Ein Erfahrungsbericht zum Beer Judge Certification Program (BJCP)
Vor ein paar Jahren war ich schon einmal über das Beer Judge Certification Program, das Programm zur Ausbildung von Preisrichtern bei Bierwettbewerben, auf bjcp.org gestolpert. Sah interessant aus, aber wirklich befasst hatte ich mich damit nicht.
Das BJCP hat sich Weitergabe von Wissen auf die Fahnen geschrieben: das Programm soll über die verschiedenen Bier‑, Cider- und Metstile informieren, und Leuten eine gemeinsame Grundlage geben, diese Stile zu bewerten und ihre Bewertungen zu kommunizieren.
Die meisten Hobbybrau-Wettbewerbe in den USA werten die Eingänge nach dem BJCP Styleguide (www.bjcp.org/docs/2015_Guidelines_Beer.pdf), und einige (Craft-) Brauereien orientieren sich ebenfalls daran. Damit weiß der Brauer, was von ihm erwartet wird, und Bewertungen können fair und nach allgemein anerkannten Standards vorgenommen werden.
Die letzten beiden Jahre fand im April in Austin (Texas, USA) die erste Runde der Bewertungen der Eingänge der National Homebrewing Competition (Gruppe Süd-USA) statt. Es werden immer Helfer gebraucht, und als zertifizierter Beer Judge wird man da besonders gerne gesehen. Nachdem ich die letzten beiden Jahre unqualifiziert ausgeholfen hatte, war mein Interesse am BJCP wieder geweckt.
Material
Auf bjcp.org findet man viel Material, um Bierstile zu unterscheiden und die Regeln des BJCP kennen zu lernen.
Neben dem Style Guide als PDF gibt es auch eine App für Android und Apple. In ihr kann man einzelne Stile schnell nachschlagen. Im Gegensatz zum Style Guide PDF gibt es in der App auch Beispiele für das Farbspektrum.
Unser Kurs
Als ein Kumpel mich Anfang August auf einen Kurs hinwies, der in Austin stattfinden sollte, und mit dem man sich auf die Zertifizierung vorbereiten konnte, sagte ich kurzerhand zu. Neil, der den Kurs organisiere, hatte noch Plätze frei, und so war ich dabei. In den kommenden vier Wochen trafen wir uns jeden Mittwoch, und Neil erklärte uns den Hintergrund zum BJCP und wie gewertet wird. Dann übten wir am lebenden /flüssigen Objekt.
Beim ersten Treffen gab es eine Einführung: wer oder was ist BJCP, warum gibt es das, was macht das? Wie ist das Programm aufgebaut? Wie bewertet man Biere — ausser mit „schmeckt mir” /„schmeckt mir nicht” ? Wie benutzt man die Style Guidelines?
Beim zweiten Teffen ging es zur Sache. Neil erklärte uns den Bewertungsbogen (score sheet) und wie man ihn ausfüllt: seine Eindrücke beschreiben. Dabei sollte man immer die Form <Ausprägung> verwenden, zum Beispiel schwacher Malzgeschmack. Wenn man noch mehr sagen kann, um so besser: schwacher Malzgeschmack (Hauptsächlich Pilsner Malz, etwas Weizen). Auf keinen Fall sollte man irgendwelche Vermutungen anstellen: das schmeckt so komisch, das ist sicherlich ein überlagertes Extrakt gewesen — man weiß ja nicht, ob das Bier wirklich ein Extraktbier ist, und ein solcher
Kommentar ist nicht hilfreich.
Letztlich ist der ausgefüllte Bewertungsbogen nicht nur dazu da, das beste Bier in einer Kategorie zu küren und Medaillien zu vergeben. Er wird auch an den Brauer geschickt, um ihm Feedback zu seinem Bier zu geben. Das ist besonders wichtig für Brauer, die keinen Austausch mit erfahrenen anderen Brauern haben.
Dann besorgte Neil einen Krug Bier, und wir versuchten, das Bier zu bewerten und den Bogen auszufüllen. Zusätzlich war mit Matt ein erfahrener Richter (Proctor) da, der ebenfalls einen Bogen ausfüllte, und dann konnten wir vergleichen. Meine Punkte lagen nahe bei dem, was Matt auch gegeben haben.
Mit der Prosa hatte ich deutliche Probleme: auf meinem Blatt war zu viel leer, zu viel weißer Raum, wo ich mehr zu Aroma, Geschmack und vor allem Gesamteindruck schreiben sollte. Leerer Platz ist verschwendeter Platz, denn der Brauer erwartet ja Feedback zu seinem Bier — immerhin hat er 6 bis 12 Dollar Startgebühr pro Bier bezahlt.
Der Bewertungsbogen ist durchaus hilfreich: wenn da z.B. „Aroma (malt, hops, esters, and other aromatics)” steht, sollte man auch was zu Malzaroma, Hopfenaroma, Estern und anderen riechbaren Aromen schreiben. Wenn man etwas nicht riecht, ist das oft auch einen Kommentar wert — „kein Hopfenaroma” ist ok, „keine Ester zu riechen” ist nur bei Bieren hilfreich, wo solche Ester gewünscht sind (z.B. beim Hefeweizen). Umgekehrt muss man nicht dazuschreiben, wenn man beim Kölsch keine Röstaromen riecht.
Bewertungsbogen (en): www.bjcp.org/docs/SCP_BeerScoreSheet.pdf
Beispiele für ausgefüllte Bögen (en): www.bjcp.org/examscores.php
Bierstile (de): www.bjcp.org/intl/2008styles-DE.xls
Das dritte Treffen ging in der Theorie um Geschmacksfehler. Dann war es wieder Zeit für eine Bewertung und den Vergleich mit Matts Bogen.
Beim vierten und letzten Kurs wurde nur noch bewertet und versucht, den Bogen möglichst gut auszufüllen.
Zwischen den wöchentlichen Kursen gab es Hausaufgaben — Bier trinken, und dabei den Style Guide lesen. Was sollte das Bier haben? Was sollte es nicht haben? Kann man die gewünschten Merkmale sehen, riechen und schmecken? Ist da irgendwas, was da nicht sein sollte?
Manche Leute (wie ich) haben eine schlechte Nase, ich rieche kaum etwas. Es hilft hier, das Glas nach dem Eingießen abzudecken, damit kein Geruch entweicht, und immer mal wieder zu riechen. Ggf. das Glas (mit Deckel) etwas schwenken. Als Deckel darf man keinen Bierdeckel verwenden, sonst riecht das Bier schnell nach Pappe — ein echter Geschmacksfehler. Ideal ist ein speziell dafür gemachter Deckel aus Metall. Ich hatte bei der National Homebrewing Competition Judging Runde 2017 einen geschenkt bekommen. Erst wusste ich nicht so recht, was das Ding sollte (Untersetzer?), aber inzwischen benutze ich ihn gerne. Ein Krug mit Deckel ginge auch, aber darin kann man die Farbe des Biers schlecht sehen. Glas mit Deckel?
Und dann hilft nur Üben, Üben, Üben. Laut Style Guide darf American Lager geringe Mengen von Acetaldehyd (Geschmack von grünen Äpfeln) enthalten. Hinweis von Neil: solange Budweiser trinken, bis Du den Geschmack bemerkst. Das motiviert!
Bei manchen Begriffen fiel mir die Abstufung schwer: Ist das noch bready (brotartig) oder schon toasty (angetoastet)? Biscuity bezieht sich auf den Geschmack von (englischen) Keksen. „roasty” war vergleichsweise einfach — Röstaroma ist leicht zu erkennen.
Zum Glück ist das mit dem Geschmackssinn und dem Bewerten von Bieren wie so vieles anderes im Leben: man kann es lernen, und wenn man genug Zeit investiert und übt, wird man besser.
Test: Theorie
Damit waren wir bereit zur Prüfung. Zuerst muß man online einen Multiple-Choice-Test bestehen. Man kann beliebige Bücher und Webseiten benutzen (was ja auch kaum zu verhindern wäre), aber man steht unter Zeitdruck: in 60 Minuten müssen 180 Fragen beantwortet werden — da bleibt keine große Zeit zum Nachschlagen.
Der Online-Test weckte üble Erinnerungen — vor ein paar Jahren hatte ich mich bereits daran versucht. Es gibt einen kostenlosen Test mit 20 Fragen, um einen ersten Eindruck zu kriegen. Den hatte ich auf Anhieb bestanden. In meinem jugendlichen Leichtsinn buchte ich den richtigen Test, und fiel prompt durch.
Dieses Mal kaufte ich direkt das 3‑für-2-Angebot: zwei mal zahlen, drei mal versuchen. Und die drei Versuche brauchte ich auch.
Viele der Fragen sind so detailliert, dass man sich fragt, wer das als Anfänger eigentlich wissen soll. Beispiele gefällig?
Bitte alle zutreffenden Antworten auswählen:
Irish Stout und Foreign Extra Stout haben gemeinsam:
- Beide haben schlechte Schaumstabilität wegen des Alkoholgehalts
- Beide sind vollmundig
- Beide können undurchsichtig sein
- Beide haben hohe Hopfenbittere, um das viele Röstmalz geschmacklich auszugleichen
- Beide haben typischerweise kein ausgeprägtes Hopfenaroma
Der IBU-Wert für belgische Blond Ales liegt im Bereich von
- 10 – 20
- 15 – 30
- 20 – 30
- 25 – 35
- 30 – 45
Das Mundgefühl eines Schwarzbiers ist am besten beschrieben als
- Mitteler Körper und mäßige Karbonisierung, wenig strenge Bittere vom dunklen Malz
- Mittel-leichter Körper und niedrige Karbonisierung, geringe Wärme vom Alkohol
- Mitteler bis voller Körper und mittel bis hohe Karbonisierung, keine strenge Bittere
- Mitteler-voller Körper und mittelmäßig-starke Karbonisierung, geringe strenge Bittere
- Mitteler Körper, mäßige bis mäßig hohe Karbonisierung, keine strenge Bittere
Bei allen Fragen, in denen man Biere vergleichen soll, ist www.beersyndicate.com/app/Tool/CompareBeerStyles sehr hilfreich. Man kann 2 oder 3 Stile auswählen und bekommt sie nebeneinander angezeigt. Warum man sich registrieren muss, weiss ich nicht.
Es gibt einige Ja/Nein-Fragen zu den Regeln des BJCP-Programms. Diese kann man im Exam Study Guide (www.bjcp.org/docs/Interim_Study_Guide.pdf) ab Seite 22 schnell nachschlagen.
Bei den meisten Bier-Bewertung im richtigen Leben liegt der BJCP Style Guide auf dem Tisch und man kann in Ruhe die Beschreibung des Bierstils, den man bewerten soll, noch einmal überfliegen. (Das wird auch so in den BJCP-Richtlinien für Organisatoren empfohlen.) Warum also in diesem Einstiegstest so auf den Details herumgeritten wird, ist mir ein Rätsel. Es kann fast nur dazu da sein, völlig unmotivierte Leute rauszuhalten („Biere bewerten? Klar bin ich beim kostenlosen Saufen dabei!”)
Zum Glück kann man den Test beliebig oft wiederholen, solange man bezahlt. Beim dritten und vierten Mal kopierte ich alle Fragen in eine Textdatei, um sie in Ruhe nachzugucken. Vielleicht lernte ich dabei wirklich etwas, vielleicht hatte ich beim vierten Mal einfach Glück — am 25. September bestand ich den Online-Test und war ein Provisional Judge.
Test: Praxis
Am Sonntag, den 30. September war es so weit: für 40$ konnten wir am praktischen Test teilnehmen. Beim Online-Test gab es nur Bestehen oder Nicht-Bestehen. Beim praktischen Test kommt es auf den Punktestand an. Wenn man höhere Ränge in der BJCP-Hierarchie erreichen will, muss man einen gewissen Punktestand haben.
Beim Praxistest bewertet man 6 Biere in 90 Minuten (also 15 Minuten pro Bier — die Zeit ist ganz schön schnell weg). Zwei oder drei erfahrene Richter (proctors) bewerten die gleichen Biere im Nebenzimmer. Danach werden alle Unterlagen eingeschickt und von Unbeteiligten bewertet. Die Bewertungen der Kandidaten werden mit denen der Proctors verglichen. Jeder Kandidat bekommt eine Prozentangabe, die angibt, wie weit er mit den Proctors übereinstimmt (welche Punkte er gegeben hat, was er wahrgenommen hat, wie er das Bier bewertet hat).
Wenn man nicht besteht (Ergebnis von weniger als 60% Übereinstimmung mit den Proctors), ist man Apprentice Judge. Wenn man innerhalb von zwei Jahren den praktischen Test nicht besteht, geht es zurück zum Start und man muß auch den theoretischen Online-Test noch einmal bestehen.
Man kann den Praxistest beliebig oft wiederholen — wenn man jemanden findet, der den Test ausrichtet. Dies ist wahrscheinlich auch nötig, um in der BJCP-Hierarchie aufzusteigen. Wenn man durch Bewertungen erst einmal Erfahrung gesammelt und seine Sinne trainiert hat, schneidet man sicher besser ab als als Anfänger.
- Ab 60% Übereinstimmung mit den Proctors ist man Recognized Judge.
- Wenn man wenigstens 70% Übereinstimmung mit den Proctors hat und 5 Punkte praktische Erfahrung (als Judge oder Helfer (steward)) vorweisen kann, ist man Certified Judge.
- Will man National Judge werden, braucht man nicht nur 80% im praktischen Test und 20 Punkte durch Erfahrung, sondern muß auch einen Aufsatz zu bestimmten Fragen um Bier und Brauen schreiben. Das gucke ich mir in ein paar Jahren vielleicht mal an.
In unserem Test in Austin bewerteten wir folgende Biere:
- Selbstgebrautes Münchner Helles, das auch als solches deklariert war.
- Ein kommerzieller Milk Stout, der uns als American Porter vorgesetzt wurde. Hier sollten wir neben der allgemeinen Beschreibung kritisieren, dass das Bier zu süß für den Stil war.
- Ein gekauftes internationales Pale Lager, das mit Apfelextrakt versetzt war. Es schmeckte wie in Apfelsaft aufgelöste Bonbons — aber das musste man natürlich BJCP-konform (be)schreiben.
- Ein Hefeweizen, das in Wirklichkeit zu 75% Weißbier und zu 25% Berliner Weiße war (beide Biere stammten von einer lokalen Brauerei). Das machte das Bier eigentlich etwas zu sauer für ein Weißbier.
- Ein selbstgebrautes English Strong Bitter, das auch als British Strong Bitter deklariert war.
- Ein als englisches IPA deklariertes amerikanisches IPA. Es schmeckte vom Hopfen stark nach US-Hopfen, aber der Style Guide läßt da viel Spielraum.
Dann hieß es Abwarten und Bier trinken, bis das Ergebnis des Tests kommt. Und natürlich weiter üben: Stile im Style Guide nachgucken. Versuchen, die relevanten Merkmale im Bier zu erkennen. Bierfehler erkennen: es gibt dazu Kits, die man kaufen kann, um Bierfehler herzustellen, oder man improvisiert, indem man Biere mit Backzutaten wie Apfelaroma versetzt, wie Neil es für unseren Test gemacht hatte.
Erfahrung sammeln
Wie das in Freiwilligenorganisationen so ist, wird man, sobald man drin ist, immer wieder zu irgendwelchen Arbeiten freigewillt (Englisch: you’ve been voluntold). Neil fragte an, ob ich Ende Oktober Biere bewerten könnte. Austin Homebrew Supply (einer der beiden Läden, die den Bedarf für Bier /Wein /Käse /alles, was Alkohol hat /alles, was man fermentieren kann decken) hatte einen Heimbrauer-Wettbewerb abgehalten.
Es war ein kleiner Wettbewerb, so dass wir mit 7 Paaren Judges innerhalb von gut zwei Stunden durch waren.
Ich durfte in der Kategorie Fruit /Spice /Vegetable (A30 im BJCP-Kategorien-System) testen. Zwei dieses Biere hatten als Basis ein American Pale Ale, das letzte ein Roggenbier. Eins war mit Earl Grey, eins mit Spruce (junge Tannentriebe) und eins mit sehr viel Ingwer gebraut. Gerade bei Bieren mit starker Sonderzutat versagt meine Nase — ich konnte nur die besondere Zutat riechen, aber weder Malz noch Hopfen. Ich war
irgendwie erleichtert, dass es Neil genauso ging.
Zwei Wochen darauf war ich bei einem anderen lokalen Wettbewerb zum Bewerten. Dieses Mal arbeitete ich mit Ricardo, einem erfahrenen Hobbybrauer und BJCP Judge zusammen. Mit ihm das getestete Bier zu besprechen war sehr hilfreich. Man konnte sich austauschen („schmeckst du da auch kaum Hopfen?”) und Fragen stellen („was ist denn dieser komische Geschmack im Hintergrund?”).
Ergebnis
Anfang Dezember kam die freudige Email: ich hatte den Praxistest mit 77% bestanden. Damit war ich Recognized Beer Judge. Jetzt geht es weiter: Erfahrungen sammeln (Style Guide und Bier vergleichen wie beim Üben) und bei Wettbewerben mithelfen, um die Experience Points zu verdienen.
Hat das BJCP-Training beeinflusst, wie ich jetzt Bier trinke? Bin ich jetzt versnobbt und muss jedes Bier analysieren? Werfe ich mit hochgestochenen Fachbegriffen um mich? Zum Glück nicht… Bier zu bewerten ist ganz anders als es einfach nur zu genießen. Beim Bewerten braucht man Ruhe und Konzentration. Man guckt, riecht und schmeckt. Kleine Schlucke. Immer wieder nippen und versuchen, zu erkennen, was in diesem Bier ist und was nicht. Biere zu bewerten ist echt Arbeit. Ein Bier kann lecker sein, aber nicht zum angegebenen Stil passen — bei einer Bewertung gibt das Abzüge, im wirklichen Leben ist das egal.
Prost!
Super vielen dank für den bericht. was mir sehr guut am BJCP gefällt ist der nicht kommerzielle Charakter und nicht final Status, dh ich muss konstant üben und mitmachen. Schön zu sehen, das es hier in Deutschland besser wird einheitliche Bewertungsgrundlagen zu schaffen und ich würde mich sehr freuen, wenn wir auch alle den BJCP übernehmen. Auch für kommziuelle Brauereien ist das sehr hulfreich. Sinnvoll wäre es auch wenn der Biersommelier das BJCP System aufnehmen würde. Cicerone arbeitet ja eh damit.