…oder: Die Forcierung der untergärigen Brauweise
Teil II Erkenntnisse
Der erste Teil handelte von der Anreise, Ankunft und ersten Eindrücken der Reisenden, Sedlmayr, Dreher, Lederer und Meindl. Im 2. Teil beschäftige ich mich mit den daraus gewonnenen Erkenntnissen.
Erste Brauereibesuche
Bis September 1833 hatten sie an die 20 Brauereien besucht und konnten sogar ein paar Suden „beywohnen“. Allein sie durften keine Instrumente anwenden, konnten es aber „verstohlener Weise manchmal thun”, Gabriel Sedlmayr: „…so konnte ich doch den ganzen Gang nicht verfolgen, und über die Gährung erfuhr man sehr wenig.“
Unterm Strich wollte es also nicht so recht vorangehen. Von Brauereibesuchen auf dem Festland war man anderes gewohnt. Da war es durchaus üblich, auch mal eine Zeit lang in der jeweiligen Brauerei mitzuarbeiten. Das war in England fast nicht möglich, weil Arbeitsteilung und Spezialisierung weit fortgeschritten waren. Jeder Mitarbeiter hatte seine Aufgabe und wurde nicht in anderen Bereichen eingesetzt. Gabriel Sedlmayr: „die Bräuknechte werden im Brauhaus gebohren und sterben dort auch. Jeder hat da seine bestimmte Beschäftigung und lernt nichts anderes kennen.“
Was sollte man also tun, um mehr Informationen zu bekommen? Sie wussten zwar jetzt, wie man mit dem Saccharometer den genauen Zeitpunkt zum „Fassen“ bestimmen kann, also den Zeitpunkt, wann das Jungbier in die Fässer kam, aber wie in aller Welt sollte man das neu gewonnene Wissen umsetzen, ohne an Gärproben heranzukommen?
Das Hopfenanbaugebiet der Grafschaft Kent
Randbemerkung: England war das Mutterland der Industrialisierung. 1833 wurde in England die Kinderarbeit auf 8 Stunden täglich begrenzt, und es wurden neue Armengesetze mit Arbeitszwang in den Armenhäusern erlassen. Charles Dickens, der etwa im gleichen Alter wie unsere Reisenden war, übte darüber in seinen Romanen immer wieder Sozialkritik, etwa in „Oliver Twist” oder der „Weihnachtsgeschichte”. Außerdem wurde 1833 die Sklaverei abgeschafft.
Erstmal reisten sie, wie im Jahre 1832 geplant, in das Hopfenanbaugebiet der Grafschaft Kent. Man kam durch die Ortschaften Barming, Wateringbury, Mereworth, Hadlow, Tonbridge und Tudley. Dabei wurden natürlich auch noch ein paar Brauereien besichtigt.
Die Hopfenernte im Jahre 1833 viel nicht besonders gut aus, und unterm Strich waren die Engländer, was das Wissen über Hopfen betraf, auch nicht besser aufgestellt als auf dem Kontinent. Aus Gabriel Sedlmayrs Bericht nach Hause:
„Die Qualität ist, wie sie ihn selbst kennen nicht die beste, viele Körner und ein beinahe zweifelhafter Geruch. Wenn der Hopfen gepflückt ist, wird er sogleich auf einfache Darren…gebracht und hier mit Holzkohle oder Koks gedörrt……Gleich nachdem er genug ausgekühlt und gesiebt ist, wird er in Säcke gepackt …..den Hopfen für Jahre ohne Schaden aufzubewahren, haben die Engländer so wenig ein Mittel wie wir.“
Während Lederer und Meindl am 12. Oktober die Heimreise antraten, fuhren Sedlmayr und Dreher am 13. weiter nach Schottland. Booth hatte ihnen berichtet, dass in Schottland noch besseres Bier als in England gebraut werde. Ausgestattet mit Booths Empfehlungsschreiben machten sie sich auf den Weg. Sie fuhren über Birmingham nach Manchester und von dort weiter mit der Eisenbahn nach Liverpool.
Neue Strategien
Gabriel Sedlmayr: „Nie glaubte ich, dass ich mit dem Schwadronieren etwas ausrichte, doch hier hat es geholfen, und wir befolgten dasselbe System hier in…* mit ähnlich gutem Erfolge. Wir erzählten ihnen nämlich von der unteren Gärung, die ihnen ganz neu ist, heben unter anderen Vorzügen besonders den hervor, dass das Bier gar nie sauer werden kann, ja bey uns für 20 Jahre in offenen Gefäßen aufbewahrt wird, das wollen sie dann nie glauben, aber unsere Schwatzkunst weiß ihnen alles so augenscheinlich zu machen, dass sie, wenn sie auch nicht alles glauben, doch im höchsten Grade neugierig werden.“
So gelang es den verbliebenen Sedlmayr und Dreher eine ganze Gärung beobachten zu dürfen und noch mehr: „Späterhin machten wir ihn mit unserer Plauderei so weich, dass er uns sein mit doppelten Schlößern versehenes Braubuch öffnete….. woraus wir uns einige Suden abschreiben konnten, das ist viel und es heißt beynahe so viel als einem das Herz aus dem Leibe zu reißen.“
Industriespionage
Für das Folgende ist es wichtig sich daran zu erinnern, dass unsere Protagonisten im Jahre 1833 erst Anfang 20 waren. In diesem Alter ist man noch zu manch riskanter Handlungsweise bereit, zu der man sich im fortgeschrittenen Alter nicht mehr hinreißen lassen würde.
Die englischen Brauer wussten es zu verhindern, dass Sedlmayr und Dreher tiefere Einblicke in die Brauprozesse bekamen, insbesondere was gärende Würze betraf, aber man wusste sich zu helfen:
Sedlmayr: „…wir müssen es uns daher selbst zu verschaffen suchen, zu welchem Zweck wir immer kleine Fläschchen mit uns führen, die wir verstohlener Weise füllen und dann zu Hause mit unserem Saccharometer nachwiegen. Doch die Flaschen zu füllen unterliegt oft großen Schwierigkeiten, da sie nie einen allein in die Gährstube lassen, und gewöhnlich muss man es in ihrer Gegenwart thun, ohne dass sie es doch bemerken dürfen. Hier …* in…* verschafften wir uns bereits Zutritt in eine Brauerei, jedoch nur mit der Bedingung, nur die Erscheinung der Gährung zu beobachten, aber nicht mehr; unsere Diebskunst aber, die wir besonders in …* meisterhaft ausführten, verschaffte uns bereits beynahe eine ganze Gährung, der kleine Thermometer versieht dabei herrliche Dienste, ungeachtet dessen juckt mich noch täglich mein Rücken, wenn wir in die Brauerei gehen, und glücklich schätze ich mich, wenn wir ohne Prügel aus … kommen.* Um dieses mehr zu vermeiden, lassen wir uns jetzt Stöcke machen, von Blech, lackiert, unten mit einem Ventil, so dass, wenn man den Stock hineintaucht, er sich füllt, beim herausnehmen schließt sich das Ventil, und wir haben das Bier im Stock, somit können wir dann sicherer stehlen.“
Dieses „Stehlsystem“ hatten sie schon in London begonnen und führten es auf der Reise nach Schottland weiter aus. Die Zugreise von Manchester nach Liverpool muss dabei etwas Besonderes für Dreher und Sedlmayr gewesen sein. Die Eisenbahn war noch jung, in Deutschland fuhr die erste Eisenbahn erst 1835 von Nürnberg nach Fürth.
So ganz ungefährlich war eine Eisenbahnfahrt damals auch nicht. Erst im Jahre 1830 kam ein Politiker ums Leben, als er am Eröffnungstag der Liverpool and Manchester Railway von der Lokomotive The Rocket überfahren wurde.
Gabriel Sedlmayr hatte von „Oberstbergrat“ Joseph von Baader, einem Vorkämpfer für die Eisenbahn in Bayern, eine Liste von Fragen mitbekommen. Er sollte unter Anderem erkunden, ob es schon Unfälle gab, wie hoch die Unterhaltungskosten waren, wie weit der Plan der Eisenbahnstrecke von London nach Birmingham gediehen war und noch vieles mehr.
Schottland
Von Liverpool aus ging es mit dem Dampfer weiter. Die Fahrt bei aufgewühlter See, vorbei an der Isle of Man dauerte 21 Stunden, dann waren sie endlich in Ihrem „Gelobten Land“, wie es Fritz Sedlmayr in „Geschichte der Spatenbrauerei“ ausdrückte.
Nach etlichen weiteren Stationen in Brauereien und Brennereien, kamen Sedlmayr und Dreher am 20. November 1833 zu John Muir, in dessen Brauerei und Familie sie besonders liebenswürdig aufgenommen wurden. Dort konnten sie „täglich aus und eingehen“. Sedlmayrs Tagebuch enthält darüber 41 Seiten. Sie blieben bis zum 19. Dezember.
Sedlmayr schrieb nach Hause: „Die Brauerey, besonders die Schottische, denke ich nun ganz aufgefasst zu haben, d. h. ich weiß ihre Manipulationen, weiß auch die Ursachen und Gründe, warum sie das oder jenes thun, will aber keineswegs praetendieren, die Erfahrung und Praxis eines schottischen Bräuers zu haben, noch weniger, gleich so gutes Ale zu brauen, wie die in Schottland, obwohl es nicht außer dem Bereiche der Möglichkeit liegen dürfte“.
Auf der Rückreise nach London verbrachten Sedlmayr und Dreher noch 6 Tage in Burton on Trend bei Michael P. Bass. Das Boother Empfehlungsschreiben hatte ihnen da die Türen geöffnet.
Bass verstand es jedoch, sie durch allerlei Ablenkungen von einem Brauereibesuch abzuhalten. Dazu gehörte auch eine Fuchsjagd zu Pferd.
Sedlmayr „…ich sage nur es ist eine halsbrecherische Arbeit und nicht um 1000 Pfund gehe ich mehr auf ein Jagd-Pferd, die Luder gehen über Gräben und Hecken, ohne sich aufhalten zu lassen… und: ..Der Kerl muss Geld haben wie Heu, denn er spielt einen ganzen Lord, und manche Verlegenheit hatten wir da zu überstehen.“
Michael Bass wurde kurz darauf als Esquire in den niederen Adelsstand erhoben, sein Sohn bekam 1897 den Titel Lord Burton. Bass sollte zum Synonym für Pale Ale werden und war 1889 die größte Brauerei der Welt.
Rückreise
Fritz Sedlmayr: „Auf direktem Wege ging‘s dann über Ashby und Leicester in einer Tag- und Nachtfahrt zurück nach London, wo die so erfolgreiche Reise und gleichzeitig – sie waren am 31. Dezember dort eingetroffen – das wichtigste Jahr der Ausbildung für Sedlmayr und Dreher ihren Abschluß fand.“
In London blieben sie noch 3 Wochen, um weitere Brauereien zu studieren. Dann ging es über Dover und Calais nach Paris. Dreher reiste am 21. Februar 1834 weiter nach München. Dort wollte er noch vor Ende der Sudzeit das „englische Stehlsystem“ anwenden.
Sedlmayr wollte noch Richtung Südfrankreich, aber da erhob sein Vater, Gabriel Sedlmayr der Ältere, erstmals Einspruch. Er wünschte, dass der Sohn noch Praktika in Strassburg einlegen sollte. Bei Straßenunruhen in Paris wurde Gabriel Sedlmayr der Jüngere dann noch von einem Bajonettstich verletzt, was ihn noch mehrere Tage ans Bett fesselte. Dann erfüllte er des Vaters Wunsch, und nach 12-tägigem gleichzeitigem Praktikum in den Brauereien Hatt und Klotz ging es endgültig in Richtung Heimat.
Am 26. März 1834 konnte er dann zu Hause in der Spatenbrauerei seinem Bruder Josef und seiner Familie von seiner Reise erzählen.
Die wichtigsten Erkenntnisse der Reise aus heutiger Sicht:
- In England war in den Brauereien alles größer.
- Es kamen vermehrt Dampfmaschinen zum Einsatz.
- Das langsamere Keim- und Darrsystem in den Mälzereien lieferte eine weitaus bessere Malzqualität.
- Durch das Saccharimeter war eine kontrollierte Gärführung möglich.
Am 6. Mai 1834 wurde zum ersten Mal mit dem Long’schen Saccharometer in der Spatenbrauerei die Ausbeute ermittelt. Das war das erste Mal in Bayern und damit auch in Deutschland.
Die Ausbeute wurde bei einem nach schottischem Vorbild gebrauten Ale gemessen. Das verwendete Malz wurde nach den neu gewonnenen Erkenntnissen hergestellt. Später sollte es den Namen Münchener Malz erhalten.
Um die Auswirkungen der neuen Erkenntnisse auf die Brauwelt geht es dann in Teil Drei.
*Genaue Angaben zu den bestohlenen Brauereien wurden nicht gemacht.
Gabriel Sedlmayr: „ich möchte die Einzelheiten aber aus begreiflichen Gründen nicht in Verbindung mit jenen Städten und Brauereien bringen, wo sie zeitlich eigentlich hingehören.
Literaturliste
Spannend wie ein Krimi! Wäre interessant zu wissen, ob sich die Engländer danach *) auch auf untergärige Experimente eingelassen haben?
*) „Wir erzählten ihnen nämlich von der unteren Gärung, die ihnen ganz neu ist, heben unter anderen Vorzügen besonders den hervor, dass das Bier gar nie sauer werden kann…”
Servus Florin,
in der Tat hat Gabriel Sedlmayr der Jüngere Hefe an John Muir geschickt. Letzterer hat 2 oder 3 Sude damit gebraut, aber die Ergebnisse wurden von Sud zu Sud schlechter und so hatte sich die untergärige Brauweise bei John Muir in Schottland nicht durchgesetzt.
Gruß
Peter
Laut Ian Hornsey gab es um die Jahrhundertwende 19./20. Jh. einige große Brauereien in GB, die in größerem Maßstab untergärig gebraut haben. Dafür wurden auch gezielt Brauer aus Deutschland angeworben. Das meiste davon ist dann aber wieder untergegangen, nicht zuletzt wegen dem 1. WK. Carling Lager (das es ja heute noch gibt) stammt m.W. aus dieser Zeit, wenn auch m.W. zunächst unter anderem Namen produziert wurde.
Weitere Details müsste ich nachschlagen.
Inwieweit diese Aktivitäten auf Sedlmayr und Dreher bzw. John Muir zurückzuführen sind, weiß ich leider nicht.
Hallo Tilo,
die Auswirkungen der Aktivitäten von Sedlmayr/Dreher kommen im dritten Teil. Da will ich jetzt noch nicht vorgreifen.
Gruß
Peter
Hallo Peter,
da bin ich ja gespannt drauf!
Bzgl. Carling lag ich übrigens falsch bzw. hatte es falsch in Erinnerung – da liegen die Ursprünge offenbar in Kanada, und das ging auch erst nach dem 2. WK los. Zu weiteren untergärigen Aktivitäten in GB schreibe ich jetzt erst mal nichts.
Viele Grüße
Tilo