Ende der Neutralität

Unter­gä­ri­ge Hefen im direk­ten Vergleich

Ober­gä­ri­ge Hefen gel­ten als urtüm­li­che, eher wil­de und unge­zähm­te Gesel­len, die mit ihrer Viel­zahl cha­rak­te­ris­ti­scher Gärungs­ne­ben­pro­duk­te für unzäh­li­ge ursprüng­li­cher Bier­sti­le prä­gend und unver­zicht­bar sind: Ohne den pas­sen­den Hefe­stamm wäre es undenk­bar, etwa ein eng­li­sches Ale, ein bel­gi­sches Abtei­bier, ein Wit oder gar ein bay­ri­sches Hefe­weiß­bier mit sei­nen unver­kenn­ba­ren phe­n­o­li­schen und est­ri­gen Noten zu brauen.

Ganz anders die gän­gi­ge Mei­nung über die unter­gä­ri­gen Lager­he­fen: Ihre Bestim­mung sei es, so hört man oft, mög­lichst rein­tö­nig, neu­tral und frei von Stör­ge­räu­schen jeder Art zu ver­gä­ren, so dass der Hefe­stamm ganz in den Hin­ter­grund trä­te. Die­se Auf­fas­sung hat dazu geführt, dass in den letz­ten Jahr­zehn­ten welt­weit nur noch ganz weni­ge unter­gä­ri­ge Hefen ver­wen­det wur­den, allen vor­an die auf­grund ihrer tech­no­lo­gi­schen Vor­tei­le domi­nie­ren­de W 34/​70.

Ver­suchs­ab­lauf

IMG_7119

Der Versuchsbrauer bei der guerillamäßigen Verkostung im Biergarten

Ulrich Pei­se von der Hefe­bank Wei­hen­ste­phan (sie­he Arti­kel „Der idea­le Star­ter” in der sel­ben Aus­ga­be) gab den Anstoß dazu, dies ein­mal auch im Hob­by­brau­er­maß­stab aus­zu­pro­bie­ren und – so viel sei schon ein­mal vor­weg­ge­nom­men – gründ­lichst zu wider­le­gen. Er steu­er­te dazu vier unter­schied­li­che unter­gä­ri­ge Hefen bei, die er frisch pro­pa­giert in 500 ml-​Aluminiumflaschen zum Brau­tag mitbrachte.

Micha­el Lacha, ein Münch­ner Hob­by­brau­er mit einem wun­der­schö­nen 1 hl-​Sudwerk, stell­te die­ses als Ver­suchs­braue­rei zur Ver­fü­gung und brau­te dar­auf einen Sud „Münch­ner Dun­kel“ (Rezept sie­he unten), der anschlie­ßend geteilt und in CC-​Kegs unter ansons­ten iden­ti­schen Bedin­gun­gen (die Kegs stan­den in der sel­ben Kühl­tru­he neben­ein­an­der) mit den ver­schie­de­nen Hefen ver­go­ren wurde.

Neben der W 34/​70 als Refe­renz waren das die W 120 als klas­si­sche Münchner-​Dunkel-​Hefe sowie mit der W 105 und der W 109 zwei his­to­ri­sche, heu­te kaum noch ver­wen­de­te Hefen, die aber in sen­so­ri­schen Beur­tei­lun­gen stets gut abge­schnit­ten hatten.

Ulrich Pei­se hat­te die Hefen vor­ab wie folgt charakterisiert:

  • W 34/​70: Ten­den­zi­ell mode­ra­te bis nied­ri­ge Men­gen an höhe­ren Alko­ho­len, aber hoher Gehalt an Estern
  • W 120: ori­gi­na­le Hefe für bay­risch Dun­kel, betont den Malz­kör­per bzw. run­det ihn ab
  • W 105: Ten­den­zi­ell viel höhe­re Alko­ho­le, wenig Ester
  • W 109: Wenig Ester, wenig höhe­re Alko­ho­le, aber schwefelt

Rezept

Schüt­tung: 77,5% Münch­ner Malz, 10% Wei­zen­malz, 7,5% Cara­Aroma, 5% Melanoidinmalz,

Ver­ein­fach­tes Zweimaisch-​Dekoktionsverfahren 35°C‑68°C‑78°C (wie im Arti­kel „Ver­kocht und Zuge­brüht“ beschrie­ben),

Stamm­wür­ze 14° Plato,

Vor­der­wür­ze­hop­fung mit Stris­sel­spal­ter auf 19 IBU.

Das genaue Rezept kann als Brew Reci­pe Developer-​Report im pdf-​Format her­un­ter­ge­la­den wer­den: Mu nch­ner Dun­kel 03

Gär­ver­lauf

gaergraphik

gaertabelle

Obwohl alle vier Tei­le mit jeweils der glei­chen Hefe­men­ge bei 8°C ange­stellt und bei 10–12°C fer­tig­ver­go­ren wur­den, zeig­te sich ein stark unter­schied­li­cher Gär­ver­lauf: Wäh­rend die W 34/​70 und W 105 am schnells­ten durch­go­ren, fie­len die W 120 und vor allem die W 109 in der zwei­ten Woche stark zurück. Am Ende kamen dann doch alle vier fast bis aufs Zehn­tel­grad beim sel­ben Rest­ex­trakt her­aus: Ein­mal mehr ein Beweis dafür, dass der End­ver­gä­rungs­grad eben doch im Sud­haus fest­ge­legt wird!

Ver­kos­tung

IMG_7112

Dr. Zepf erschnuppert seinen Favoriten

Schon beim Zwi­ckeln und beim Schlau­chen fie­len selbst uns Lai­en die klar auf­lös­bar unter­schied­li­chen Geschmacks­pro­fi­le der vier Bie­re auf, die sich blind von­ein­an­der unter­schei­den lie­ßen und alle­samt weit davon ent­fernt waren, sich als neu­tral bezeich­nen zu lassen!

Sol­cher­ma­ßen sen­si­bi­li­siert gelang es uns, mit Dr. Micha­el Zepf, dem Lei­ter der Doemens-​Biersommelierausbildung und einem füh­ren­den Hefe­ex­per­ten (sie­he auch den Leit­ar­ti­kel „Die Hefe – das lan­ge unbe­kann­te Wesen” die­ser Aus­ga­be) eine sen­so­ri­sche Kory­phäe zur Ver­kos­tung zu gewinnen.

Die­se fand dann aus Ter­min­grün­den gewis­ser­ma­ßen als Guerilla-​Aktion just im Bier­gar­ten der ältes­ten Münch­ner Braue­rei statt, also auf höchst geschichts­träch­ti­gem Boden. Dies erlaub­te es zwar nicht, detail­lier­te Ver­kos­tungs­bö­gen anzu­fer­ti­gen, aber zumin­dest ein paar Bemer­kun­gen wäh­rend der blind durch­ge­führ­ten Ver­kos­tung mitzunotieren:

  • W 34/​70: „Scharf“, Ester/​Malzigkeit/​Bittere pas­sen nicht recht zusam­men und ste­hen zusam­men­hang­los neben­ein­an­der, spreizt sich zu sehr, ins­ge­samt ent­täu­schend, Drit­ter Platz
  • W 120: Rund und „funk­tio­niert rich­tig gut“, stil­ty­pi­sches­tes Münch­ner Dun­kel im Ver­gleich, schö­ne Mal­zig­keit und Volu­men, ganz leich­ter Schwe­fel, Ers­ter Platz
  • W 105: Pas­send, aber nicht ganz so rund wie die W 120, leicht fischi­ger Ton, Zwei­ter Platz
  • W 109: „Rich­tig fie­ser Gemü­se­schwe­fel“, Chili- und Gemü­se­ton, „geht so gar nicht“, Vier­ter Platz

Fazit

Wir hät­ten nie­mals ver­mu­tet, mit iden­ti­scher Wür­ze, unter iden­ti­schen Bedin­gun­gen von unter­gä­ri­gen Hefen ver­go­ren, der­ar­tig frap­pan­te Unter­schie­de zu erle­ben. Dies umso mehr, als dass die Wür­ze mit 90% dunk­len Mal­zen (und davon 7,5% Cara­Aroma) sel­ber schon extrem aro­ma­tisch war. Viel mehr Eigen­ge­schmack kann eine Wür­ze wohl gar nicht mit­brin­gen! Und den­noch hat es die Hefe geschafft, dem Bier ihren ganz eige­nen, unver­wech­sel­ba­ren Stem­pel auf­zu­drü­cken. Wie­der ein­mal eine vol­le Bestä­ti­gung des alten Spruchs, „Der Brau­er macht die Wür­ze, die Hefe macht das Bier“.

Es zeigt sich, dass auch bei Lager­bie­ren der Aus­wahl eines sen­so­risch (und nicht nur tech­no­lo­gisch) pas­sen­den Hefe­stamms aller­größ­te Bedeu­tung zukommt. In die­sem kon­kre­ten Bei­spiel war die W 120 als klas­si­sche Dunkel-​Hefe bei der Ver­kos­tung tat­säch­lich am über­zeu­gends­ten. Eine Braue­rei, die hin­ge­gen alle Lager­bie­re mit der sel­ben Betriebs­he­fe ver­gärt, beraubt sich dadurch der Mög­lich­keit, sol­che Fein­hei­ten herauszuholen.

Ein Kommentar zu “Ende der Neutralität

  1. Johnny H

    Hoch­in­ter­es­sant, vie­len Dank!

    Ich mache ja jedes Jahr im Januar/​Februar ein­mal ein böh­mi­sches Pils­ner und habe mitt­ler­wei­le drei Hefen ver­wen­det (W34/​70, Wye­ast 2001 Pils­ner Urquell und Wye­ast 2000 Bud­var), wobei nur bei den letz­ten bei­den Ver­su­chen das Rezept und auch Anstell- und Gär­be­din­gun­gen nahe­zu iden­tisch waren. 

    Da ja immer sehr viel Zeit zwi­schen den Ver­su­chen ver­geht und mir somit kei­ne ver­glei­chen­de Ver­kos­tung mög­lich ist, ist es schwer, im Nach­hin­ein die Geschmacks­un­ter­schie­de genau zu benen­nen und zu beschrei­ben, aber v.a. die 2001er emp­fand ich schon ganz anders (lieb­li­cher, irgend­wie fruch­tig, Hop­fen wird stär­ker betont) als die 2000er /​W34/​70 (bei­de malz­be­ton­ter). Auch das Sedi­men­ta­ti­ons­ver­hal­ten der 2001er war ganz anders.

    Es wäre inter­es­sant, einen sol­chen Ver­such mit kom­mer­zi­ell erhält­li­chen UG-​Hefen zu wiederholen. 

    Inter­es­san­ter­wei­se haben ja Pils­ner Urquell als die „God­fa­thers” des Böh­mi­schen Pils­ners bis in die 1910/​20er kei­ne eige­ne Hefer­ein­zucht betrie­ben und all­ge­mein erhält­li­che bay­ri­sche Hefen ver­wen­det (E. Jalowetz). Bis zu einer umfas­sen­den Reno­vie­rung der Urquell-​Brauerei im Jah­re 1993 wur­den dann vier bis fünf ver­schie­de­ne Hefen par­al­lel ver­wen­det. Erst seit 1993 wird wohl nur noch mit einer Hefe gebraut, dem soge­nann­ten H‑Stamm.

    In fol­gen­dem Post bzw. Thread ist eini­ges dazu geschrie­ben, ver­linkt und zusam­men­ge­fasst wor­den, inklu­si­ve Quellen:

    Link

    Was heißt das nun für die Wich­tig­keit des Hefe­stam­mes gera­de beim böh­mi­schen Pils­ner, trotz offen­sicht­li­cher Unterschiede?

    Gruß, Tilo

Schreibe einen Kommentar