Die Hefe – das lan­ge unbe­kann­te Wesen

Seit etwa 9000 Jah­ren brau­en die Men­schen Bier, aber die Erkennt­nis, dass die wich­tigs­ten und uner­setz­ba­ren Mit­ar­bei­ter beim Brau­pro­zess ein­zelli­ge, leben­de Orga­nis­men sind ist erst seit etwa 150 Jah­ren bekannt. Die geziel­te Ver­wen­dung der Hefe als Gär­or­ga­nis­mus ist streng genom­men sogar erst seit 132 Jah­ren mög­lich. Und obwohl Bier bereits Jahr­tau­sen­de vor­her gebraut wur­de haben die­se Erkennt­nis­se die Brau­kunst grund­le­gend revolutioniert.

Von Beginn ihrer Exis­tenz haben die Men­schen Natur­vor­gän­ge wie Fäul­nis, Ver­we­sung und Gärung beglei­tet. Die Beob­ach­tung und vor allem die Erfah­run­gen mit spon­tan ablau­fen­den Fer­men­ta­ti­ons­pro­zes­sen führ­ten bereits früh­zei­tig zu prak­ti­scher Nutz­an­wen­dun­gen. Ein ein­fa­ches Ste­hen­las­sen einer Honig­was­ser­mi­schung oder Früch­ten bzw. Frucht­saft an der Luft führ­te schon zu einem alko­ho­li­schen Produkt.

Für zahl­rei­che Lebens­mit­tel und Kon­ser­vie­rungs­pro­zes­se wur­den die Vor­tei­le von Fer­men­ta­ti­ons­pro­zes­sen aus­ge­nützt ohne die eigent­li­chen Ursa­chen zu ken­nen. So etwa die Her­stel­lung von Sau­er­kraut, Soja­sauce, Tee, Kakao, Käse oder Brot. Über Jahr­tau­sen­de hin­weg haben sich Bier­brau­er und Win­zer in der Aus­nut­zung empi­risch gewon­ne­ner Erkennt­nis­se fortentwickelt.

Aber die Gärung mit ihren auf­fäl­li­gen äuße­ren Erschei­nun­gen wie Gas­ent­wick­lung, Schaum­ent­ste­hung und Geschmacks­ver­än­de­run­gen war nicht ver­stan­den. Viel­mehr wur­de die Gärung als Rei­ni­gungs­vor­gang gese­hen, bei dem min­der­wer­ti­ge Sub­stan­zen aus dem Gär­gut (im Schaum) abge­schie­den wur­den oder sich abset­zen. Der sich abset­zen­den oder auf­schwim­men­den Mas­se gab man das Wort Hefe oder Zeug wuss­te aber nicht was es war. Der frü­her im Sprach­ge­brauch ver­wen­de­te abwer­ten­de Aus­druck „Hefe des Vol­kes“ als Syn­onym für den „ver­kom­me­nen Teil einer Bevöl­ke­rung“ fin­det in der Vor­stel­lung der Gärung als Rei­ni­gungs­pro­zess sei­nen Ursprung.

Leeuwenhoek`s Mikroskop

Leeuwenhoek`s Mikroskop

Die Grund­la­ge zur Ent­de­ckung der Hefe als Orga­nis­mus leg­te 1680 Anto­ni van Lee­u­wen­hoek durch die Erfin­dung des ers­ten Mikroskop-​ähnlichen Appa­ra­tes mit dem es ihm damals bereits gelun­gen war „kuge­li­ge Gebil­de“ im Gär­sub­strat zu iden­ti­fi­zie­ren. Trotz­dem soll­te es aber noch fast 200 Jah­re dau­ern bis Licht ins Dun­kel der Gärung kam. Das gan­ze 18. Jahr­hun­dert hin­durch gab es trotz der Mög­lich­kei­ten, die die Nut­zung des Mikro­skops gebo­ten hät­te, zunächst kei­ne neu­en Erkennt­nis­se zur Auf­klä­rung des Gärungs­pro­zes­ses. Auch im Bereich der che­mi­schen For­schun­gen gerie­ten die Gärungs­vor­gän­ge zunächst aus der Sicht.

Erst Ende des 18. Jahr­hun­derts rück­ten die Fra­gen nach Ursa­chen und Ver­lauf der Gärung wie­der ins Blick­feld. In den Jah­ren 1787/​1788 befass­te sich Antoine Lau­rent Lavoi­sier mit dem Gärungs­vor­gang, den er quan­ti­ta­tiv zu erfas­sen such­te. Im Ergeb­nis sei­ner Unter­su­chun­gen gelang­te er zu der Aus­sa­ge, „dass Zucker rest­los in Alko­hol und Koh­len­säu­re zer­fällt“. Man ging bei der Gärung also von einem che­mi­schen Ablauf (Oxi­da­ti­on) aus. Die fran­zö­si­sche Aka­de­mie der Wis­sen­schaf­ten setz­te 1799 einen Preis in Form eines Kilo­bar­ren Gol­des für den Wis­sen­schaft­ler aus, der die Geheim­nis­se der Gärung end­gül­tig auf­klärt. Den Preis hat aber nie­mand erhalten.

Bis Mit­te in die 30er Jah­re des 19. Jahr­hun­derts bestand wei­ter­hin wenig Klar­heit über den Zusam­men­hang zwi­schen Hefe und Gärung. Man sah die Hefe als ein Pro­dukt der Gärung und nicht deren Ursa­che. Erst zwi­schen 1834 und 1837 wur­den von 2 deut­schen und einem fran­zö­si­schen Wis­sen­schaft­ler unab­hän­gig von­ein­an­der bahn­bre­chend neue Erkennt­nis­se gewonnen:

Charles Cagniard-Latour

Charles Cagniard-Latour

Charles Cagniard-​Latour unter­such­te Bier­he­fe mikro­sko­pisch und stell­te fest, dass Hefe fähig ist, sich fort­zu­pflan­zen und folg­lich ein orga­ni­sier­ter und nicht wie bis­her ange­nom­men, eine ein­fa­che orga­ni­sche oder che­mi­sche Sub­stanz sei und dass Hefe fer­ner dem Pflan­zen­reich angehört.

Theodor Schwann

Theodor Schwann

Theo­dor Schwann führ­te den Nach­weis, dass ste­ri­li­sier­te Luft den Gärungs­vor­gang in Frucht­saft­lö­sun­gen nicht aus­lö­sen konn­te. Nicht ste­ri­li­sier­te Luft führ­te dage­gen schnell zu leb­haf­ter Gärung und Orga­nis­men­bil­dung. Er wider­leg­te damit die gän­gi­ge Mei­nung, dass die Gärung einen Oxi­da­ti­ons­pro­zess dar­stellt und zeig­te, dass sich in der Luft neben dem Sau­er­stoff noch leben­de Mate­rie befin­den muss. Als Namen für die Hefe führ­te er den Begriff „Zucker­pilz“ ein, der ins latei­ni­sche über­setzt den heu­ti­gen Gat­tungs­na­men Sac­ch­aro­my­ces darstellt.

Traugut Kützing

Traugut Kützing (im 80. Lebensjahr)

Fried­rich T. Küt­zing kam 1834 zur Erkennt­nis, dass die Hefe durch ihre „Bil­dung“ und ihren „Ver­viel­fäl­ti­gungs­trieb“ die „wei­ni­ge Gärung“ ver­ur­sa­che, vege­ta­bi­len Ursprungs sei und nicht eine „soge­nann­te chemisch-​organische Verbindung“.

Aller­dings pass­ten die­se neu­en Erkennt­nis­se nicht in das Welt­bild eini­ger füh­ren­der Che­mi­ker der dama­li­gen Zeit. Es ent­wi­ckel­te sich ein Streit, der über 20 Jah­re anhielt und Stoff für einen span­nen­den Spiel­film bie­ten wür­de: So schrieb etwa 1839 der Che­mi­ker Jus­tus Lie­big in sei­nem Buch „Ueber die Erschei­nun­gen der Gäh­rung, Fäul­niß und Ver­we­sung und ihre Ursa­chen“, Anna­len der Phar­macie auf Sei­te 285 fol­gen­den Satz:

Mit Was­ser zer­teil­te Bier– und Wein­he­fe unter einem guten Ver­grö­ße­rungs­glas betrach­tet stellt durch­schei­nen­de platt­ge­drück­te Kügel­chen dar.…Die Natur­for­scher wur­den durch die­se Form ver­lei­tet, das Fer­ment für beleb­te orga­ni­sche Wesen, für Pflan­zen oder Thie­re zu erklären.“

Deckblatt

Deckblatt der Ausgabe mit dem diffamierenden Artikel mit der Überschrift "Das enträthselte Geheimnis der geistigen Gährung"

In einem dif­fa­mie­ren­den Arti­kel im wis­sen­schaft­li­chen Jour­nal Anna­len der Phar­macie Band 29–30 mit der Über­schrift „Das ent­räth­sel­te Geheim­nis der geis­ti­gen Gäh­rung” machen sich die Ver­fas­ser Fried­rich Wöh­ler und Jus­tus Lie­big 1839 über die Erkennt­nis­se ihrer „Kol­le­gen“ in dras­ti­scher Wei­se lustig:

…die­se Infus­ori­en fres­sen Zucker, ent­lee­ren aus dem Darm­ka­nal Wein­geist und aus dem Harn­or­gan Koh­len­säu­re. Die Urin­bla­se besitzt in gefüll­tem Zustand die Form einer Gham­pa­gner­bou­teil­le, im lee­ren Zustand ist sie ein klei­ner Knopf…“

Auszug

Auszug aus dem sarkastischen Aufsatzes von Justus Liebig und Friedrich Wöhler (1839)

Erst Lou­is Pas­teur bän­dig­te schließ­lich 20 Jah­re spä­ter den Wider­streit der Che­mie mit sei­nen berühm­ten Sätzen:

Kei­ne Gärung ohne Organismen.“

Jede Gärung durch eine spe­zi­fi­sche Art von Organismus“

Von 1857 an galt dann eigent­lich bei allen Wis­sen­schaft­lern unstrit­tig die Hefe als leben­der Orga­nis­mus, der die Gärung aus­löst. Aller­dings ver­brei­te­ten sich die­se Kennt­nis­se nicht so schnell wie heu­te, und so ist in einem Brau­er­fach­buch von 1859 über die Hefe noch fol­gen­des zu lesen:

Die gewöhn­li­che Hefe ist bekannt­lich die von gäh­ren­dem Bie­re abge­son­der­te brei­ar­ti­ge gelb-​bräunliche, meist auf der Ober­flä­che sich sam­meln­de, zum Theil aber auch zu Boden fal­len­de aus Kle­ber, Was­ser Kohlen- Essig- und Aep­fel­säu­re, Extra­c­tiv­stoff, Schleim und Zucker bestehen­de Sub­stanz, wel­che vor­nehm­lich dazu benutzt wird, um in ande­ren dazu fähi­gen Flüs­sig­kei­ten eine neue Gärung einzuleiten.“

Emil Christian Hansen

Emil Christian Hansen im Carlsberg Laboratorium

Emil Chris­ti­an Han­sen gelang am 12.November 1883 im Carlsberg-​Laboratorium in Kopen­ha­gen erst­mals die Iso­lie­rung einer Hefe­zel­le und dar­aus die Züch­tung der ers­ten Rein­kul­tur einer Brau­he­fe. Dies stell­te eine Revo­lu­ti­on für die Brau­kunst dar und ist in sei­ner Bedeu­tung gar nicht hoch genug ein­zu­schät­zen, denn die­ser Stich­tag ver­än­der­te das Brau­en grund­le­gend: Alle ver­wen­de­ten Hefen in allen Braue­rei­en der Welt stell­ten bis zur Ein­füh­rung der Rein­zucht eine Mischung aus ober- und unter­gä­ri­gen Hefen und Bak­te­ri­en dar.

Das Brau­en eines unter­gä­ri­gen Bie­res vor 1883 muss daher aus fol­gen­der Sicht­wei­se betrach­tet wer­den: Da alle Hefe­sät­ze neben ver­schie­de­ne­rer Hefen auch Bak­te­ri­en ent­hiel­ten wur­den alle Bie­re frü­her oder spä­ter sau­er. Aus der Erfah­rung wuss­ten die Brau­er, dass der Zeit­punkt an dem das Bier sau­er wur­de, hin­aus­zu­zö­gern war indem man kon­se­quent kal­te Tem­pe­ra­tu­ren beim Brau­pro­zess ein­hielt. Die Absicht der bay­ri­schen Brau­er war also das Bier nicht sau­er wer­den zu lassen.

Die wichtigsten Mitarbeiter in einer Brauerei….

Die wichtigsten Mitarbeiter in einer Brauerei….

Als (unbe­kann­ter) Neben­ef­fekt der kal­ten Tem­pe­ra­tur hat­ten unter­gä­ri­ge Hefen einen Selek­ti­ons­vor­teil und der Pro­zent­an­teil im wie­der­ver­wen­de­ten Hefe­satz stieg von Füh­rung zu Füh­rung. Dies führ­te (unbe­wusst) zum Brau­en unter­gä­ri­ger Bie­re mit ihrem typi­schen Aro­ma, wel­ches die Lager­bie­re von den warm ver­go­re­nen Ales unter­schied. Dies war vor der Erfin­dung der Käl­te­ma­schi­ne natür­lich nur in Regio­nen mit kal­ten Win­tern mög­lich. Wur­de jedoch ein der­ar­ti­ger Hefe­satz mit über­wie­gend unter­gä­ri­gen Hefen mehr­mals warm geführt, setz­ten sich erneut die ober­gä­ri­gen Hefen durch.

Anders wie es heu­te wahr­schein­lich üblich wäre, behielt das Carls­berg Labo­ra­to­ri­um die „Erfin­dung“ der Rein­zucht einer Hefe nicht für sich, son­dern ver­öf­fent­lich­te sie und mach­te sie so den Brau­ern auf der gan­zen Welt zugäng­lich. Die Gewin­nung einer Rein­zucht­he­fe war die Vor­aus­set­zung für die welt­wei­te Ver­brei­tung der unter­gä­ri­gen Bie­re und führ­te zusam­men mit den rela­tiv zeit­glei­chen Erfin­dun­gen der Käl­te­ma­schi­ne (1873) und der Fil­tra­ti­on (1879) zu einer Abkehr von der „alten“ ober­gä­ri­gen Brauweise.

Plötz­lich waren bei den Bier­trin­kern nur mehr die „neu­en“ hel­len, fil­trier­ten, rei­nen Lager­bie­re gefragt. Dies geschah Ende des 19. und Anfang des 20. Jahr­hun­derts inner­halb weni­ger Jahr­zehn­te und ist heu­te als die soge­nann­te Lagerbier-​Revolution bekannt. Die aktu­el­le (Wieder)-Entdeckung der Ales durch die Craft Beer Wel­le ist also eigent­lich eine Renais­sance und eine Gegen­re­ak­ti­on auf die Lagerbier-​Ausbreitung vor 120 Jahren.

Gedenktafel

Gedenktafel zu einen der wichtigsten Tage für das Brauwesen: am 12. November 1883 gelang Emil Christian Hansen die erste Reinzucht einer Hefe im Carlsberg Laboratorium


Dr. Michael ZepfDr. Micha­el Zepf ist Dozent und Lei­ter des Geschäfts­be­reichs Genuss-​Akademie an der Münch­ner Doemens-​Akademie, der auch die Biersommelier-​Ausbildung beher­bergt. Ein­mal jähr­lich lei­tet er ein Hobbybrauer-​Seminar in den Räu­men der staat­lich aner­kann­ten Fach­aka­de­mie für Brau- und Getränketechnologie.


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