh. dem fran­zö­si­schen König bei einem Besuch gereicht wurde.

Am Lac du Bourget

Zurück zur Jetzt­zeit. Vor mei­ner letz­ten Rei­se hat­te ich mich auf der Web­site http://www.biere-france.com/ über regio­na­les Bier und Braue­rei­en infor­miert. Eini­ge der Bie­re erken­ne ich beim Super­markt­be­such auch prompt. Stark ver­tre­ten die Bras­se­rie du Mont-​Blanc, die Bras­seurs Savoy­ards und die Bras­se­rie artis­a­na­le de Sabau­dia mit brei­tem Ange­bot und mit ent­zü­cken­den 0,75-l-Flaschen (für den gro­ßen Durst oder zum Tei­len). Die Bras­se­rie des Cimes fällt wegen ihres Designs beson­ders in Auge. Dazu kom­men die Pro­duk­te der Bras­se­rie Caquot, sowie die der Bras­se­rie Ceu­trons. Abge­run­det wird das Ange­bot in die­sem Super­markt durch etli­che New­co­mer z.B. Gali­bi­er Moun­tain Bre­wers und Nin­ka­si. Letz­te­re betrei­ben auch eine fesche Bar in einer Ein­kaufs­park an einer Auto­bahn­ab­fahrt. Die Aus­beu­te im Kof­fer­raum geht es zurück ins Quar­tier mit dem Ent­schluss eine die­ser Braue­rei­en zu besu­chen. Die ein­zi­ge in der Nähe, die tat­säch­lich Besu­cher emp­fängt, ist die Bras­se­rie des Cimes. So fällt die Wahl leicht. Noch dazu liegt sie einen nicht all­zu lan­gen Fuß­marsch vom Zen­trum Aix-​les-​Bains’ ent­fernt, so dass – ich rech­ne mit einer Pro­dukt­ver­kos­tung – ein auto­frei­er Rück­weg ein­ge­plant wird. 

Die Esplanade du Lac in Aix - beliebter Treffpunkt für Einheimische und Ziel für Touristen

Ein wich­ti­ges Stück Lan­des­kun­de ist der Fakt, dass das fran­zö­si­sche Wort bras­se­rie, zwar auch Braue­rei heißt, noch öfter aber für eine gedie­ge­ne Restau­ra­ti­on mit ein­fa­chen Spei­sen ver­wen­det wird, ohne das dort auch ein Brau­kes­sel in Betrieb sein muß. Bier soll­te jedoch auch dort immer im Aus­schank sein, was von einem restau­rant nicht unbe­dingt erwar­tet wer­den kann. Wer also nach einer Braue­rei Aus­schau hält, wird ent­we­der bei den gro­ßen Mar­ken fün­dig oder man soll­te nach einer bras­se­rie artis­a­na­le suchen. 

Trophäensammlung der Brasserie des Cimes

Die Bras­se­rie des Cimes ver­birgt sich in einem Gewer­be­bau. Der Stil ver­kör­pert nicht die zu erwar­ten­de Gemüt­lich­keit der alten und auch nicht den “indus­tri­el­len” Stil der neu­en Brau­welt. Die Wän­de des Kon­fe­renz­raum in dem die Gäs­te emp­fan­gen wer­den ist über­sät von World Beer Awards und ande­ren Urkun­den. Zur Füh­rung hat sich nur ein wei­te­res Tou­ris­ten­paar ein­ge­fun­den. Uns wird zunächst ein kur­zes Video gezeigt und über die Geschich­te der Braue­rei infor­miert, dass es eine Grün­dung von Ame­ri­ka­nern gab, die spä­ter ver­kauft wur­de. Die Ame­ri­ka­ner wur­den wegen ihres Vor­ha­bens belä­chelt. Einen Markt für eine regio­na­le Bier­her­stel­lung sah damals nie­mand. Man ver­ar­bei­tet Malz aus Bur­gund. Das Brau­was­ser stammt aus einer beson­de­ren Quel­le. Kegs und Stan­dard­fla­schen wer­den auto­ma­tisch abge­füllt, Son­der­fla­schen von Hand. Es wer­den i.d.R. zwei Sude am Tag à 10 hl gefah­ren und damit jähr­lich 1−1,5 Mio. Fla­schen abge­füllt. Flag­ship ist das Blan­che. Alle Pro­duk­te wer­den pas­teu­ri­siert. Soweit das, was ich den fran­zö­sisch­spra­chi­gen Erläu­te­run­gen ent­neh­men konn­te. Im Gedächt­nis bleibt auf jeden Fall auch der visu­el­le Auf­tritt der Pro­dukt­haupt­li­nie. Das Design spielt mit der Ästhe­tik des Hoch­ge­birgs­tou­ris­mus frü­he­rer Jah­re. Mit ähn­li­cher Ästhe­tik arbei­tet auch die letz­te Image­kam­pa­gne von Aix-​les-​Bain als Revie­ra der Alpen. Neben der Haupt­li­nie hat die Braue­rei auch eine Rei­he mit moder­nen inter­na­tio­na­len Sti­len auf­ge­legt. So darf man sich eines Rog­gen IPAs, eines Impe­ri­al Stouts, IPLs und natür­lich eines klas­si­schen IPAs erfreu­en. Wer nach dem ganz beson­de­ren sucht, wird mit dem Mousse à la Vio­let­te fün­dig, Bier (offi­zi­ell Getränk auf Basis von Bier) mit Veilchenmousse. 

Les Saisies - Austragungsort für die Skiwettbewerbe der olympischen Spiele 1992

Ähn­lich aber doch anders sind die Bras­seurs Savoy­ards auf­ge­stellt. Der Klas­si­ker­li­nie (Blon­de, Bla­che, Ambrée) wird kon­se­quent mit einem Bru­ne erwei­tert und flan­kiert von einem Myr­til­le (Hei­del­bee­re) und einem Gen­epi (Ähri­ge Edel­rau­te), bei­des Refe­ren­zen an den regio­na­len Natur­raum; letz­te­re außer­halb des Alpen­raums unbe­kannt und am ehes­ten noch durch den gleich­na­mi­gen Kräu­ter­li­kör. Dazu gesel­len sich Seri­en mit Craft-​Beer-​Stilen im eige­nen Design sowie Soft­drinks und Hard Selt­zers. Berüh­rungs­ängs­te mit einer Dosen­ab­fül­lung sind hier über­wun­den, wenn es sie jemals gab. Die Braue­rei nimmt für sich den Titel ers­te Bio­braue­rei Frank­reichs in Anspruch.

Vielleicht nicht gerade liebevoll präsentiert, aber beileibe keine Ramschware.

Nicht weit ent­fernt braut auch die La Bras­se­rie Artis­a­na­le de Sabau­dia. Das Design in etwas über­bor­den­dem Jugend­stil gehal­ten, durch­aus pas­send aber dazu die gro­ßen hübsch geschwun­ge­nen Fla­schen mit Bügel­ver­schluss. Die­se sind zu mei­nem Favo­ri­ten geworden.

Die Auf­zäh­lung und Aus­wer­tung wei­te­rer Braue­rei­en und Bie­re könn­te jetzt noch eine Wei­le wei­ter­ge­hen. Viel­leicht noch drei zum Schluss: Zum einen die Big Moun­tain Bre­wing Com­pa­ny, die sich auf Craft-​Beer-​Stile kon­zen­triert. Und die Bras­se­rie du Grand Pic, die ihre Sor­ten pas­sen­den Tie­re aus den Alpen­welt wid­met. Wie­der­um mit gro­ßen Fla­schen und eben­so gro­ßer Prä­senz die Bras­se­rie du Mont-​Blanc. Sie liegt weni­ger nah als die bei­den vor­ge­nann­ten am Mont Blanc, viel­mehr in einem Vor­ort von Cham­be­ry im Gewer­be­ge­biet. Die Lage hin­dert sie aber nicht dar­an, einen schi­cken Aus­schank zu betrei­ben. Etli­che glu­ten­freie Bie­re fin­den im Port­fo­lio und im ver­trau­ten Dreifuß-​Standbein ein Rousse.

Fai­rer­wei­se muss gesagt wer­den, dass kei­nes der gekos­te­ten Bie­re eine Ent­täu­schung dar­stell­te. Gene­rell haben jedoch die hop­fen­be­ton­ten craft­beer­ar­ti­gen noch Poten­ti­al. Wem – wie mir – oft der Sinn nach einem Unter­gä­ri­gen steht und bei den loka­len Bie­ren nicht fün­dig wird, soll­te im Super­markt nach einem Fischer Tra­di­ti­on suchen. Hei­ne­ken hat die Braue­rei in Schil­tig­heim 2009 geschlos­sen, die Mar­ke jedoch fort­ge­setzt und läßt das Bier vom März­entyp in ande­ren Braue­rei­en herstellen.

Obwohl einer der Haupt­er­werbs­zwei­ge in Savoy­en im Tou­ris­mus liegt, gibt es kei­nen ganz­jäh­ri­gen inter­na­tio­na­len Flug­be­trieb. Man gelangt also nur auf dem Land­weg zum Ziel. Mehr­mals täg­lich fah­ren TGV aus der fran­zö­si­schen Haupt­stadt aus nach Cham­bé­ry und Anne­cy. Gut ange­bun­den ist Savoy­en auch an das nahe­ge­le­ge­ne Genf in der Schweiz. Genf erreicht man per Zug mit einer Tages­rei­se oder einer Nacht­zug­ver­bin­dung aus allen Tei­len Deutsch­lands und Österreichs.

Davies, Nor­man: Vanis­hed King­doms, Pen­gu­in Books, Lon­don, ISBN 978014104048864

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