Als ich vor etwa 10 Jahren mit dem Brauen begann, war an eine Craftbeer-Szene noch nicht zu denken. Man meinte, Bier zu kennen und es relativ langweilig zu finden. In unserer Region war Bier immer Pils, so wie Kölsch oder Alt im Westen und Helles im Süden Deutschlands.
Aber zusammen mit mir, der durch das Brauen seinen Bier-Horizont kolossal erweitert hat, entwickelte sich seit damals auch die Bierszene insgesamt. Überall entstehen neue kleine Brauereien, die teilweise sehr mutige Konzepte haben. Veranstaltungen machen Bier zum Mittelpunkt und zeigen, wie breit die Palette der Bierstile und deren Interpretationen ist. Biersommeliers geben Bier die Aufmerksamkeit, die es als eines der vielseitigsten Getränke verdient. Das Angebot an interessanten Bieren in den Getränkemärkten steigt, und schließlich entdecken sogar die Großen der Branche, dass es mehr als die zur Massenware degradierten Standardbiere gibt.
Einige Zentren der Entwicklung haben sich herausgebildet: München hat seit Jahren die Braukunstmesse, ein Pionier der Vermittlung von Biervielfalt an ein wachsendes Publikum. Im Westen bringen Köln und Düsseldorf immer wieder interessante Braukünstler hervor – die reiche Brautradition der Region spielt dabei sicher eine große Rolle. Insbesondere aber in Berlin konzentriert sich immer mehr eine wilde junge Szene von Brauern, Gastronomen, Sommeliers und Genießern. Der einen Großbrauerei, die inzwischen sämtliche Berliner und fast alle Brandenburger Traditionsmarken aufgesaugt hat, stehen inzwischen so viele neue, kreative Bier-Orte entgegen, dass man selbst als Berliner kaum nachkommt, alle kennenzulernen.
Eine der größten deutschen Veranstaltungen im Craftbeer-Segment dürfte in diesem Jahr wohl endgültig die Braumesse Berlin auf dem Friedrichshainer RAW-Gelände werden, die in diesem Jahr auf 4 Tage verlängert wurde. Sie existiert selbstbewusst in direkter räumlicher (wenn auch nicht zeitlicher) Nachbarbarschaft des großen Massen-Events der Biermeile Berlin, die an mehreren Stellen der über 2 Kilometer langen Aneinanderreihung von Brauerei- und Imbissständen übrigens inzwischen auch die Liebe zum Craftbeer entdeckt hat. Daneben gibt es viele etwas kleinere Veranstaltungen: Bier und Wurst in der Markthalle IX, der Berliner-Weiße-Gipfel in der Arminiushalle, die vielen Veranstaltungen der Berlin Beer Academy und eine Unzahl von Events wie Lesungen oder Vorstellungen von Brauern und Brauereien, von denen man manchmal nur als Insider erfährt.
Der Buchtipp „Bierhauptstadt Berlin” beschäftigt sich mit dieser turbulenten Szene und führt euch zu vielen alten und neuen Brauereien und Kneipen der Stadt.
Nicht zu vergessen der Zuwachs an Hobbybrauern. Die Zahl von Neuanmeldungen im Forum hobbybrauer.de oder auch z.B. auf der Seite der Müggelland-Brauerei steigt unaufhörlich. Wir sollten uns darüber freuen, denn das Heimbrauen ist wohl die beste Art, Biervielfalt kennenzulernen und zu honorieren, wieviel Mühe und Leidenschaft in einem handwerklich hergestellten Bier steckt.
Ich liebe es, in dieser Zeit der Veränderung zu leben und mit dem brau!magazin Teil dieser Entwicklung zu sein.
Diese Ausgabe des Magazins haben wir dem Thema „Wasser” gewidmet. Wir wollen euch die Angst vor chemischen Formeln nehmen und zeigen, wie man mit überschaubarem Aufwand die Hauptzutat seines Biers verbessern kann. Stefan schreibt in „Irgenwie seltsam” aus der Sicht des Praktikers, wie er an die Wasseraufbereitung herangegangen ist, während Andreas in seinem Artikel „Von der Wasseranalyse zum Brauwasser” das Thema grundlegender beleuchtet, ohne es unnötig zu verkomplizieren.
Moritz beschreibt in „Klassengesellschaft”, welche Überlegungen man bei der Auslegung seiner Brauanlage anstellen sollte und welche Größenklassen sich praktischerweise herausgebildet haben.
Im kommenden Jahr wird man sich vermutlich vor Jubelfeiern und salbungsvollen Reden über das 1516 erlassene Reinheitsgebot kaum retten können. Was waren dessen historische Hintergründe, mit welchen Zielen wurde es erlassen, was ist daran Schutz vor ausuferndem Einsatz von Ersatz- und Hilfsstoffen und was ist Marketinginstrument und Mittel zur Marktabschottung der Brauindustrie – Moritz klärt in „Das Reinheitsgebot ist tot – lang lebe das Reinheitsgebot” auf.
Die Reihe der Berichte über die Hobby- und Kleinbrauer unserer Nachbarländer wird dieses mal mit einem Artikel von unserem Schweizer Braukollenen Ulrich über „Die schweizerische Hausbrauerszene” fortgesetzt.
Zwei Artikel beschäftigen sich mit einigen Aspekten der Bierverkostung. „Grenzen ausloten” gibt einen Überblick über Methoden zur Feststellung der Grenzen der persönlichen Geschmacksempfindung, und in „Vom „Uuuh“ zum „Aaah“” gibt Katharina Kunzelmann von HW Brauereiservice unter anderem Hinweise zum Einsatz von Flavor-Kits bei der Verkosterschulung.
Roggenbier ist einer der wenig gebrauten Bierstile, unter anderem deswegen, weil ihm viele Gerüchte über Läuterkatastrophen und Verarbeitungsprobleme anhängen. Jürgen Pangerl versucht in „Mythos Roggenbier” diese Bedenken zu zerstreuen und gibt wertvolle Hinweise, mit welchen Tricks man diesen Bierstil meistert. Eine Rezeptsammlung soll zum Nachbrauen anregen – es lohnt sich!
Bierfehler des Quartals sind diesmal Chlorphenole. Andreas zeigt, wie man ihn relativ einfach vermeiden kann.
Der Ausflug in die Geschichte des Bieres beschäftigt sich in dieser Ausgabe mit dem Grätzer Bier, einem Stil, der durch das Engagement einiger polnischer Hobbybrauer und die Verfügbarkeit von Weizen-Rauchmalz in den letzten Jahren eine Wiedergeburt erlebt hat. Unser Bierhistoriker Jürgen Knoke beleuchtet in „Grätzer –
ein verschwundener Bierstil kehrt zurück” Historie und Eigenschaften des Grätzer Biers; Moritz gibt in „Grätzer selbstgebraut” Einblick seine Erfahrungen beim Heimbrauen dieses Stils – wer sein Grätzer kennt, weiß, welches Meisterstück ihm bei der Reinkarnation der einstigen Preußischen Spezialität gelungen ist.
Besonders möchte ich auf den Artikel „T’n’T und Fantasia” von Mark Zunkel, Technical Manager bei Barth Haas, hinweisen. Dort erfährt man, wie diese Hopfenmischungen kreiert wurden und welche Eigenschaften sie auszeichnen. Zwar wird das letzte Geheimnis, die genaue Zusammensetzung der Mischungen, aus verständlichen Gründen auch hier nicht verraten, aber dafür werden an unsere Leser Proben der Mischungen verlost. Näheres dazu im Artikel.
Ich wünsche euch viel Spaß bei der Lektüre des neuen brau!magazins!
PS: Das etwas abgewandelte Zitat des Titels stammt übrigens aus einem Text von Michail Sostschenko. „Die Kuh im Propeller” wurde durch eine legendäre Lesung mit Manfred Krug bekannt, die in der Reihe „Jazz, Lyrik, Prosa” Ende der 60er Jahre auf einer Amiga-LP erschien. Wer in Nostalgie schwelgen oder einfach herzlich lachen will: will: hier der Text und hier die Aufnahme bei Youtube.