Einleitung
Oberfranken ist die Region mit der höchsten Brauereidichte weltweit. Während die Gegend heute nur so vor wirtschaftlich starken hidden champions strotzt, war sie während der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, verkehrsungünstig im Zwickel zwischen DDR und Tschechoslowakei gelegen, ausgesprochen strukturschwach. Viele Gast- und Landwirte brauten wie in vergangenen Zeiten im Nebenerwerb, und daran hat sich zum Glück bis heute wenig geändert. Konzentrationsprozesse blieben weitgehend aus, sodass es dort viele Dörfer mit zum Teil nur wenigen hundert Einwohnern, aber einer eigenen Brauerei gibt. Oder sogar mit mehreren!
Da die Landschaft zudem außerordentlich idyllisch und unzerstört ist, lädt die Gegend zum Wandern nur so ein. Schon der Begriff „Fränkische Schweiz” ist selbsterklärend. Was liegt also näher, als Wanderrouten zu suchen, auf denen man mit wenig Aufwand gleicht mehrere Brauereien zur Einkehr und Stärkung miteinander kombinieren kann? Strecken, auf denen dies möglich ist, gibt es unzählige.
Auch die Preise wirken vielfach noch wie aus vergangenen Jahrzehnten: Das Halbliter-Seidla für unter zwei Euro zu bekommen ist nicht die Ausnahme, sondern eher die Regel, und deftige Mahlzeiten wie Schlachtplatte beginnen häufig schon um die fünf Euro. Wobei der absolute Klassiker beim Bierwandern im Winterhalbjahr der fränkische Karpfen (in den Monaten mit „r”) ist und ansonsten das „Schäuferla”, eine Schweineschulter, die als Krustenbraten im Rohr gegart wird, einschließlich der zur rösch wie ein Bonbon zerspringenden Kruste gebratenen Schwarte und des namensgebenden schaufelförmigen Schulterblatts.
Enttäuschung für Kupferfetischisten
Bei modernen Gasthausbrauereien und Szene-Brewpubs ist das Sudwerk meistens unverzichtbarer Bestandteil der Innenarchitektur und wird wie ein Altar als zentrales Element inszeniert. Auch wenn man sich manchmal angesichts der Staubschicht darauf fragt, ob und wie oft dort überhaupt gebraut werden mag.
Die typische fränkische Landbrauerei ist in jeglicher Hinsicht die komplette Antithese dazu. Ja, es wird dort gebraut, und nein, meistens bekommt man das Sudwerk nicht einmal zu Gesicht. Hier wird nicht gebraut, weil der Gast es sehen oder zumindest glauben will, sondern weil man es halt immer schon gemacht hat. Daher folgen diese Braugasthäuser überwiegen dem klassischen Typ:
Wirtsstube inklusiv Theke und Stammtisch zur Straße hin, dahinter die Küche, und irgendwo noch weiter hinter, oft in einem Nebengebäude oder Schuppen auf dem Hof, wird das Bier gebraut. Kupferfetischisten, die gerne im rot schimmernden Glanz der Sudhauben ihr Hausgebrautes trinken, werden also enttäuscht. Und „ganz normale” Gäste auf der Durchreise werden vielfach gar nicht wahrnehmen, dass wirklich noch am Ort gebraut wird und nicht nur noch das Schild „Brauereigaststätte” aus vergangenen Zeiten an der Fassade hängt, wie es andernorts leider allzu häufig der Fall ist.
Und doch besteht für den Interessierten natürlich oft die Möglichkeit, sofern der Brauer zugegen ist, auf Nachfrage einen Blick in die Brauerei werfen zu dürfen. Oder spätestens, wenn man nach dem Besuch der Gaststätte sich interessiert am Erwerb eines Kasten Biers zeigt und über den Hof in die Brauerei geführt wird, wo es dann manchmal echte Kleinodien zu entdecken und zu bestaunen gibt, von schwarzeisernen, mit Scheitholz direkt befeuerten Sudpfannen über Transmissionsriemen-getriebene Rühr- und Hackwerke bis hin zu Füllanlagen aus den Anfängen des letzten Jahrhunderts. Wo einem dann manchmal, neben einem Kasten unetikettierter Flaschen, der Form halber noch eine Handvoll loser Etiketten ausgehändigt wird.
Grantige Bedienungen
Als gebürtiger Münchner dachte ich, dass mich nichts mehr schrecken könne, was gepflegten Grant von Bedienungen angeht, bei denen man sich fast schon entschuldigen muss, eine Bestellung aufzugeben, und die das Wort „Beilagenänderung” als persönlichen Affront auffassen. Dieser Glaube wurde beim Bierwandern in der Fränkischen Schweiz eines Besseren belehrt. Als Beispiele ein paar wahllos zusammengetragene Konversationen aus verschiedenen Braugasthöfen, bewusst ohne jeweilige Ortsnennung. Wobei zu betonen ist, dass wir uns als Gäste zu benehmen wissen und jeweils gepflegt, höflich und nicht unzumutbar alkoholisiert aufgetreten sind.
Gast: Ist so schönes Wetter, können wir uns auf die Terrasse setzen?
Bedienung: Naa, dann müsst ich ja das Bier durch die ganze Wirtschaft schleppen!
Gast: Was ist denn dann Ihre Aufgabe hier?
Das gleiche Spiel geht aber auch umgekehrt:
Gast: Dürfen wir uns reinsetzen?
Bedienung: Naa!
(ohne Nähere Begründung, und fürs Frühstück war auch noch nicht eingedeckt)
Gast: (frösteld) Ist aber kalt draußen!
Bedienung: Dann zieh dir a Jack’ an!
Oder, aus völlig heiterem Himmel:
Gast: (lobend) Ihr habts es aber schön hier!
Bedienung: Noch schöner wär’s, wenn ihr net da wärts, ihr Kröten!
Man mag von Lokalkolorit halten, was man will, aber jederzeit fürchten zu müssen, von der Bedienung grundlos beleidigt zu werden, ist nicht bei jedem dazu geeignet, den Konsum zu fördern. Es gibt aber auch rühmliche, etwa die weiter unten beim Elchbräu geschilderte, sehr aufmerksame Ausnahmen.
Schwankende Bierqualität
Man tut sich schwer, „Fränkisches Landbier” als eigenen Stil zu bezeichnen, denn es gibt eigentlich keinen einheitlichen Stil. Generell bekommt man ein untergäriges, oft nur schwach karbonisiertes oder sogar ungespundetes, naturtrübes Bier, deutlich hopfenbetonter als oberbayerische Biere, wobei die Farbe häufig von Kupfer bis dunkel geht.
Wie die Launen der Bedienungen scheint aber auch die Bierqualität einer örtlichen und jahreszeitlichen Schwankung zu unterliegen. Hier kann es sich als waschechter Fluch erweisen, sich schon länger mit Hobbybrauen und dem Erkennen von Bierfehlern beschäftigt zu haben. Während unvoreingenommene Wanderkameraden von Einkehr zu Einkehr in immer höherer Verzückung davon schwärmen, wie doch das Bier in jeder Brauerei anders schmecke, erkennt man als Hobbybrauer auch, warum dem so ist: Hier kann eine Brauereiwanderung schnell zum „Lehrpfad der Bierfehler” werden, von unausgewogener Spelzen‑, Röst- oder Hefebittere über Metall und Kellermuff bis hin zu Diacetyl und DMS.
Und während die Kameraden immer euphorischer werden, kann es passieren, dass man selber immer depressiver dabei wird. Es mag natürlich auch daran liegen, dass manche der in einen beliebten Bierwanderpfad eingebundene Brauereien vor allem in den Sommermonaten Opfer des eigenen Erfolgs werden und manches Bier ausgeschenkt werden muss, bevor es so richtig rund ist.
Opfer des eigenen Erfolges
Anfangs zählte das Bierwandern in Franken noch zu den Geheimtipps, doch ist es in den vergangenen Jahren immer populärer geworden, nicht zuletzt seit einige dicht beieinander gelegene Brauereien angefangen haben, den verbindenden Wanderweg im Fremdenverkehr aktiv zu bewerben. Um eine der ältesten derartigen Routen, den Fünf-Seidla-Steig, soll es im Folgenden noch etwas näher gehen. Dies und die seit wenigen Jahren immer mehr um sich greifende Unsitte der geschmacklos inszenierten Junggesellenabschiede hat dazu geführt, dass es auf solch bekannten Klassikern unter den Wegen gerade an Wochenenden unangenehm voll geworden ist. Das Naturerlebnis ist einem Spießroutenlauf zwischen besoffenen Horden gewichen, die sich gegenseitig zu überrunden versuchen, um noch einen Platz im jeweils nächsten Gasthaus zu ergattern.
Zwar haben die meisten Braugasthöfe Junggesellenabschiede mittlerweile verboten, doch begegnet man ihnen immer noch, mit Motto-T-Shirts und albernen Hüten bis hin zum Schweinekostüm uniformiert. Zwar ist den Wirten natürlich der Umsatz zu wünschen, doch waren die Exzesse derart, dass bestimmte fränkische Brauereien sich sogar entschließen mussten, zur traditionell umsatzstärksten Zeit, am Samstagabend, komplett zu schließen!
Überhaupt ist es mehr als ratsam, sich bei der Vorbereitung einer derartigen Tour gut über die jeweiligen Öffnungszeiten der Gaststätte zu informieren. Die im Internet oder in Broschüren veröffentlichen Tage und Zeiten sind nur bedingt aktuell, und auch Betriebsurlaube und regionale Veranstaltungen können einem einen Strich durch die Rechnung machen. Denn nichts ist ärgerlicher, als nach stundenlanger Wanderung dürstend vor verschlossenen Türen zu stehen. Nur wenn man Glück hat, trifft man trotz geschlossener Gaststätte jemanden an, der sich erbarmt, einem zumindest einen Kasten Bier auf den Hof heraus zu stellen.
Eindrücke von Fünf-Seidla-Steig
Der 2008 eröffnete Fünf-Seidla-Steig bei Gräfenberg ist einer der bekanntesten fränkischen Bierwanderwege, auf dem sich innerhalb von lediglich zehn Kilometern immerhin fünf Brauereien erwandern lassen. Die traditionelle Route beginnt in Weißenohe, das sich von Nürnberg aus leicht mit der Gräfenbergbahn erreichen lässt, und führt nach Norden. Ich persönlich hielte zwar die umgekehrte Richtung für deutlich besser, doch dazu später mehr.
- Vom Bahnhof Weißenohe ist es nicht weit zum Wirtshaus der Klosterbrauerei im Hof der säkularisierten ehemaligen Benediktinerabtei Weißenohe. Wir sind zeitig dort und warten darauf, dass das Wirtshaus um 10 Uhr öffnet; schon zehn Minuten später ist die in einem urigen Gewölbe gelegene Gaststube so voll, dass wir keinen Platz mehr gefunden hätten. Über die Biere der Klosterbrauerei Weißenohe im Einzelnen zu schreiben würde den Rahmen dieses Artikels sprengen. Hier schafft man höchst erfolgreich den Spagat von fränkischen Klassikern wie dem Altfränkischen Klosterbier und dem Eucharius Märzen über den genialen Bonator Doppelbock bis hin zu kreativen Craftbieren wie dem hopfengestopften GreenMONKey und einem Hanf-Bier-Mischgetränk. Die Auswahl ist so groß, dass wir sie leider kaum zu würdigen wissen, denn es ist noch früh am Tage, und wir haben noch eine Reihe weiterer Brauereien vor uns.
- Von dort ist es nur eine knappe halbe Stunde entlang der Mönchsleite, der Hangkante eines Flusstals, bis zum Ortseingang Gräfenbergs, wo gleich linker Hand das Bräustüberl der Brauerei Friedmann wartet. Obwohl sich die Gaststätte labyrinthartig über mehrere Stockwerke erstreckt, ist es schon schwer, einen Platz zu finden. Wir probieren das helle Fränkische Landbier und den dunklen Ritter-Wirnt-Trunk, der mir persönlich zu süß ist. Aber ich wäre eh noch lieber in Weißenohe sitzen geblieben.
- Die dritte Station, das Gasthaus Lindenbräu, ist wiederum nur wenige hundert Meter ins Stadtzentrum entfernt. Eine sehr urige Wirtschaft, die wir zur Mittagseinkehr nutzen: Beginn der Schäuferla-Festspiele! Gut, dass wir schon von Weißenohe aus vorreserviert haben. Dazu gibt es ein kupferfarbenes Landbier, sehr vollmundig, mit einem Hauch Butterscotch und einem etwas kratzigen Ende.
- Danach beginnt die längste Etappe und somit eine gewisse Durststrecke, zunächst über offene Felder und dann etwas monoton durch dichten Wald bis zum Weiler Hohenschwärz, wo rechter Hand die Brauereigaststätte Hoffmann liegt. Von vorne wirkt sie eher wie ein Wohnhaus, dahinter ist ein etwas gesichtsloser Saal im Stil einer Ausflugsgaststätte, in dem die Luft so dick ist, dass sie sich kaum atmen lässt. Aufgrund dessen und der mir zu ausgeprägten Röstbittere der dunklen Hofmannstropfen bin ich nicht traurig, als wir weiterziehen.
- Fünfte und letzte Station ist Thuisbrunn, wo es uns zum Elchbräu zieht, einer der neuesten Brauereien auf der Route. Davor steht ein vergleichsweise modernes Sudhaus, in der Gaststube hängt ein riesiger, namensgebender Elchkopf. Nachdem die Biere mehrfach mit dem European Beer Star ausgezeichnet worden sind, kann ja nichts schiefgehen.
Leider hat aber das Dunkel derart viel Diacetyl, dass ich es nicht herunterbringe und stehenlasse. Obwohl ich es freilich dennoch gezahlt hätte, bietet die sehr freundliche Bedienung mir an, es in ein Pils umzutauschen. Das hat zwar nicht weniger Diacetyl, aber man kann sich wenigstens einbilden, dass es der böhmische Typ sei, wo es einigermaßen zum Stil passt. Der von der Bedienung alarmierte Brauer, der zum Tisch kommt (mir wird die Angelegenheit allmählich peinlich, hätte ich doch bloß mein Dunkel brav ausgetrunken …), meint auch in gemeinsamer Verkostung, keine Auffälligkeit schmecken zu können. Die Wahrnehmungsschwellen sind ja auch individuell verschieden.
Als Wiedergutmachung bringt er, was ich sehr nett finde, noch ein Glas Schwarze Acht, ein Baltic Porter samt dazugehörigen Schokotrüffeln. Wieder jede Menge Diacetyl, aber jetzt halte ich natürlich meinen Mund.
Auch wenn dieser Bericht natürlich nur eine höchst subjektive Momentaufnahme wiedergibt, erschiene mir doch generell die umgekehrte Richtung passender: Man würde vormittags, noch frisch, mit den längeren Etappen starten, während die zum Ende hin immer kürzer würden. Außerdem würde man dann, zumindest nach meinem subjektiven Geschmack, eine gewisse Steigerung der Biere von Station zu Station erleben anstatt umgekehrt, und man könnte den Tag im Kloster Weißenohe mit seiner fantastischen Bierauswahl ausklingen lassen – zu dem man von Thuisbrunn natürlich auch wieder hätte zurückwandern können; aber das schaffen nach der fünften Brauerei dann nur noch die wenigsten und nehmen lieber ein Taxi.
Weblinks: